Offiziell ist die AfD für die Wehrpflicht - doch schon länger gibt es in der Partei Widerstand dagegen. Der Streit offenbart einen tiefer liegenden Konflikt zwischen Ost- und Westverbänden.

Das Hotel Krämerbrücke in Erfurt, direkt neben der historischen Brücke, dem bekanntesten Wahrzeichen der Stadt: Hier tagt am Wochenende der Bundesfachausschuss für Außen- und Sicherheitspolitik der AfD. Besonders Tagesordnungspunkt 6 sorgte in der Partei für reichlich Diskussionsstoff: "Vorstellung Antrag Bundestagsfraktion: Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sichern - Wehrpflicht reaktivieren".

Der Antrag stammt vom verteidigungspolitischen Sprecher Rüdiger Lucassen. Für den ehemaligen Oberst ist die Wehrpflicht ein zentrales Element der AfD. Sie sei DNA der Partei: "Wir brauchen Soldaten, die mit Volk und Vaterland verankert sind. Und das kann nur über Wehrpflichtige sichergestellt werden."

Lucassen will den Änderungsantrag im Bundestag einbringen, sobald Union und SPD ihren Freiwilligendienst einbringen. Es wäre der Moment, in dem die AfD die Koalition beim Thema Wehrpflicht vor sich hertreiben könnte - sich als Patrioten inszenieren gegen eine zaudernde Regierung. Im Übrigen in einer Zeit, in der der AfD-Abgeordnete Maximilian Krah unter dem Verdacht steht, für fremde Mächte spioniert zu haben.

Chrupalla gegen Wehrpflicht, Weidel dafür

Eigentlich war die Position innerhalb der AfD klar: Die Partei fordert die Wiedereinführung der Wehrpflicht seit Jahren. Die Forderung steht im Grundsatzprogramm. Landesverteidigung - das ist für die AfD Ausdruck von Patriotismus.

Und doch ist die Sache kompliziert. Die AfD wäre nicht die AfD, würde sie nicht auch öffentlich streiten. 2024 sind die beiden Parteichefs zeitgleich in Sommerinterviews. Tino Chrupalla sagt in der ARD: "Ich persönlich bin aktuell gegen die Einführung der Wehrpflicht." Alice Weidel entgegnet im ZDF: "Natürlich gilt die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das steht bei uns im Programm."

Tino Chrupalla spricht vielen Wählerinnen und Wählern im Osten aus der Seele - dort, wo die AfD ihre besten Ergebnisse erzielt. Das hat Gewicht. Im Wahlkampf in Sachsen ruft er in einen Saal: "Ich bin Familienvater. Ich habe zwei Söhne. Meine Söhne bekommt ihr nicht!" Der Jubel ist groß. Die AfD will im Osten vor allem Friedenspartei sein.

So sieht es auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Auch er ruft vergangenes Jahr auf einem Marktplatz in Bad Frankenhausen: "Wir brauchen eine neue Partnerschaft mit Russland. Dieser Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden."

Höcke: Wehrpflicht ja - nur nicht jetzt

Als die Ostverbände von dem Wehrpflicht-Antrag erfuhren, starteten sie eine Gegeninitiative. Eine Resolution unter dem Slogan "Keine Wehrpflicht für fremde Kriege" macht mobil gegen den Antrag. Im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio betont Höcke, dass er grundsätzlich zur Wehrpflicht stehen würde - nur eben nicht jetzt: "Wir möchten nicht, dass die wenigen jungen Männer, die wir haben, für fremde Kriege, für Geld und Machtinteressen fallen. Das ist kein Ansatz für die AfD." Es spricht aus seinen Worten auch großes Misstrauen in den Staat und in die Institutionen.

Im Antrag, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, wurde inzwischen ein Satz in der Begründung ergänzt: "Der Einsatz von Wehrpflichtigen für fremde Kriege ist auszuschließen." Was genau mit "fremden Kriegen" gemeint ist, bleibt dabei unklar.

Die Gemüter konnten mit dem Zusatz bislang nicht beruhigt werden. Die Gegner wollen weiterhin verhindern, dass es zu einer Abstimmung des Antrags in der Fraktion kommt, was eigentlich für die nächsten Sitzungswochen geplant ist. Diese Woche wurde in einer Mail zu einem Treffen eingeladen, wie der "Antrag verhindert werden kann".

Am Ende geht es in der Debatte aber um mehr als nur die Wehrpflicht - es geht um Machtverhältnisse innerhalb der AfD: zwischen den Verbänden im Osten und denen im Westen.

Wer hat das Sagen - Ost oder West?

