50 Jahre nach Gründung der Europäischen Raumfahrtagentur hat Deutschland ein Raumfahrtministerium. Warum die Bundesregierung das Thema wichtig findet und was Ministerin Bär vorhat.
Wenn Landwirt Marco Gemballas aus Boldekow in Mecklenburg-Vorpommern auf seinem Traktor sitzt, schaut er auf gleich drei Monitore. Rund ums Lenkrad ist Hightech verbaut. Über seine Felder steuert er zentimetergenau mit Satelliten-Unterstützung aus dem All. Dabei geht es nicht allein um den optimalen Weg und die Navigation, sondern auch um den Zustand seines Ackers.
Denn kombiniert mit Bodenproben kann der Landwirt mithilfe der Satelliten-Daten seine Weizenfelder optimal düngen. Präzisionslandwirtschaft per GPS ist nur ein Anwendungsbeispiel für Entwicklungen aus der Raumfahrt.
Hightech "für den ländlichen Raum"
Einsatzmöglichkeiten wie auf dem Acker von Landwirt Gemballas dürfte Dorothee Bär im Sinn haben, wenn sie das All nutzbar machen will - speziell für den ländlichen Raum.
Jedenfalls hat sie das jüngst bei der Vorstellung ihres Regierungsprogramms im Bundestag betont und benutzte dafür ein lebensnahes Bild, etwa die Ausrüstung der vielen Feuerwehren im Land. "Die Luft- und Raumfahrt hat die Entwicklung entsprechender Materialien und Fasern dramatisch stimuliert." Als Beispiel nennt sie feuerfeste Anzüge. Man mache viel für den ländlichen Raum und für das Ehrenamt - "das haben wir der Raumfahrt zu verdanken", so Bär.
Geist des Aufbruchs
Sie stellt sich auch dem Eindruck entgegen, dass das Raumfahrt-Thema nur besonders angesagt sei. Sie sieht darin eine Top-Priorität. Die Bedeutung sei immens. Die Raumfahrt reiche von exakter Navigation bis hin zur Sicherheit. Zugleich sei die Raumfahrt Innovationstreiber. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen sollen davon profitieren.
Bär sieht darin eine Chance für die Wirtschaft. "Wer das vermessen findet oder vielleicht an der ein oder anderen Stelle noch schmunzelt, dem sei auch ins Bewusstsein gerufen, wo wir momentan stehen: bei Null-Wachstum. In vielen Zukunftstechnologien ringen wir um Anschluss und wir gefährden damit massiv unsere Wirtschaft."
Die Branche soll also auch einen Beitrag leisten zu mehr Wirtschaftswachstum. Bislang verbreitet Bär dafür vor allem einen Geist des Aufbruchs und des Anpackens. Die Zeit der Bedenken sei vorbei.
Sicherheit aus dem All?
In der Raumfahrtindustrie verspürt man schon so etwas wie Aufbruchstimmung. Darauf deuten die jüngsten Zahlen des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) hin. In ihm sind nach eigenen Angaben 95 Prozent der zivilen und militärischen Luft- und Raumfahrtunternehmen hierzulande organisiert. Im vergangenen Jahr lag der Gesamtumsatz der Branche bei 52 Milliarden Euro. Ein Plus von 13 Prozent, maßgeblich getragen durch die zivile Luftfahrtindustrie.
Zuwachs gibt es auch bei den Beschäftigten, denn die Unternehmen rechnen mit öffentlichen Aufträgen - vor allem im Rüstungssektor, aber eben auch in der Raumfahrt, so BDLI-Hauptgeschäftsführerin Marie-Christine von Hahn: "Es sind große Versprechen im Koalitionsvertrag zu finden, was die Raumfahrt angeht. Und den Versprechen müssen Taten folgen, das heißt, ganz konkrete Raumfahrtprogramme - auf nationaler und europäischer Ebene."
Schwimmender Weltraumbahnhof in der Nordsee
Neben den wirtschaftlichen Potentialen der Raumfahrt sind eben diese Sicherheits- und Verteidigungsaspekte zentral für die neue Bundesregierung. Bär will den unabhängigen, europäischen Zugang zum Weltall erhalten und ausbauen. Wie das gehen soll, zeigt ein Beispiel einer Startplattform in der Nordsee, die es sogar bis in den Koalitionsvertrag geschafft hat. Von einem schwimmenden Weltraumbahnhof sollen deutsche und europäische Satelliten ins All geschossen werden.
Das Ziel der Regierung: eigene Kapazitäten schaffen in Zentraleuropa und sich unabhängig machen von den Amerikanern, speziell von Weltraumunternehmen von Tech-Milliardär Elon Musk. "Trotz [der europäischen Trägerraketen] Ariane 6 und Vega C gibt es weiterhin eine starke Abhängigkeit von SpaceX, die überwunden werden muss. Dabei sind deutsche Mikrolauncher prädestinierte Kandidaten, um neben den Startplätzen in Französisch-Guyana auch vom europäischen Kontinent aus Raketen zu starten", heißt es aus dem Raumfahrt-Ministerium.
Test-Mission kurzfristig verschoben
Eine funktionierende, deutsche Startplattform in der Nordsee ist allerdings noch Zukunftsmusik. Im vergangenen Sommer musste ein geplanter Erstflug für eine Test-Mission kurzfristig verschoben werden. Schon zum zweiten Mal. Das Bremer Betreiberkonsortium "German Offshore Spaceport Alliance" (GOSA) hatte gehofft, dass die ersten Testraketen von der schwimmenden Plattform starten können - vergebens. Ein Grund waren fehlende Genehmigungen der Behörden in Großbritannien, damit die Raketen, die zur Erde zurückkehren, wie geplant in britischem Seegebiet landen dürfen.
Die Entwicklung geht aber weiter. Später soll die Startplattform in Gestalt eines Schiffs genutzt werden, um etwa Klein-Satelliten in den Orbit zu schießen. Dabei sollen sogenannte Microlauncher genutzt werden: Relativ kleine Raketen, die eine Last von bis zu 1.000 Kilogramm in den Weltraum tragen können.
ESA als Basis für die Weiterentwicklung
Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) bilde das Rückgrat für die Weiterentwicklung der Raumfahrt, heißt es aus dem Ministerium. Aktuell liegt die ESA-Präsidentschaft auf Ministerebene bei Deutschland. Das will die Bundesregierung nutzen und ein europäisches Raumfahrt-Ökosystem aus Industrie, StartUps und Wissenschaft voranbringen.
Im November tagt der ESA-Ministerrat in Bremen. Dann soll es um die gesamteuropäische Raumfahrt-Strategie gehen und darum, wie die ESA-Mitglieder Raumfahrtprojekte gemeinsam möglichst schneller voranbringen und aufeinander abstimmen können.
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