Für die Grünen sind die Ost-Bundesländer ein hartes Pflaster: die Umfragewerte sind schlecht und Parteivertreter häufig Ziel von Angriffen. Auf ihrem Ostkongress hat die Partei die Lage vor den kommenden Landtagswahlen ausgelotet.

Es wirkt wie eine kleine Gruppentherapie. Auf Bierbänken sitzen 18 Grünen-Mitglieder im Kreis: "Ich bin vom Land in die Stadt geflüchtet, da fühle ich mich etwas sicherer", erzählt eine Frau mit schwarzem Pullover und Brille, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen will. Eine andere Teilnehmerin berichtet von Rechtsradikalen im Bus ihrer Heimatstadt.

Es ist ein Workshop der Grünen, der den "Umgang mit Parolen" lehren soll: eingreifen, dagegen halten, Hilfe holen - oder schweigen? "Gerade wenn ihr offen grün unterwegs sein, müsst ihr euch vorher eure Optionen überlegen", sagt Kursleiter Harald Schwalbe.

"Offen grün sein" - das ist hier tatsächlich die Formulierung. Das klingt nach etwas, das gefährlich werden könnte. Und das ist es mancherorts im Osten auch. Es gab bereits Angriffe auf Mitglieder, Schäden an Parteibüros. Teils ist es schwierig, Wahlkämpfer zu finden. Es könnte eine Dynamik entstehen, die die Partei im ländlichen Thüringen oder im sächsischen Dorf noch weniger sichtbar macht. 

Kommt eine Ostquote?

Auf ihrem ersten Ostkongress in der Lutherstadt Wittenberg will die Parteispitze dem entgegen wirken: Die Mitglieder im Osten sollen bestärkt werden - und geschult im Umgang mit Hass. 500 Grüne aus der ganzen Republik sind angereist, um zu diskutieren, Strategien zu finden - oder sich schlicht gegenseitig Mut zu machen.

Das Ziel: Im kommenden Jahr wieder in die Landtage von Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern einziehen. Das dürfte schwer genug werden. In Sachsen-Anhalt liegt die Partei in den Umfragen derzeit bei drei Prozent. In Brandenburg und Thüringen flogen sie 2024 schon aus den Parlamenten und kämpfen dort seitdem um ein kleines Stück Sichtbarkeit.

"Immer da, wo wir nicht sind, erzählt die AfD, wie wir angeblich sind", sagt Paula Piechotta, Bundestagsabgeordnete aus Leipzig. Man komme nicht gegen Klischees in den Köpfen an, etwa das von der Wessi-Partei, wenn man vor Ort keine Identifikationsfiguren anbiete. 

Deshalb hat sie, gemeinsam mit anderen Ost-Grünen, zum Kongress ein Positionspapier veröffentlicht. Darin fordert sie unter anderem, die Partei müsse "Personen mit ostdeutschem Hintergrund nach vorn stellen". In einer Saaldiskussion fragt Piechotta in Wittenberg die Teilnehmer: "Wer ist dafür, dass wir eine Ostquote auf dem Parteitag abstimmen?" Und viele Hände gehen nach oben.

Westdeutsche an der Spitze

Bislang stammen die Spitzen-Grünen fast immer aus dem Westen. Die Fraktionsspitze im Bundestag ist mit zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen besetzt. Die Parteispitze kommt aus NRW und Baden-Württemberg. Und auch andere grüne Promis wie Cem Özdemir oder Anton Hofreiter sprechen hörbar süddeutsche Dialekte. Die Partei hat es verpasst, während ihrer Höhenflüge vor vier, fünf Jahren auch neue ostdeutsche Identifikationsfiguren aufzubauen.

Eine Quote kann man also schon als Provokation gegenüber dem Partei-Establishment sehen. "Quoten findet niemand toll", verteidigt Piechotta ihren Vorschlag. "Aber sie sind am Ende, das kann man an der Frauenquote sehen, eins der wenigen Mittel, die wirklich funktionieren."

Ostbüro in Brandenburg geplant

Die Bundesspitze wählt andere Wege: Für die Wahlkämpfe soll zusätzlich Geld aus der Parteikasse in den Osten fließen. Auch Grüne aus dem Westen sollen möglichst oft in den Osten reisen. In diesem September schon wollte Parteichef Felix Banaszak eine Art Ostbüro in Brandenburg an der Havel eröffnen. Das hatte er im Sommer groß angekündigt. 

Doch der Termin verzögert sich. Es gebe vom Bundestag mehr Auflagen als gedacht, heißt es intern. Ist das schon symptomatisch dafür, wie schwer ein ostdeutsches Comeback den Grünen fällt?

Mit Blick aufs kommende Jahr wiederum verspricht Banaszak, man werde "mit so vielen Menschen wie noch nie Wahlkampf machen". Gleichzeitig dürfe das nicht als "Aufbau Ost oder Entwicklungshilfe" wahrgenommen werden, schränkt er ein. Denn das könnte fürs Image der Partei kontraproduktiv sein.

Enttäuschung über Positionen der Bundespartei

Wer die Gespräche auf dem Schlosshof in Wittenberg oder rund um das Stadthaus hört, der merkt an diesem Wochenende auch: Viele Ost-Grüne sind unzufrieden darüber, wie die Bundesspitze etwa zum Ukraine-Krieg kommuniziert. Es sei viel zu oft um Waffenlieferungen gegangen. Das habe gerade ehemalige Friedensbewegte im Osten abgestoßen. Man habe zu martialisch und zu wenig über das Ziel - den Frieden - gesprochen, lautet eine Analyse. 

Felix Kalbe, grüner Stadtrat in Gotha, will auf dem Kongress noch einen anderen Punkt deutlich machen: Die Angriffe und Einschüchterungen seien "nicht allein ein Grünen-spezifisches Problem", sagt er. In seiner Heimat ist an einem Wahlkreisbüro ins Glas geritzt worden: "Volksverräter tötet euch". "Aber ich habe auch Kolleginnen und Kollegen, die keiner Partei angehören oder in der SPD sind, die ähnliche Erfahrungen machen."

Für ihn ist wichtig, dass die Behörden endlich mehr gegen Gewalt tun, die Kommunalpolitiker trifft: "Täter müssen dingfest gemacht werden", fordert Kalbe. "Und sie müssen schnell die Konsequenzen spüren." Bislang verliefen Ermittlungen zu oft ins Nichts, findet er.

"Wenn man in Thüringen offen grün ist, dann ist man so was wie ein Einhorn", sagt Felix Kalbe noch. Was ihm und seinen Mitstreitern Hoffnung macht: Seit dem Ampel-Aus sind die Parteieintritte rasant gestiegen. Knapp 170.000 Mitglieder haben die Grünen inzwischen, davon allerdings nur etwa 12.000 im Osten. Die Herausforderung für die Partei ist es, aus diesem Mitgliederboom auch Wahlerfolge zu machen - nicht nur in Sachsen-Anhalt.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.