Die Wahlerfolge und hohen Umfragewerte überdecken einen tieferliegenden Konflikt um eine alte Frage in der Partei: Wer hat das Sagen in der AfD? Das Verhältnis der Abgeordneten hat sich in dieser Legislatur verschoben. In der letzten war es mehr oder weniger fifty-fifty - jetzt stammen nur noch 42 der 151 Bundestagsabgeordneten aus ostdeutschen Verbänden. Die Westverbände haben somit deutlich mehr Macht.

Hört man sich in der Partei um, begegnet man viel Unmut, der sich angestaut hat. Der Fokus auf den Osten und die dortigen Wahlerfolge ist manchen im Westen seit Langem zu viel. "Die müssen im Osten mal zurechtgestutzt werden", heißt es, oder: "Die Rufe aus dem Thüringer Wald" - gemeint ist Höcke - sollten dort "verhallen". Man schenke dem viel zu viel Aufmerksamkeit.

Es geht um Machtdemonstration und um inhaltliche Differenzen - nicht nur bei der Wehrpflicht, sondern grundsätzlich bei der außenpolitischen Ausrichtung der Partei. Die Diskussionen über die Außenpolitik in der Partei sind in vollem Gange.

In den vergangenen Jahren galt die AfD als dem Kreml nah und skeptisch gegenüber den USA. Immer wieder sorgten Abgeordnete für Schlagzeilen, die enge Verbindungen nach Russland pflegen. Chrupalla etwa wird von einem Umfeld beraten, das als russlandfreundlich gilt. Der Fraktionschef feiert 2023 nach Ausbruch des Krieges in der russischen Botschaft den Jahrestag des Sieges über Deutschland im Zweiten Weltkrieg.

Weidel: Fokus auf die USA und Trump

Umso bemerkenswerter war der Auftritt von Weidel diese Woche bei einer Pressekonferenz vor der Fraktion. Sie kritisierte Russland offen nach Vorfällen im NATO-Luftraum, die Russland zugeschrieben werden: "Ich glaube, dass auch Russland dazu aufgerufen ist, sich deeskalierend zu verhalten", sagte sie und ergänzte: "Man sollte die Geduld von Trump nicht auf die Probe stellen."

Daneben stand Chrupalla. Er hat zwei Minuten vorher noch ganz anders geklungen, bei den Ereignissen von "Propaganda" gesprochen. Es zeigt deutlich, wo Weidel - die aus dem Landesverband Baden-Württemberg stammt - außenpolitisch den Fokus setzen will: auf Amerika, auf die Trump-Administration. Sie soll Kontakt zur US-Regierung halten.

Nun fliegt am Wochenende auch einer ihrer engsten Verbündeten im Bundestag, Markus Frohnmaier, nach Washington D.C.: "Die Trump-Administration ist für uns natürlicher Partner, mit dem wir die Beziehungen intensiver gestalten wollen", sagt Frohnmaier.

Dem AfD-Spitzenkandidaten in Baden-Württemberg wurde zuletzt eher eine Nähe zu Russland nachgesagt. Die Orientierung gen Amerika dürfte strategischer Natur sein. Frohnmaier erhofft sich von den USA auch Unterstützung im Hinblick auf ein drohendes AfD-Verbotsverfahren. Die US-Administration hatte sich zuletzt bereits öffentlich an die Seite der AfD gestellt.

Höcke: US-kritisch und russlandfreundlich

Höcke ist seit jeher US-kritisch, gegen eine globale Vormachtstellung Amerikas und vermeintliche elitäre Dekadenz, und ist für einen russlandfreundlichen Kurs bekannt. Höcke betont im Interview, dass er die Kontakte zur Trump-Administration begrüße, auch die Aussage von Weidel will er nicht kritisieren: "Sicherlich hat man auch mal Anlass, Russland zu ermahnen, nicht zu überziehen." Gleichzeitig betont er auch, dass er der festen Überzeugung sei, dass es eine "neue deutsch-russische Freundschaft" brauche.

Gerade in der Außenpolitik scheint sich in diesen Wochen einiges bei der AfD zu bewegen. Was die Wehrpflicht angeht, sind die Unterstützer der Wiedereinführung optimistisch, dass der Antrag in der nächsten Fraktionssitzung angenommen wird. Doch ob man den Antrag dann am Ende auch tatsächlich im Bundestag einbringt, um die schwarz-rote Koalition wie beabsichtigt vor sich herzutreiben - da schwindet die Zuversicht schon wieder.

Mit diesem und weiteren Themen beschäftigt sich heute Abend um 18 Uhr der Bericht aus Berlin im Ersten.

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