Die Sonderermittlerin Margaretha Sudhof sollte die Maskenbeschaffung während der Corona-Pandemie untersuchen – und damit auch das Verhalten von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn. Ihr Abschlussbericht gibt zudem Hinweise auf eine Firma aus Sachsen: mit auffälliger Nähe zur CDU.
Millionenschwere Aufträge an eine Firma, die sich gerade erst gründet. Gründer ohne erkennbare Branchenerfahrung, dafür mit Nähe zur CDU. Ein Ministerium und ein Ex-Minister, die die entscheidenden Fragen offenlassen. Das bleibt von einer chaotischen Zeit, in der alles ganz schnell gehen musste. Denn im Frühjahr 2020 ist klar: Es ist keine Zeit. Keine Zeit für Bürokratie, für zähe Beschaffungsprozesse, für jede einzelne Vorschrift. Das Corona-Virus zwingt das gesellschaftliche Leben zum Stillstand und Deutschland, die EU, die ganze Welt sucht händeringend nach Schutzausrüstung, um sich gegen die Pandemie zu wappnen.
Eigentlich waren zu diesem Zeitpunkt die Beschaffungsämter des Bundes mit dem Einkauf beauftragt. Doch denen traute der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn eine Lösung der Krise nicht zu, "jedenfalls nicht in ausreichendem Maß und nicht in der notwendigen Geschwindigkeit" und nicht "auf den herkömmlichen Wegen und mit den eingefahrenen Verantwortlichkeiten", so zitiert die Sonderermittlerin aus Spahns Buch – und kritisiert den CDU-Politiker dafür deutlich: "Der Minister musste wissen, dass die Beschaffungsämter schon ziemlich weit gekommen waren (…). Außerdem gelangte er zu der Überzeugung, dass er selbst und sein Bundesministerium, ungeachtet völlig fehlender Beschaffungserfahrung und ohne Arbeitsmuskel die Herausforderungen erfolgreicher bewältigen könnten."
Auf Spahns Weisung schloss das Gesundheitsministerium nicht weniger als 48 Verträge an den Beschaffungsämtern vorbei – als sogenannte "Dringlichkeitsvergaben" im Gesamtwert von mehr als 2 Milliarden Euro. "Die Entscheidung des damaligen Bundesministers, selbst und unmittelbar in die Beschaffung einzusteigen, überraschte selbst das eigene Ministerium", heißt es in Sudhofs Bericht.
6,7 Milliarden Euro für Masken und Schutzausrüstung
Alles in allem legte Spahns Haus damals sogar 6,7 Milliarden Euro für Masken und Schutzausrüstung auf den Tisch – für direkte Beschaffung, für ein Logistiknetzwerk, für ein "Open-House-Verfahren", bei dem Spahns Ministerium mit jedem einen Vertrag abschloss, der bestimmte Bedingungen versprach, einzuhalten – und für ein sogenanntes "Tender-Verfahren".
Was ist ein Tender-Verfahren oder Tender-Projekt?
Mit der Vergabe über ein sogenanntes Tender-Verfahren wollte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Produktion von Schutzmasken im Inland ankurbeln. Übersetzt bedeutet Tender-Verfahren: Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb. Solche Vergaben gelten als stark wettbewerbseinschränkend und sind nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Unter anderem laut Vergabeverordnung bei "äußerst dringlichen, zwingenden Gründen im Zusammenhang mit Ereignissen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte".
Die Sonderermittlerin Sudhof spricht in ihrem Bericht im Zusammenhang mit dem Tender-Verfahren "Produktion in Deutschland" auch von einem "Interessenbekundungsverfahren". Die Unternehmen konnten sich demnach auf Aufträge für die Lieferung von Schutzprodukten bewerben. Im Gegenzug garantierte der Staat, jede Woche eine bestimmte Menge zu kaufen. Sie lieferten Sudhof zufolge wie vorgesehen ab Mitte Juni 2020 bis Dezember 2021.
Ob das neben den vielen anderen Beschaffungsbemühungen des Bundes noch nötig war? Sonderermittlerin Sudhof bezweifelt das. Gleichzeitig stellt sie aber auch fest: Das Tender-Verfahren war effektiv. Am Ende seien darüber sogar mehr Masken geliefert worden als vertraglich geschuldet wurden, so der Bericht. Und der Bundesrechnungshof kam zu dem Ergebnis, dass die auf diesem Wege beschafften Masken die günstigsten waren.
37 Rahmenverträge – auch mit einer Firma, die es zum Start des Tender-Verfahrens noch nicht gab
Für Unternehmer jedenfalls war das Angebot des Gesundheitsministeriums offenbar recht attraktiv: Im März 2021 hatten 37 Rahmenverträge mit dem Ministerium geschlossen. Gesamtvolumen: mehr als 1,2 Milliarden Euro. Hinzu kamen noch etliche Millionen für die Förderung von Produktionsstätten.
