Bei Herzstillstand zählt jede Minute. Doch ob der Rettungswagen rechtzeitig eintrifft, variiert in Deutschland. Das belegt eine aktuelle Studie. Vor einem Jahr kündigte die Regierung eine Reform an. Was ist daraus geworden?
Wer einen Herzstillstand erleidet, benötigt schnell einen Rettungswagen. Eine im September veröffentlichte Studie der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) belegt, dass professionelle Hilfe in Deutschland nicht überall gleich schnell eintrifft - und die Überlebenschance mit jeder Minute Verzögerung sinkt.
Die Bundesländer legen zwar selbst fest, wie schnell ein Rettungswagen bei einem Herzstillstand vor Ort sein muss. Die Bundesregierung kann aber über Vergütungsregelungen der gesetzlichen Krankenversicherung die Qualität der Rettungsdienste fördern. Üblicherweise liegt die Zeitspanne zwischen acht und 15 Minuten. Medizinische Fachgesellschaften fordern jedoch strengere Vorgaben: In mindestens 80 Prozent der Fälle sollen die Retter innerhalb von acht Minuten eintreffen.
Bereits vor einem Jahr brachte die damalige Ampel-Regierung einen Gesetzentwurf auf den Weg, um die Qualität der Rettungsdienste bundesweit zu vereinheitlichen. Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, erklärt jedoch: "Der fertig ausgehandelte Gesetzentwurf liegt seit Monaten beschlussfertig vor." Doch der Ampel-Bruch bremste das Vorhaben aus. Die neue Regierung hat bisher keine eigene Reform umgesetzt.
Rettungsdienste sind zu oft zu langsam
Die aktuelle Studie zeigt, dass nur zehn von 16 Bundesländern die Anforderung der Fachgesellschaften erfüllen. In drei Bundesländern erreichen die Rettungsdienste in weniger als zwei Drittel der Fälle die Betroffenen innerhalb von acht Minuten.
Zur Methode Die Autoren des BAND haben den Artikel im Fachmagazin "Die Anaesthesiologie" veröffentlicht. Titel: "Eintreffzeiten des Rettungsdienstes bei außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand - überlebensrelevante Unterschiede zwischen den Bundesländern in Deutschland". Grundlage sind Daten aus dem Deutschen Reanimationsregister, einer überregionalen Datenbank zu Reanimationen im Rettungsdienst und in Kliniken. Die Autoren werteten Daten von mehr als 100.000 Patientinnen und Patienten aller Bundesländer im Zeitraum von 2014 bis 2024 aus. Auch das SWR Data Lab hat 2024 ähnliche Ergebnisse auf ähnlicher Datengrundlage veröffentlicht.Studienautor Mathias Fischer betont: "Das bedeutet für unsere Bürgerinnen und Bürger, dass sie mit zu späten Eintreffzeiten eine geringere Chance auf Überleben nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand haben. Medizinisch gesehen sollten Patienten in weniger als fünf Minuten vom Rettungsdienst erreicht werden." Laut Studie sinkt die Überlebenschance pro Minute um mehr als 3,5 Prozent.
Die Studienautoren nennen keine spezifischen Bundesländer, um keinen politischen Einfluss zu nehmen. Sie fordern jedoch "einheitliche und möglichst kurze Eintreffzeiten".
So gut ist die Notfallrettung bei Ihnen vor Ort Das SWR Data Lab hat im vergangenen Jahr ähnliche und weitergehende Datenanalysen veröffentlicht. Die Missstände bestätigte der ehemalige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und kündigte eine Reform der Notfallversorgung an. Wie gut die Notfallrettung bei Ihnen vor Ort ist, können Sie unter notfallrettung.swr.de nachschauen.Reform der Notfallversorgung ins Stocken geraten
Im Oktober 2024 erarbeitete die vergangene Ampel-Regierung einen Gesetzesentwurf zur Reform der Notfallversorgung. Dieser sieht unter anderem vor, Rettungsdienste mit vorhandenen digitalen Notrufabfragen durch stärker vernetzte Systeme zu entlasten. Weniger kritische Notfälle sollen an die Akutleitstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen abgegeben werden, um mehr Personal für lebensgefährliche Notfälle bereitzustellen. Retter könnten so schneller bei Notleidenden sein. Außerdem sollen die Rettungsleitstellen einheitliche Qualitätsstandards erfüllen.
Der Vorschlag gilt jedoch nur für Rettungsleitstellen, die bereits die notwendige Software zur digitalen Notrufabfrage und Datenverarbeitung haben. Recherchen des SWR zeigen, dass ein Fünftel der Rettungsdienstbereiche keines der wissenschaftlich empfohlenen Systeme nutzt, daher von dem Entwurf unberührt bleiben könnte.
"Armutszeugnis politischen Handelns"
Im aktuellen Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD wurden Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform zwar angekündigt, "Detailfragen" zur Reform könne das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf SWR-Anfrage zum jetzigen Verfahrenszeitpunkt jedoch nicht beantworten. Der öffentliche Beratungsstand im Informationssystem des Bundestags lautet: "Erledigt durch Ablauf der Wahlperiode".
Janosch Dahmen kritisiert, die aktuelle Regierung habe in ihrer Einarbeitungsphase offenbar so viel Angst, etwas falsch zu machen, dass das nötige Gesetz nicht umgesetzt würde. "Eine Notfall - und Rettungsdienstreform ist längst überfällig und könnte nun in einem beschleunigten Verfahren schnell durchgebracht werden. Das könnte jährlich fünf Milliarden Euro einsparen."
Unter dem politischen Zögern würden Patientinnen und Patienten sowie das Rettungsdienst-Personal inzwischen gleichermaßen leiden. "Das ist ein Armutszeugnis gesundheitspolitischen Regierungshandelns - und wortwörtlich lebensgefährlich."
Sebastian Gülde, Sprecher des Gesundheitsministeriums, erklärt: "Auf der Grundlage des alten Entwurfes wird gegenwärtig ein neuer Entwurf gefertigt. Die Regelungen werden teilweise konkretisiert und weiterentwickelt. Der Referentenentwurf soll noch in diesem Jahr vorgelegt werden." Dabei würden auch Fachartikel wie die aktuelle Studie zu den Eintreffzeiten sowie Verbände des Rettungsdienstes berücksichtigt.
Reform erleichtert Verbesserungen
Rafael Trautmann, Sprecher der AG Leitstelle der Deutschen Gesellschaft für Rettungswissenschaften, kritisiert die Verzögerungen. Er erklärt, dass einige Länder auf die Gesetzgebung des Bundes warten, um ihre Rettungsdienst-Gesetze anpassen zu können. Die Reform der Bundesregierung sei notwendig, um die Finanzierung der notwendigen Veränderungen zu sichern. Trautmann betont: "Wir haben kein Wissensproblem, sondern ein Umsetzungsproblem."
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