Es ist Sozialbetrug im großen Stil: Kriminelle Banden locken Menschen aus Osteuropa mit falschen Jobversprechen nach Deutschland. Beantragtes Bürgergeld fließt in dunkle Kanäle. Die Kommunen schlagen Alarm.
Die Betrüger selbst leben im Luxus, bereichern sich auf Kosten der Gesellschaft und nutzen Jobsuchende, vor allem aus Bulgarien und Rumänien, gnadenlos aus. Die Masche läuft so: Betrüger bringen Menschen aus Osteuropa nach Deutschland, geben ihnen gefälschte Arbeitsverträge mit besonders niedrigem Lohn. Anschließend beantragen die Betroffenen Bürgergeld, um angeblich das Gehalt aufzubessern. Dieses Geld müssen sie dann aber größtenteils wieder an die Banden abgeben.
Möglich wird das durch günstigen Wohnraum, vor allem in Städten mit vielen Schrottimmobilien. Vermieter und Arbeitgeber sind dabei teils identisch oder eng verstrickt. Weil es solche Bedingungen aber nicht in allen Kommunen gibt, sei die Masche nicht bundesweit zu beobachten, heißt es aus dem Bundesarbeitsministerium. Besonders betroffen seien Städte im Ruhrgebiet, etwa Duisburg oder Gelsenkirchen. Dort kommt es regelmäßig zu Razzien und Festnahmen.
Ruhrgebiet besonders betroffen
"Ich glaube, dass hier viele Sachen zusammenkommen", sagt Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD). "Zum einen gibt es hier schon entsprechende Communities. Also das Ankommen wird relativ leicht gemacht. Es gibt verhältnismäßig viel günstigen Wohnraum im Vergleich zu anderen Städten. Da mag es auch noch andere Gründe geben, aber ich glaube, das sind schon wesentliche Argumentationen, die mir jedenfalls immer wieder vorgetragen wurden."
Nach Angaben der Jobcenter gibt es unterschiedlichste Betrugsformen: Arbeitgeber, die gar nicht existieren, falsche Stundenzahlen, Schwarzarbeit. Möglich macht dies auch die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit, die seit 2014 auch für Bulgarien und Rumänien gilt. Wer in einem EU-Mitgliedsstaat arbeitet und lebt, darf dort Sozialleistungen beantragen.
Zahlen steigen deutlich
Neue Zahlen der Bundesregierung belegen den Anstieg: 421 Verdachtsfälle bandenmäßigen Leistungsmissbrauchs wurden im vergangenen Jahr registriert - im Jahr zuvor waren es 229. Bis Mai dieses Jahres kamen bereits 225 Fälle hinzu.
"Diese Daten bilden jedoch die tatsächliche Situation nicht ab, da einerseits nicht alle Fälle und Rückmeldungen erfasst werden und andererseits es in der Natur der Sache liegt, dass hier von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist", so eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums.
In Gelsenkirchen zeigt sich ein ähnliches Bild wie in Duisburg. Menschen werden in maroden Häusern untergebracht, beantragen Bürgergeld und müssen es wieder abgeben. Die Stadt geht mit Razzien dagegen vor.
"Arbeitnehmerfreizügigkeit heißt doch: Jemand kommt hierher, arbeitet erstmal und wenn er dann unglücklicherweise die Arbeit verliert, dann soll er natürlich Sozialtransferleistungen bekommen. Aber direkt hierher zu kommen, eigentlich so gut wie nicht zu arbeiten und Tausende Euro als Verfügung für die Familie zu haben. Das führt zu einer sozialpolitischen Diskussion, die keinem gut tut", sagt Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD).
Bundesarbeitsministerin: "Mafiöse Strukturen"
Mehr als die Hälfte des Gelsenkirchener Haushalts fließt in Sozialleistungen. Betrügereien schmerzen dort doppelt. SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas sprach von "mafiösen Strukturen", die zerschlagen werden müssten. Laut Bundesarbeitsministerium führen die Jobcenter bereits jetzt zahlreiche Maßnahmen durch, um bandenmäßigen Leistungsmissbrauch aufzudecken und zu unterbinden. "Dazu gehören beispielsweise die Prüfung der Antragsunterlagen auf mögliche Unstimmigkeiten, Identitätsprüfungen, der Einsatz des Außendienstes sowie die Auswertung von Hinweisen Dritter und anonymer Anzeigen", so eine Sprecherin.
Die neue Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Datenaustausch zwischen den Behörden zu verbessern. Allerdings müssen sich dafür laut der Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums erst einmal die Ministerien unter sich verständigen.
So sei es Aufgabe des Bundesinnenministeriums, die Digitalisierung der Migrationsverwaltung voranzutreiben, die den Datenaustausch zwischen den Ausländer- und Leistungsbehörden verbessern soll. Das Bundesfinanzministerium sei dafür verantwortlich, die Digitalisierung der Schwarzarbeitsbekämpfung zu modernisieren. "Der Gesetzentwurf dazu soll noch im Herbst dieses Jahres vom Kabinett beschlossen werden. Die konkrete Ausgestaltung bleibt abzuwarten", so die Sprecherin.
Duisburgs Oberbürgermeister Link erwartet schnell Verbesserungen bei der Bekämpfung der Sozialbetrüger: "Ich erwarte auch im Interesse der ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, dass hier hingeguckt und gehandelt wird." Der Staat müsse endlich "Zähne zeigen".
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