Eine von ihnen: Die Firma SimpleBreath – ein Unternehmen, das es noch gar nicht gab, als das Tender-Verfahren gestartet wurde.
Bis zum 7. April hatten Firmen Zeit, sich zurückzumelden. Genau an diesem Tag wird der Gesellschaftsvertrag der Firma SimpleBreath mit Sitz in Frankfurt am Main als Unternehmergesellschaft (UG) geschlossen. Eine UG lässt sich mit äußerst niedrigem Stammkapital gründen. Sie ist daher besonders bei jungen Gründungen beliebt, die das nötige Kapital für eine GmbH nicht aufbringen können.
Frisch gegründet und gleich unter den Firmen mit höchstem Auftragsvolumen
Am 15. April werden die Zuschläge vergeben, auch an SimpleBreath. Das frisch gegründete Klein-Unternehmen hat nun plötzlich Millionen in den Auftragsbüchern, zählt zu den 14 Firmen mit dem höchsten Auftragsvolumen. Besonders brisant: Zu diesem Zeitpunkt ist SimpleBreath juristisch betrachtet noch nicht einmal eine UG. Denn ins Handelsregister eingetragen wird die Firma erst gut einen Monat später. Bis dahin handelt es sich um eine Vorgesellschaft, eine UG in Gründung. Handelsrechtlich unterscheidet die Firmengründer zu diesem Zeitpunkt damit wenig von einer WG, einer Fahrgemeinschaft oder einer Band – sie haften als GbR und damit: Unbegrenzt mit ihrem Privatvermögen. Ein Risiko, das man womöglich nur eingeht, wenn man sich kommender Großaufträge sicher sein kann?
Knapp ein Jahr später siedelt das Unternehmen nach Markranstädt in der Nähe von Leipzig um, baut dort für gut zwei Millionen Euro eine Produktion für medizinische Schutzkleidung auf. Dafür erhält es nochmal gut eine Million Euro als anteilige Förderung.
Geschäftsführer und Eigentümer der jungen Firma, die nun millionenschwere Bestellungen in den Auftragsbüchern hat: Maximilian Karl S., ein damals 24-jähriger Wirtschaftsinformatiker. Hinweise, dass S. bis dato irgendwelche Erfahrungen im Bereich medizinischer Schutzausrüstungen sammeln konnte, gibt es auf seinem LinkedIn-Profil keine. Stattdessen finden sich im Netz Hinweise für Verbindungen in die CDU: S. soll nach einem Bericht der Leipziger Zeitung von 2012 in seiner Jugend Sprecher der Leipziger Schülerunion gewesen sein, einer Jugendorganisation der sächsischen CDU. Auf seinem Facebook-Profil sieht man ihn 2013 Wahlkampfplakate für Angela Merkels Bundestagswahlkampf in der Leipziger Innenstadt aufhängen. Die Bildunterschrift lautet: "Go Angie!". Ob S. CDU-Mitglied ist oder war und ob er deswegen bei der Auftragsvergabe aus dem damals CDU-geführten Gesundheitsministerium profitieren konnte? Auf Fragen dazu schweigt sich der Unternehmer aus. Die Leipziger CDU verweist auf den Datenschutz.
"Apotheke adhoc" berichtet 2022 über Verbindungen der Firma in die CDU
Das Portal "Apotheke adhoc" berichtete bereits 2022 darüber und über die Verbindungen eines weiteren SimpleBreath-Geschäftsführers in die CDU: Kevin S. Der wird im Februar 2017 vom CDU-Ortsverband Leipzig Nord zum Schriftführer gewählt. Laut Handelsregister ist er seit August 2021 Geschäftsführer des Unternehmens, seinem LinkedIn-Profil zufolge sogar schon seit Mai 2020. Davor war er seinen Profil-Angaben zufolge Referent bei der CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung und wechselte danach zu einer PR-Firma, der beste Verbindungen in die CDU nachgesagt werden: die Wolffberg Management Communication GmbH. Hinter der steht Peter Zimmermann, ehemals CDU-Staatssekretär in Thüringen und Sachsen. Kevin S. ist dort laut seinem Linkedin-Profil Referent der Geschäftsführung: Bis April 2020, genau jener Zeit also, zu der das Tender-Verfahren angeschoben und die SimpleBreath UG gegründet wurde. Kevin S. sei nur als Berater tätig gewesen, entgegnet Sandra Schneider, Geschäftsführerin der Wolffberg Management Communication GmbH – und davor Sprecherin im CDU-geführten sächsischen Finanzministerium.
