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Es ist ein lauschiger Sommernachmittag auf der Rossfeld Panoramastraße und die Beamten an der grünen Grenze zwischen Österreich und Deutschland schieben eine ruhige Kugel. Doch plötzlich werden die Herren aufmerksam und schauen bei dem tiefblauen Elektro-SUV mit dem glänzenden Grill ganz genau hin. Denn ein Auto mit türkischen Kennzeichen verirrt sich nur selten hierher und von der Marke TOGG haben sie noch nie etwas gehört.


Togg T10X (Fahrbericht)


Kein Wunder, schließlich gibt es die auch erst seit 2019, ihr erstes Auto haben sie 2022 präsentiert und seitdem zwar 60.000 Exemplare des elektrischen SUV verkauft, sich aber bislang nicht außer Landes gewagt. Doch das soll sich bald ändern: Wenn Anfang September im München die IAA eröffnet, gehört Togg zu den Debütanten und will dort für 2026 den Deutschlandstart mit zwei Modellen ankündigen. Neben dem T10X, der da als türkische Alternative zum ID.4 gerade im Berchtesgadener Land die Aufmerksamkeit der Grenzbeamten geweckt hat, wird es mit gleicher Technik auch noch die Limousine T10F geben, die auf Modelle wie den VW ID.7 zielt.

Damit drängt ein Land ins Bewusstsein, das auf der automobilen Weltkarte längst eine feste Größe ist. Denn im Lohnauftrag zum Beispiel für Fiat, Opel oder Ford bauen die Türken in guten Jahren bereits über 1,5 Millionen Autos. Nur im eigenen Namen haben sie seit dem Anadol nichts mehr auf die Straße gebracht, und das war noch weit im letzten Jahrhundert.

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Deshalb hat Staatschef Erdogan über Jahre einen türkischen Volkswagen gefordert – und 2018 hat der ehemalige Bosch-Manager Gürcan Karakas geliefert. In Gemlik am Bosporus hat er industrielle Schwergewichte aus Schlüsselbranchen vom Handel über die Telekommunikation bis hin zum Maschinenbau zusammengebracht und die "Türkiye'nin Otomobili Girişim Grubu", die "Türkischen Automobile Joint Venture Group", kurz: Togg, gegründet.

Wobei der Begriff "Automobil" für Karakas viel zu kurz gesprungen ist. Der charismatische Manager spricht lieber vom "Smart Device", das eher zufällig auch fahren kann. Klar, diese Idee verkaufen uns viele. Und weder der durchgehende Bildschirm quer über die gesamte Fahrzeugbreite ist einzigartig, noch wird Togg viele Kunden allein mit einem Musikgenerator überzeugen können, der aus 2.000 Instrumentaltiteln mit künstlicher Intelligenz ganz individuelle Sounds komponiert. Auch die digitale Kunst hat man schon öfter gesehen – obgleich nicht so ausgefuchst wie im Togg und obendrein eher im Luxussegment als in der Mittelklasse.

Togg schafft digitales Ökosystem

Und mit einer türkischen Flagge, die digital im Fahrtwind quer durchs Cockpit flattert, mag man sich zwar die Aufmerksamkeit von in paar Millionen Migranten sichern. Doch für dauerhaften Erfolg ist das zu wenig. Deshalb geht Togg geht auf dem Weg in die virtuelle Welt sehr viel weiter als alle westlichen Hersteller: Begünstigt von einem in sich relativ geschlossenen Markt,  einer ähnlich wie in China ziemlich eigenständigen Nische im Internet und vielen potenten Partnern, hat Togg ein digitales Ökosystem geschaffen mit eigener Währung, branchenübergreifendem Bonus-System und eigenem Webstore, in dem man aus dem Auto heraus Flüge buchen, Strom kaufen oder sogar seine Steuern zahlen kann.

Doch egal ob Beiwerk oder Sinn und Zweck der Übung: Auch ein digitales Device muss fahren können, wenn die Räder nicht nur Dekoration sein sollen. Wozu bauen die Türken schließlich zu Preisen ab umgerechnet etwa 41.000 Euro wahlweise ein oder zwei Bosch-Motoren mit 160 kW / 218 PS und Akkus mit 52,4 oder 88,5 kWh ein? Und wie besser könnte der Togg T10X das beweisen, als auf der Jungfernfahrt zum IAA-Debüt nach München? Deshalb rollt irgendwann in diesem Sommer jener dunkelblaue T10X AWD aus dem Werk, der rund 2 000 Kilometer und drei Tage später als erster Togg in offizieller Mission zwischen Klausen und Berchtesgaden die deutsche Grenze passiert.

