Das Oberlandesgericht Stuttgart hat einen Mann aus Syrien wegen seiner Taten im syrischen Bürgerkrieg verurteilt. Er beging nach Ansicht der Richter als Mitglied einer Miliz mehrere Kriegsverbrechen.
Nach acht Monaten Verhandlung ist heute in Stuttgart-Stammheim das Strafverfahren gegen Ammar A. zu Ende gegangen. Die Richter haben den Syrer zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie befanden ihn unter anderem mehrerer Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und eines Mordes für schuldig. Damit folgte der Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart dem Antrag der Bundesanwaltschaft. Die Taten fanden in Busra Al Sham statt, einer Kleinstadt mit etwa 30.000 Einwohnern im Süden Syriens.
Der heute 33-jährige Ammar A. soll die Taten als Mitglied einer schiitischen Miliz begangen haben, teils sei er deren Anführer gewesen. Die Miliz soll an der Seite des syrischen Assad-Regimes gegen die sunnitische Mehrheitsbevölkerung gekämpft haben. Ihr Ziel sei es gewesen, das syrische Regime zu unterstützen. Für den Fall eines Sturzes von Assad hatte die Miliz Repressionen als muslimisch-schiitische Minderheit befürchtet. Der Plan: An Angehörigen des sunnitischen Glaubens Verbrechen begehen und diese so aus Busra Al Sham vertreiben.
Gericht urteilte wegen drei Tatkomplexen
Konkret wurden dem Angeklagten drei Tatkomplexe nachgewiesen. So soll er 2012 mit der Miliz das Haus einer sunnitischen Familie überfallen und teilweise angezündet haben. Die Miliz habe beim Überfall aus zwanzig bewaffneten Kämpfern bestanden, einer von ihnen sei Ammar A. gewesen. Die Gruppe schoss bei dem Angriff mehrfach.
Ein Mitstreiter von Ammar A. soll gezielt auf ein 21-jähriges Familienmitglied geschossen haben und ihn tödlich verletzt haben. Seine Angehörigen versuchten, ihn noch auf ein Motorrad zu setzen und wegzubringen. "Zwischen dem Fahrer und dem Sozius sitzend", beschrieb der Vorsitzende Richter Hannes Breucker heute. Doch spätestens als das Trio dort ankam, wo der Verletzte hätte behandelt werden können, war er verstorben. Diesen Mord hat das Gericht dem Verurteilten als Mittäter zugerechnet. Er habe vom Tatplan gewusst und ihn gebilligt.
Im zweiten Tatkomplex ging es um Taten, die Ammar A. und seine Miliz unter anderem Mohamad Alissa angetan haben sollen. Bei diesen war Ammar A. nach Überzeugung des Senats der Anführer der fünf bis acht mannstarken Gruppe. Das Opfer Mohammad Alissa sei 2013 von ihnen grundlos aufgegriffen und an die syrische Regierung übergeben worden.
Die Fahrt ins Gefängnis dauerte eine Stunde. Alissa lag in dieser Zeit auf der Ladefläche eines Pickups. Er habe in Benzin gelegen und sei hin und her gerollt, beschrieb das Gericht in Stammheim heute. Dabei hätten ihn der Angeklagte und seine Mitstreiter mit den Maschinengewehren geschlagen. Einmal in der Hand des Militärgeheimdienstes sei Alissa dann gefoltert worden und unter unwürdigen Bedingungen inhaftiert gewesen. Er erlebte Schläge und trägt noch heute Spuren der erlittenen Gewalttaten, wie Schläge mit Stromkabeln.
"Dieses Urteil heute hat eine große Bedeutung"
Alissa und seine Familie leiden bis heute unter der Tat. "Nach zehn bis zwölf Jahren bekommen wir jetzt endlich Gerechtigkeit", sagte er nach der Urteilsverkündung im Interview mit der ARD-Rechtsredaktion. Alissa war im Verfahren als Nebenkläger aufgetreten und lebt heute in Köln. Als die Bundesanwaltschaft zu Beginn des Prozesses die Anklage verlas, war er zusammengebrochen, seine spätere Zeugenaussage musste immer wieder unterbrochen werden. Heute, nach der Urteilsbegründung, überwog die Freude. Seine Mutter brach im Zuschauerraum in Tränen aus.
"Dieses Urteil heute hat eine große Bedeutung für die Menschen in Busra", sagte der 40-jährige Alissa. Viele der Opfer kannten den Angeklagten, seien mit ihm zur Schule gegangen. Die Feindseligkeit sei erst mit Ausbruch des Bürgerkriegs entstanden, führte das Gericht aus. Die Menschen vor Ort hätten eine Vielzahl von Verbrechen durch die Miliz und Assad-Unterstützer erlebt. Drei dieser Taten seien nun aufgearbeitet worden, so der promovierte Medizinphysiker. Und weiter: "Ich danke dem Gericht, das sich so eine Mühe gegeben hat."
Gericht vernahm rund 30 Zeugen
Teil des Urteils gegen Ammar A. ist auch eine Tat aus dem Jahr 2014. Ammar A. soll mit seiner Miliz einen Warenhändler ausgeraubt, gefoltert und dann auf offener Straße liegen gelassen haben. Der sechste Strafsenat fällte das Urteil heute nach mehr als 40 Sitzungstagen, in denen die Richter rund 30 Zeugen vernommen haben.
Teil der Verhandlung waren auch die sogenannten Caesar-Bilder. Das sind über 26.000 Fotos eines öffentlich unbekannten, ehemaligen Fotografen. Er hatte im Auftrag des Regimes Bilder gemacht, die mehr als 6.000 Todesopfer zeigen. Der Sturz des Assad-Regimes im vergangenen Dezember habe sich ebenfalls auf das Strafverfahren in Stuttgart ausgewirkt, sagte Richter Breucker. Dadurch habe es nochmal mehr Zeugen und neue Videodateien als Beweismittel gegeben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann noch Revision eingelegt werden.
Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit Jahren strukturiert Täter aus dem Syrischen Bürgerkrieg. 2020 hat sie zwei Geheimdienstmitarbeiter vor dem Oberlandesgericht Koblenz angeklagt. Es waren die weltweit ersten Strafverfahren zur syrischen Staatsfolter. Einer der dort Angeklagten wurde 2022 zu lebenslanger Haft verurteilt.
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