Zimmermann war Anfang 2021 selbst in die Schlagzeilen gekommen, weil er im Oktober 2020 in Leipzig ein bis heute umstrittenes Spendendinner ausgerichtet haben soll, just für den damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn. Ein prominent besetztes Abendessen, bei dem die Teilnehmer zahlreichen Berichten zufolge 9.999 Euro an Spahns CDU-Kreisverband gespendet haben sollen – genau einen Euro unter der Grenze, ab der die Namen der Spender veröffentlicht werden müssen – und bei dem es sich laut Wolffberg-Geschäftsführerin Schneider um eine reine Privatveranstaltung gehandelt haben soll. Zimmermann, schreibt Schneider, habe Kevin S. weder mit Spahn bekannt gemacht noch ihm jemals finanzielle und/oder berufliche Vorteile außerhalb der Wolffberg Management Communication GmbH verschafft.
Nachfragen bei Gründern unbeantwortet, Gesundheitsministerium weicht aus
Wie konnte es also sein, dass eine Firma, die offenkundig bei Ausschreibung des Tender-Verfahrens noch nicht einmal existiert hat, deren Gesellschaftervertrag erst am letzten Tag der Bewerbungsfrist geschlossen wird und für deren Gründer sich keinerlei Branchenerfahrung finden lässt, einen derart hohen Zuschlag bekommt?
MDR Investigativ hat den beiden Simple-Breath-Geschäftsführern Maximilian S. und Kevin S. einen ausführlichen Fragenkatalog zur Firmengründung und zu ihren Beziehungen zu Spahn und Zimmermann geschickt. Die Fragen blieben auch auf mehrfache Nachfragen über verschiedenste Kanäle unbeantwortet. Auch am Firmensitz: kein Erfolg. Stattdessen verschwanden während der Recherche plötzlich Informationen über Maximilian S. neue Firma von seinem LinkedIn-Profil.
Auch das Bundesgesundheitsministerium will darauf nicht antworten, verweist stattdessen auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und den drastischen Bedarf an medizinischen Verbrauchs- und Versorgungsgütern im Frühjahr 2020 – und antwortet auch nicht auf die Frage, ob es üblich sei, Millionen-Aufträge an Firmen zu geben, die zum Zeitpunkt des Verfahrens erst in Gründung sind.
Deutlich knapper die Antwort von Jens Spahn: Auf Fragen darauf, ob er die Gründer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kannte oder ihnen einen Vorteil verschafft hat, antwortet ein Sprecher mit nur einem Wort: "Nein".
Grünen-Politikerin Piechotta: Das klingt verdammt nach Vetternwirtschaft
Für Paula Piechotta, Bundestagsabgeordnete der Grünen, dort Mitglied im Haushaltsausschuss und mit Leipziger Wahlkreis, scheint der Fall klar. Auf Nachfrage sagte sie MDR Investigativ: "Ein junger CDUler ohne große unternehmerische Erfahrung zieht mal eben einen riesigen Masken-Auftrag aus dem CDU-Gesundheitsministerium unter Jens Spahn an Land – und kommt auch noch aus dem Dunstkreis des CDU-Mannes, der für Spahn das Leipziger Spendendinner organisiert hat", resümiert Piechotta, und findet: "Das klingt verdammt stark nach Vetternwirtschaft unter CDUlern."
Auch wenn die Firma SimpleBreath wohl geliefert hat wie bestellt, zeigen die Bücher des Unternehmens heute: Für das junge Unternehmen war das alles offenbar nicht sehr nachhaltig. Seit Auslaufen des Tender-Vertrages mit dem Bundesgesundheitsministerium sinken Umsatz und Gewinn von SimpleBreath deutlich. Wenn kein neuer Großauftrag komme, sagte Kevin S. im Februar MDR exakt, würden die – mit mehr als einer Million Euro vom Bund geförderten – Maschinen noch in diesem Jahr abgebaut. Wieviel Geld genau wofür ausgegeben worden sei, was man beim nächsten Mal besser machen könne, all das solle man aufklären, forderte S. und warb dafür, dass der Staat sein Geschäftsmodell retten solle: "In Deutschland kriegen wir das auf Dauer günstiger hin, als wenn man dann in der Not bei ausländischen Produzenten für horrende Summen wieder Milliarden investieren muss", so Kevin S. damals gegenüber MDR exakt.
Mehr gelohnt haben könnte sich die Sache hingegen für die jungen Gründer. Nachdem die Maskendeals durch waren, gründeten beide neue Firmen, deren einziger Zweck es ist, Vermögen und Beteiligungen an anderen Unternehmen zu halten. In deren Büchern stehen inzwischen sechs- und siebenstellige Summen. Mit diesen privaten Vermögensverwaltungen stiegen beide wiederum in diverse andere Firmen ein – und verlegten sich auf ganz neue Geschäftsfelder: Beide sind jetzt im Beratungsgeschäft für politische Kommunikation und im Immobiliengeschäft tätig.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.