Kanzler Merz und NRW-Ministerpräsident Wüst trennen 20 Jahre und ein unterschiedlicher Politikstil. Die CDU-Politiker sind aufeinander angewiesen und üben öffentlich den Schulterschluss. Doch was ist mit Wüsts eigenen Ambitionen?
Zwischen Friedrich Merz und Hendrik Wüst scheint derzeit kein Blatt zu passen. Gleich mehrmals innerhalb weniger Tage treffen sich die beiden in Nordrhein-Westfalen. Zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung in Münster an diesem Montag kommt der Kanzler ebenso, wie er bereits am Samstag zu Gast war auf dem Parteitag des mitgliederstärksten Landesverbandes der CDU in Bonn. Und weil aller guten Dinge drei sind, soll am Freitag noch die gemeinsame Eröffnung eines Supercomputers im Forschungszentrum Jülich folgen.
Die beiden Christdemokraten treten dabei einmütig auf, überschütten sich mit Lob und kommen aus dem Händeschütteln gar nicht mehr heraus. Gemeinsame Videoclips für Instagram gehören ebenso dazu wie ein Gruppenfoto beider mit der Jungen Union. Die Botschaft ist stets ähnlich: "Seht her, Bund und Land gemeinsam, Merz und Wüst Hand in Hand, wir sind ein Herz und eine Seele."
Traute Einigkeit vor den Kommunalwahlen
Natürlich ist das alles kein Zufall. Der Grund sind die anstehenden Kommunalwahlen in NRW am 14. September. Sie sind die bedeutendsten Wahlen in diesem Jahr in der Republik nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar. Damit werden sie unwillkürlich zum Stimmungstest für die CDU, aber auch für die Politik der Berliner Koalition. Eins wissen die Wahlkämpfer der Union ganz genau: Uneinigkeit, gar Streit, können sie vor dieser wichtigen Abstimmung so gut gebrauchen wie Blasen vor einer Bergwanderung.
Ein schlechtes Abschneiden der CDU, die vor fünf Jahren mit 34 Prozent klar stärkste kommunalpolitische Kraft im Land wurde, wäre für beide, Wüst und Merz, ein Dämpfer. "Die CDU NRW ist der Schrittmacher für gute Wahlergebnisse in ganz Deutschland", rief der Kanzler den 600 Delegierten auf dem Landesparteitag zu. Das sollte Mut machen, der Jubel war groß. Dass in diesem Lob auch eine Erwartung zum Ausdruck kommt, wollten einige Delegierte lieber überhört haben. Wüst jedenfalls schloss daran gerne an: "Eine starke CDU tut unserem Land gut," donnerte er in den Saal.
Es gab auch andere Zeiten
Die zur Schau gestellte Männerfreundschaft der zwei CDU-Politiker wäre weiter nicht der Rede wert, hätten sie nicht schon ganz andere Zeiten erlebt. Nachdem Merz CDU-Chef geworden war und die Partei auf eine neuerliche Übernahme des Kanzleramts trimmen wollte, griff ihm der 20 Jahre jüngere Wüst aus dem fernen Düsseldorf gehörig in die Speichen.
Im Sommer 2023 erschien ein etwas verunglückter Gastbeitrag des Ministerpräsidenten in der FAZ mit dem Titel "Das Herz schlägt in der Mitte". Merz, der mit Wucht die liberale Merkel-Ära überwinden wollte, fasste das prompt als eine Provokation auf und war "stinksauer". Der Grundsatzprogrammprozess, an dem Generalsekretär Carsten Linnemann monatelang gearbeitet hatte, schien torpediert, im Berliner Adenauerhaus herrschte Entsetzen, alle redeten nur über den offenen Konflikt zwischen den beiden Parteifreunden.
Dass etwas aus dem Ruder zu laufen drohte, erkannte das Wüst-Lager dann schnell, wenn auch zu spät. Die Folge war eine notgedrungene Zurschaustellung herzlichster Einigkeit nur wenige Tage später. Merz und Wüst tranken gemeinsam ein Bier auf dem Sommerfest der NRW-Landesvertretung in Berlin, umringt von den neugierigen Blicken Hunderter Gäste und Dutzender Kameras. "Wir sind eine Kurve gefahren", fasste Merz später diese heiße Phase der Konkurrenz zusammen.
Wenig Unterschiede im Inhalt, aber im Stil
Dabei sind Merz und Wüst inhaltlich nicht so weit voneinander entfernt. Beide sind Westfalen, Juristen, Wirtschaftspolitiker und eher konservativ. Neben dem Alter trennt sie vor allem ein unterschiedlicher Stil. Wüst, der jung in der Politik begann und bereits eine Karriere mit Rückschlägen hinter sich hat, ist inzwischen vor allem darauf bedacht, alles unter Kontrolle zu haben. Er handelt überlegt, denkt die Dinge vom Ende her und ist eher ein Tüftler der Macht. Seinen Koalitionspartner, die Grünen, behandelt er öffentlich mit Respekt, die Schmerzpunkte der Ökopartei zu traktieren überlasst er gern seinem Innenminister Herbert Reul.
Merz dagegen ist weniger geschmeidig. Er zeigt Ecken und Kanten, fährt politisch gern mit Vollgas und leistete sich verbal schon mal den ein oder anderen Ausfallschritt. In der heimischen NRW-CDU hadern sie gelegentlich mit der "mangelnden Impulskontrolle" des Sauerländers. Allerdings gesteht man ihm zu, dass er als Kanzler inzwischen seine Rolle gefunden habe.
Grundsätzlich kanzlertauglich
Merz ist Kanzler in Berlin, Wüst Ministerpräsident in Düsseldorf. Die Lage könnte klarer nicht sein. Wüsts Ambitionen zielen derzeit vor allem darauf ab, 2027 bei der Landtagswahl erneut einen Sieg für die CDU im bevölkerungsreichsten Bundesland einzufahren. Eine dritte Legislatur in Folge in dem einstigen SPD-Stammland wäre mehr als nur ein Wahlerfolg, es wäre ein historischer Triumph für die Geschichtsbücher.
Allerdings gehört es zum tradierten Selbstverständnis eines NRW-Ministerpräsidenten, sich grundsätzlich für kanzlertauglich zu halten. Wer diese berufliche Weiterentwicklung ausschließt, zieht der Aussicht auf die eigene Machtvervollkommnung den Stecker und besiegelt sein politisches Schicksal. Hendrik Wüst hat erlebt, wie genau das Hannelore Kraft (SPD) passiert ist. Diese Lektion, daran besteht kein Zweifel, hat der 50-Jährige verinnerlicht.
Zum Abschied am Samstag überreichte die Wüst-CDU dem Kanzler auf der Bühne in Bonn eine Beethoven-Statue, "Beethoven in Gold", betonte Wüst. Dafür müsse Friedrich jetzt nur einen geeigneten Platz finden. Merz bedankte sich artig, Wüst strahlte, die Auslöser ratterten. Wie hatte doch der große Komponist und Sohn der Stadt einst geschrieben: "Warum den Augenblick nicht ergreifen, da er so schnell verfliegt."
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