Die neue VDI-Richtlinie dient der Standardisierung sowie der Qualitätssicherung der Arbeit und Ausbildung von Kfz-Sachverständigen. TÜV SÜD sieht darin eine wichtige Weichenstellung.
Obwohl sich Überwachungsorganisationen, SV-Verbände, Weiterbildungseinrichtungen und Zertifizierungsstellen seit vielen Jahren dafür einsetzen, ist die Berufsbezeichnung des Kfz-Sachverständigen in Deutschland nach wie vor nicht gesetzlich geschützt. Seit der Arbeitskreis V im Rahmen des Verkehrsgerichtstages in Goslar Anfang des Jahres – im immerhin fünften Anlauf seit 1985 – neue Standards für mehr Qualität bei der Begutachtung von Fahrzeugschäden abgesegnet hat, ist jedoch immerhin ein erster, entscheidender Schritt in die richtige Richtung vollzogen. Wie sich die darauf basierende VDI-Richtlinie MT 5900 Blatt 2 auf Arbeit und Ausbildung bei TÜV SÜD auswirkt, erläutert Sascha Schüler, Fachverantwortlicher Schaden- und Wertgutachten/Service Line Schaden und Wert bei TÜV SÜD in Leipzig.
AH: Herr Schüler, welchen Fortschritt bedeutet die neue VDI-Richtlinie für die Kfz-Sachverständigen in Deutschland?
S. Schüler: Sie definiert erstmals verbindliche Mindestanforderungen und Kompetenzstandards im Bereich Fahrzeugschäden und Bewertung. Durch die Ergänzung des Blatt 1, das Grundlagen definiert hat, wird somit ein klares Berufsbild mit Qualifikationsvorgaben geschaffen. Dies dient einerseits der Sicherung von Qualität und standardisiert zudem die Ausbildung, Zulassungsprüfung und Tätigkeit der Kfz-Sachverständigen. Ein aus meiner Sicht längst überfälliger Schritt, auch wenn eine Richtlinie natürlich nach wie vor keine gesetzliche Grundlage darstellt.
Schwarze Schafe chancenlos?
Wie sehen die Voraussetzungen im Einzelnen aus?

S. Schüler: Zukünftige Kollegen müssen umfassende Kenntnisse in verschiedensten Bereichen vorweisen, darunter Fahrzeugtechnik, Schadenaufnahme und -bewertung oder Reparaturkostenkalkulation. Dazu kommen aber auch juristisches Hintergrundwissen und ethisches Verhalten. Um zur Ausbildung zugelassen zu werden, benötigen sie die entsprechende geistige und körperliche Eignung, ein einwandfreies Führungszeugnis sowie einen Meisterabschluss in einem technischen Beruf, also etwa Kfz-Mechaniker oder Mechatroniker. Dies wird in jedem Fall dabei helfen, den Markt von sogenannten „schwarzen Schafen“ ohne fundierte Ausbildung zu reinigen.
Sie hatten auch die SV-Ausbildung angesprochen. Welche Neuerungen gibt es auf diesem Gebiet?
S. Schüler: Es wird eine Basisschulung, die mindestens 180 Unterrichtseinheiten umfasst, vorausgesetzt. Im Allgemeinen beträgt die Ausbildungszeit damit über zwei Jahre. Kann der künftige Kfz-Sachverständige einen akademischen Abschluss vorweisen, kann diese verkürzt werden – Wochenendseminare sind aber in keinem Fall ausreichend. Neu ist zudem eine anspruchsvollere und umfangreichere Prüfung, die neben einem schriftlichen Teil nun auch mündliche und praktische Aufgaben an realen Fahrzeugen beinhaltet und somit deutlich näher an der späteren Arbeitspraxis ausgerichtet ist. Obwohl wir bei TÜV SÜD seit jeher großen Wert auf die Aus- und Weiterbildung unserer Kollegen legen, haben wir die neue Richtlinie auch bei uns im Haus dazu genutzt, das Niveau noch weiter anzuheben.
Höchste Anforderungen
Warum ist dies notwendig?

S. Schüler: Unser COO hat das bei einem Vortrag sehr gut zusammengefasst: Als traditionsreicher, international top aufgestellter Konzern wird der Umsatz wahrscheinlich nie das Problem von TÜV SÜD werden. Was uns aber gefährlich werden könnte, wäre ein Mangel an Qualität. Dieser Satz war natürlich Wasser auf unsere Mühlen und mit genau diesem Anspruch sind wir an die entsprechenden Fachbereiche herangetreten. Die Anforderungen an Kfz-Sachverständige wachsen durch die ständig komplexer werdende Fahrzeugtechnik immer schneller, sowohl im amtlichen Bereich als auch bei Schadenerfassung und Zustandsbewertung. Dem müssen wir Rechnung tragen und haben deshalb die Weiterbildung von zwölf auf 18 Stunden pro Jahr erhöht, den Praxisanteil erweitert und die Zusammenarbeit mit externen Bildungsinstituten intensiviert.
Wie sieht es im Bereich der täglichen Arbeit der Kfz-Sachverständigen aus? Gibt es hier Veränderungen?
S. Schüler: Aus meiner Sicht nicht. Die sechs zentralen Aufgaben wie Auftragsannahme, Fahrzeugbesichtigung, Dokumentation, Kalkulation, Gutachtenerstellung sowie Beratung von Kunden und anderen Beteiligten bei Rückfragen wurden schon bisher nach höchsten Qualitätsstandards erfüllt. Eine Anerkennung nach VDI könnte bestenfalls im Gespräch mit Reparaturwerkstätten, Autohäusern oder Rechtsanwaltskanzleien einen Pluspunkt darstellen, hat auf das Tagesgeschäft aber keinen Einfluss.
Volle Wirksamkeit wird dauern
Wie sehen die bisherigen Rückmeldungen von Kundenseite aus?
S. Schüler: Im Privatkundengeschäft gibt es meiner Meinung nach keinen wirklichen Unterschied. Für den Autofahrer ist TÜV SÜD seit jeher ein vertrauenswürdiger, neutraler und kompetenter Ansprechpartner, wenn es um Fahrzeugtechnik oder Schadengutachten geht. Bei Großkunden wie Versicherungen bemerken wir allerdings, dass erste Unternehmen bereits gezielt nach Kfz-Sachverständigen fragen, die die VDI-Standards einhalten. Erste offizielle Verzeichnisse auf der Webseite wird es sehr wahrscheinlich ab kommendem Jahr geben. Auch vor Gericht wird ein entsprechendes Siegel oder Zertifikat künftig ein zusätzliches Argument mit erhöhter Beweiskraft sein. Allerdings muss man hier natürlich davon ausgehen, dass wir die Rechtsprechung abwarten müssen, bis es Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofes gibt. Es wird also sehr wahrscheinlich noch mehrere Jahre dauern, bis die VDI-Richtlinie ihre volle Wirksamkeit am Markt tatsächlich wird entfalten können. Dennoch ist entscheidend, dass ein Anfang gemacht worden ist.
Herr Schüler, vielen Dank für dieses Gespräch.
Zur Person
Sascha Schüler (47) ist Kfz-Sachverständiger und nach IfS Zert personenzertifiziert. Der Technikexperte ist bereits seit 2003 für TÜV SÜD aktiv und hat seine komplette Laufbahn im Bereich Schaden und Wert absolviert. 2008 übernahm Schüler die Funktion des Teamleiters und Produktverantwortlichen, seit 2017 ist er als Fachverantwortlicher der TÜV SÜD Auto Service GmbH im Bereich Schaden und Wert tätig.Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.