Togg T10X kann mit 180 kW laden

Die erste Etappe von dem auf ganz und gar unbescheidene 175.000 Autos im Jahr ausgelegten Werk in Gemlik über Istanbul nach Edirne an der Grenze zu Bulgarien ist dabei noch leicht. Schließlich hat Togg analog zu Tesla in der Türkei ein eigenes Ladenetz aufgebaut, an dem der Togg sich mit bis zu 180 kW mit Energie versorgt. Doch weil es danach oft genug auch über einsame Nebenstraßen geht, statt nur auf der alten Autoput-Route im Express-Tempo über den Balkan zu ballern, ist er oft genug auf seinen 88,5 kWh großen Akku angewiesen, der ihm auf dem Papier zwar bis zu 523 Kilometer Normreichweite sichert, in der Praxis aber auf diesem Trip für selten mehr als 400 Kilometer reicht.

Gut also, dass sich die Navigation auch hier auskennt, jede Ladesäule findet und die allermeisten davon auch irgendwie zum Laufen zu bringen sind. Am liebsten natürlich so wie am Stahlwerk Smederevo, dem einstige "Stolz Seribiens", das seine 200 kW-Säule einfach für alle freischaltet.


Togg T10X


Wenn man das ganze digitale Gedöns mal ausblendet und man sich irgendwann an die leidigen Sensor-Tasten am Lenkrad gewöhnt hat, erweist sich der T10X dabei auf dem Weg durch Bulgarien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich als – je nach Perspektive – erfreulich oder erschreckend konventioneller Geländewagen, der traditionellen Herstellern wie VW näher ist als Newcomern wie Tesla oder gar den Chinesen. Kein Wunder, schließlich stammen die Togg-Modelle auch aus der Feder des ehemaligen VW-Designchefs Murat Günak.

Der hat zusammen mit Pininfarina ein Auto gezeichnet, das vor allem wegen seines nutzlosen, aber noblen Kühlergrills weniger futuristisch wirkt als all die meisten Stromer aus dem fernen Osten, wohl proportioniert ist und gefällig aussieht, dafür aber auch ein bisschen austauschbar ist. Dazu gibt es bei 4,60 Metern Länge und 2,90 Medern innen eher ausreichend als reichlich Platz auf allen Plätzen und einen mit 441 bis 1515 Litern klassenüblichen Kofferraum – und genau wie bei VW leider keinen Frunk.

Togg T10x: 195 km/ sind drin

Fahrwerk und Lenkung sind vielleicht nicht die feinfühligsten und präzisesten, machen sich auf der Langstrecke aber gut. Und mit den unterschiedlichen Fahrprofilen kann man auf der Landstraße oder in den vielen Höhenzügen des Balkan tatsächlich ein bisschen Spaß haben, bevor es zur Entspannung wieder ganz kommod zurück auf den Autoput geht.  

Nur die Leistung ist für diesen Teil des Kontinents eigentlich zu hoch. Klar, zusammen 700 Nm und ein Sprintwert von 4,8 Sekunden helfen, wenn man auf einer unübersichtlichen Nebenstraße in Bulgarien schnell an einem Eselskarren vorbei wissen oder auf der Rossfeld Panoramastraße mal eben ein bisschen Nervenkitzel sucht um wieder wach zu werden nach der langen Gurkerei durch Österreich. Doch bevor der Togg zum ersten Mal legal seine 185 km/h Spitzentempo ausfahren darf, muss er erst sechs Grenzen überwinden – und die Mischung aus Diensteifer und Neugier am Zoll nach Deutschland überstehen.


Togg T10F


Dann noch ein paar Kilometer Land- und Bundesstraße und kurz hinter Salzburg rollt der T10X zum ersten Mal über die deutsche Autobahn, wechselt auf die Line Spur und schießt so schnell zur Messe nach München, als müsse er auf dieser Fahrt jene drei Jahre aufholen, die Togg seit der Premiere des T10X bislang hat verstreichen lassen. Und anders als die Zöllner, wissen die türkischstämmigen Mitbürger in Bayern offenbar bereits bestens Bescheid. Egal ob an der Ladesäule am Irschenberg, beim letzten Boxenstopp am Siegestor in Schwabing oder draußen beim Fotofinish vor dem vor dem IAA-Hauptportal – überall gibt es ebenso wissende wie anerkennende Blicke und die Vorfreude darauf, bald auch in Deutschland endlich ein "eigens" Auto kaufen zu können.  

Auch die Herren Zöllner an der grünen Grenze der Panoramastraße werden sich womöglich bald an den Anblick des T10X und seines klassischen Cousins T10F gewöhnen müssen. Doch die gemütliche Routine an ihrer mobilen Station werden die Türken kaum stören. Denn wenn im nächsten Jahr der ernsthafte Export startet, werden die Togg kaum auf Achse kommen. Und erst recht nicht über diese Route.  


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