Unter "Habeck Live" ist der Ex-Vizekanzler nun auf der Bühne des Berliner Ensembles: nicht mit einem Theaterstück, sondern mit Gesprächspartnern. Eine neue Hauptrolle sucht er trotzdem - zusammen mit Volker Wissing.

Ein Holztisch, drei Stühle und Wassergläser - so karg ist die Bühne des Berliner Ensembles selten eingerichtet. Robert Habeck begrüßt am Bühnenrand zu einer "Sonntagsmatinée", so nennt er es selbst, und schiebt schnell nach: "Ich will nicht Moderator werden und nicht in die Rolle des Politikers zurück." 

Aber wo will Habeck mit sich hin? Seine neue Gesprächsreihe dürfte Teil genau dieser Selbstfindung sein. Nach dem Ampel-Aus und einem wenig erfolgreichen Wahlkampf fragt sich nicht nur seine eigene Partei: Wie sehr ist Habeck noch Grüner? Oder überhaupt politisch? Und wie oft sucht er die große Bühne? 

Drei Ehemalige

"Mein Suchen findet gerade öffentlich statt", gesteht er vor immerhin vollem Haus. Sein Ziel für den Moment sei einfach "mit normalen Menschen ein normales Gespräch führen". Aber ganz so normal sind seine Gäste für diesen Auftakt dann doch nicht: Die ehemalige ARD-Talkshow-Moderatorin und heutige Podcast-Macherin Anne Will nimmt am Holztisch Platz. Neben ihr sitzt Ex-Verkehrsminister Volker Wissing, inzwischen parteilos, den Habeck fortan immer nur "den Volker" nennen wird. 

Beide Ex-Politiker, das wird schnell klar, leiden auf ihre Weise bis heute am Scheitern der Ampel und an der politischen Welt überhaupt. Das alles ohne viel Selbstkritik. Nur bleiben beide - und das sind die spannenderen Momente des Nachmittags - uneins, woran das liegt. 

"Brauchen Demokratien den Notfall?", ist die Ausgangsfrage der Veranstaltung. Es gehe um das Gefühl von immer mehr Krise und Zuspitzung "in dieser Welt, in der der Volker und ich unterwegs waren", so umreißt es Habeck. 

Ein Tisch, drei Stühle und eine Bühne: Vor zahlreichen Besuchern diskutierte Habeck mit Anne Will und Volker Wissing.

Von Podcasts und TikTok

Er outet sich gleich zu Beginn als Podcast-Fan. In einer schnelllebigen Welt seien das Formate "voller Intimität, wo man einem Gedanken folgen" könne. Im Grunde scheinen Robert Habecks Gedanken vor allem um die Frage zu kreisen: Warum kann die Welt nicht ein bisschen mehr wie ein Podcast sein? 

Seine Analyse: "Unsere Welt fordert permanenten Streit." Am erfolgreichsten seien die, die das "radikal bespielen". An Will gerichtet sagt er: "Der Gau für Ihre Sendung war doch, wenn ich dem politischen Mitbewerber Recht gebe." Im Studium habe er Marshall McLuhans Thesen gelesen: "Das Medium ist die Botschaft." Und genau deshalb gebe es jetzt "völlig sinnlose 20-Sekunden-Takes in Bundestagsreden, die man drei Stunden später auf TikTok sieht". 

"Ist doch nicht schlimm, wenn man einer Meinung ist"

Volker Wissing hört solchen Ausführungen meist mit einem Lächeln zu, nähert sich dem Problem aber eher von der individuellen Verantwortung. Ein bisschen liberal klingt er schon noch, wenn er sagt: "Vom Einzelnen geht mehr Möglichkeit aus, als wir es uns zugestehen." Er fordere von allen "mehr Disziplin und Contenance, sich nicht von den sozialen Medien hochpeitschen zu lassen".

Jede Partei, so Wissing, würde ständig einen Unique Selling Point, also ein Alleinstellungsmerkmal, suchen. Selbst wenn man sich eigentlich in einer Koalition etwa bei der Ukraine-Unterstützung einig sei, gehe es dann um einzelne Waffengattungen. "Das hat auch die Regierung, der wir gemeinsam angehört haben, belastet", sagt er. Den ersten Szenenapplaus des Nachmittags bekommt Wissing für den Satz: "Es ist doch nicht schlimm, wenn man mal einer Meinung ist!"

Im Publikum sitzen viele jüngere Zuschauer. Sie freuen sich hörbar, wenn hier die Ampel-Koalition verteidigt wird. Nehmen aber auch Spitzen wahr - etwa als Anne Will davon spricht, dass man "ein Bundestagsmandat auch ernst nehmen" müsse. 

Habeck hat sein Mandat im September nach einer langen Phase des Überlegens abgegeben. "Geh mit Gott - Hauptsache weit weg", hat ihm Intimfeind und CSU-Chef Markus Söder nachgerufen. In der eigenen Partei würde sich mancher wünschen, dass Habeck in den Wahlkämpfen 2026 auch im Osten Präsenz zeigt. Andere sind nicht sicher, ob das eher Wähler vergrault. 

Regierungstipps mit Robert und Volker?

Und so bleibt auch Habecks Rolle für die eigene Partei weiter offen. Er selbst kommt bei diesem Auftritt immer wieder auf die Podcast-Welt zurück. Ein wenig wirken die gut anderthalb Stunden im Berliner Ensemble wie eine XXL-Folge "Regierungstipps mit Robert und Volker". An einer Stelle schlägt Habeck, vielleicht an Schwarz-Rot gerichtet, drei Wege vor, um Koalitionsstreits zu lösen. 

Man könnte erstens einen Deal machen, über verschiedene Themen hinweg. Jeder Koalitionspartner gönnt dem anderen etwas. Zweitens, so Habeck, könnte man "so lange reden, bis man sich einig ist". Der dritte Weg: "Man zündet ein Strohfeuer an, eine symbolische Debatte." Und während man drei Wochen in Talkshows darüber diskutiert, mache man "da, wo das Licht nicht hinfällt, die eigentlichen Dinge, die wichtiger sind". Es sind Tipps, die gut passen zu dem Bühnenbild, das schon in der Tiefe des Theaters sichtbar ist: Ein riesiges Metallgestell aus Leitern und Podesten steht hinter den drei Diskussionsteilnehmern. Die Aufbauten für die "Dreigroschenoper", die am Abend gespielt wird. 

Volker Wissing schüttelt an dieser Stelle den Kopf angesichts von so viel Hinter-den-Kulissen-Geschacher. Er rät vom "Verdealen" und "sachfremden Paketen" ab. Wissing rät zu besserem Erwartungsmanagement: "Immer wenn eine Regierung neu in Ämter kommt, tut sie so, als gründe sie die Republik neu." Das könne doch nur zu Enttäuschungen führen. Bei Migrationsproblemen gebe es zum Beispiel keine einfachen Antworten. 

Autor Wissing - und Podcaster Habeck?

Wissing schreibt gerade an einem Buch, in dem er diese Gedanken zusammenfasst. Habeck selbst scheint mit einer Podcast-Karriere zu liebäugeln. Nicht unwahrscheinlich also, dass Wissings Werk im kommenden Jahr gemeinsam am Mikro vorgestellt wird. 

So viel Rollenfindung passt für die beiden Ex-Politiker in einem Theaternachmittag. "Ich glaube, weiter kommen wir heute Abend nicht", sagt Habeck am Ende, bevor er das Publikum entlässt.

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