In Münster laufen gleich zwei große Strafverfahren wegen schwerer Zwangsprostitution. Angeklagt sind acht Personen, die junge Frauen systematisch ausgebeutet haben sollen. Interessenorganisationen kritisieren den Mangel an Anlaufstellen für Opfer.
Die Angeklagten scheinen das Gericht nicht sonderlich ernst zu nehmen. Sichtlich genervt und gelangweilt verfolgen sie die fast einstündige Verlesung der Anschlageschrift. Dabei wiegen die Vorwürfe schwer. Sie sollen unter Vortäuschung von Liebes- oder Freundschaftsbeziehungen mehrere Minderjährige und junge Frauen zur Prostitution gezwungen haben. Die Opfer waren teilweise erst 15 Jahre alt.
Angeklagt sind eine 26-jährige Frau und zwei Männer im Alter von 32 und 36 Jahren. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, zwischen Ende 2022 und Anfang 2025 insgesamt 80 Taten in verschiedenen Städten in Nordrhein-Westfalen begangen zu haben. Die 26-Jährige soll Hotels gebucht und Anzeigen in entsprechenden Internetportalen geschaltet haben, damit die Opfer möglichst viele Freier bedienen. Ein Mädchen soll schwanger geworden sein. Laut Anklage wurde sie dann in die Niederlande gebracht, wo sie gegen ihren Willen eine Abtreibung durchführen lassen musste.
Zwei Prozesse innerhalb von fünf Tagen
Bereits in der vergangenen Woche hatte, auch am Landgericht in Münster, ein Verfahren gegen zwei 33 und 36 Jahre alte Brüder, deren 56 und 60 Jahre alten Eltern sowie eine 37-jährige Frau begonnen. Sie sollen "teils gemeinschaftlich, teils alleine Taten der schweren Zwangsprostitution begangen haben, beziehungsweise die Prostitution junger Frauen unterstützt und gefördert haben", sagt der Sprecher des Landgerichts Münster, Henning Barton.
Seit 2023 sollen sie zwei junge Frauen gegen deren Willen mit Einsatz von Gewalt zur Prostitution gezwungen zu haben. Eines der Opfer soll jünger als 18 Jahre gewesen sein. Die Eltern sollen ihre Wohnung immer wieder für die Taten zur Verfügung gestellt haben, obwohl sie das Alter der Mädchen kannten.
Keine Anlaufstellen für Opfer
Zwei Fälle in Münster innerhalb eines kurzen Zeitraums - das sorgt für Diskussionen in der Region. Susanne Kock vom Verein für die Rechte von Sexarbeitenden (VRESA) geht bei Zwangsprostitution von einer hohen Dunkelziffer aus. Für die Betroffenen gebe es keine professionelle Hilfe: "Wir haben hier in Münster keine Anlaufstelle, die explizit zu Menschenhandel arbeitet", erklärt Kock. "Das heißt, wir übernehmen das mit, wir haben dann den Kontakt zu den betreffenden Personen. Wir vermitteln sie weiter, obwohl wir eigentlich nicht spezifisch dazu arbeiten."
Der Verein bietet eigentlich Beratung in individuellen Anliegen wie zum Beispiel Steuerfragen an und setzt sich für politische und gesellschaftliche Akzeptanz der Sexarbeit ein.
Zwangsprostitution und Menschenhandel stehen in Deutschland unter Strafe. Prostitution ist dagegen legal und im 2017 verabschiedeten Prostituiertenschutzgesetz geregelt: Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter müssen sich anmelden, es besteht eine Kondompflicht, vorgeschrieben sind außerdem regelmäßige Gesundheitschecks und Überprüfungen der Betriebe.
Strengere Gesetze in Skandinavien
Anders sieht es in skandinavischen Staaten aus. In Schweden beispielsweise ist der Kauf von sexuellen Dienstleistungen verboten, der Verkauf hingegen wird nicht bestraft. Demnach machen sich Freier und Bordellbetreiber strafbar, Prostituierte jedoch nicht. Schweden hat diese Gesetzgebung 1999 eingeführt, daher die Bezeichnung "Nordisches Modell".
Eva arbeitet als Prostituierte in der "Wunschfabrik" in Münster. Ihr Alter gibt sie mit 34 an. Von einem Sexkaufverbot wie in Skandinavien hält sie wenig: "Das führt nur dazu, dass noch mehr Sexarbeiterinnen in die Illegalität gedrängt werden", befürchtet sie.
Das sieht auch die Diakonie so. Sie lehnt das Nordische Modell ab, "weil es die Lage von Prostituierten verschlechtert, das Risiko von Gewalt und Krankheiten erhöht und den Zugang zu Unterstützung und medizinischer Versorgung erschwert", sagte Vorständin Elke Ronneberger dem Evangelischen Pressedienst. Die Erfahrungen aus Ländern mit einem Sexkaufverbot zeigten, dass Prostitution aufgrund des Verbotes von legalen Tätigkeitsorten in gefährliche und prekäre Bereiche abgedrängt werde.
Aktuelles Gesetz mit "Stärken und Schwächen"
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat sich im Auftrag der Bundesregierung mit der aktuellen Gesetzeslage auseinandergesetzt und Menschen befragt, die der Prostitution nachgehen. Studienleiter Tillmann Bartsch sieht im aktuellen Gesetz "Stärken und Schwächen". Das Anmeldeverfahren werde zwar umgesetzt, aber das Ziel, dadurch auch Betroffene von Menschenhandel zu erkennen, sei noch nicht erreicht - unter anderem wegen der teils mangelnden Ausbildung der Beschäftigten.
Die beiden aktuellen Fälle werden das Landgericht Münster noch längere Zeit beschäftigen. Die Urteile werden im Dezember und Februar erwartet.
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