Etwa 2.400 Menschen mit verbindlichen Aufnahmezusagen warten weiterhin in Pakistan. Die Bundesregierung lässt offen, ob sie noch einreisen dürfen. Bald könnte eine Gerichtsentscheidung fallen.

Die Bundesregierung hat noch immer nicht entschieden, wie es für die etwa 2.400 Afghaninnen und Afghanen weitergeht, die in Pakistan auf eine Ausreise nach Deutschland warten. Sie alle haben im Rahmen unterschiedlicher Aufnahmeprogramme in den vergangenen Jahren die Zusage erhalten, dass sie nach Deutschland einreisen dürfen, da sie von den Taliban bedroht werden. Viele von ihnen warten seit mehr als einem Jahr und haben bereits alle nötigen Schritte im Ausreiseverfahren, inklusive umfangreicher Sicherheitsprüfungen, durchlaufen.

Dennoch gibt es für sie keine Möglichkeit nach Deutschland zu kommen, da die Einreisen ausgesetzt sind. Die Bundesregierung sendet derweil widersprüchliche Signale. Die zuständigen Ministerien geben sich bei Presseanfragen zugeknöpft. Das Verwaltungsgericht Berlin könnte in einem Eilverfahren bald eine erste Entscheidung treffen.

Was bleibt von den Versprechen übrig?

Anfang Juni wurde Bundesaußenminister Johann Wadephul im Bundestag gefragt, wann die Menschen mit Aufnahmezusage aus Pakistan "evakuiert" würden. Der CDU-Politiker antwortete, er könne "kein konkretes Datum nennen". "Aber wo wir Aufnahmezusagen in rechtlich verbindlicher Form gegeben haben, halten wir die selbstverständlich ein."

Selbstverständlich. Zumindest das klang eindeutig. Doch fragt man bei den zuständigen Ministerien nach, wird deutlich: Die Bundesregierung hat noch immer keine Entscheidung getroffen, windet sich, selbst auf einfache Fragen Antworten zu geben.

So wollte das ARD-Hauptstadtstudio vom Bundesinnenministerium, das von Alexander Dobrindt geleitet wird, wissen, ob Wadephuls Aussagen abgesprochen waren. Auch auf mehrfache Nachfrage gibt es darauf keine Antwort. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts teilt mit: "Die betroffenen Bundesministerien stehen in engem Kontakt."

Zumindest bei der Beantwortung von Presseanfragen trifft das offenbar zu. So teilen beide Ministerien schriftlich mit: "Mit Blick auf den Koalitionsvertrag, der eine Beendigung freiwilliger Aufnahmeprogramme soweit wie möglich vorsieht, befindet sich die Bundesregierung in einer fortgesetzten Prüfung, wie dies für die Aufnahmeverfahren aus Afghanistan umgesetzt wird. Bis zum Abschluss dieser Prüfung sind die Einreisen weiterhin ausgesetzt."

Sicherheitsüberprüfungen weiter ausgesetzt

Ausgesetzt sind derweil offenbar weiterhin auch die umfangreichen Sicherheitsüberprüfungen, die in Pakistans Hauptstadt Islamabad stattfinden, bevor Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage auch ein Visum erhalten können. Das Bundesinnenministerium hat die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden, die für die Interviews vor Ort waren, abgezogen.

Begründet wird das weiterhin mit den "militärischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan". Der Konflikt hat sich allerdings bereits seit vielen Wochen beruhigt. Seit mehr als einem Monat gilt eine Waffenruhe.

"Angst, Sorge und kein Ende in Sicht", so beschreibt es der Journalist Amir, der mit seiner Frau und drei Töchtern schon Monate in Islamabad wartet. Amir, der eigentlich anders heißt, hat eine Zusage, dass er nach Deutschland kommen darf. Aber jetzt, so schreibt er, ist das Programm "faktisch ausgesetzt und niemand weiß, wann oder ob es wieder aufgenommen wird. Es gibt auch keine aktuellen Informationen."

Anzahl der Personen mit Aufnahmezusage "dynamisch"

Auf die Frage, ob zwischenzeitlich Aufnahmezusagen zurückgenommen wurden, gibt es aus dem Bundesinnenministerium ebenfalls lediglich die Antwort, die "Prüfung dauert an". Dabei gibt es bei den Zahlen offenbar Bewegung. So teilte das Innenministerium im Mai auf Anfrage noch mit, dass die Gruppe "etwas über 2.450 Personen" betreffe. Im Juni ist dann plötzlich von "ca. 2.400" die Rede. Fragen danach, warum sich die Zahl der betroffenen Personen geändert hat, beantwortet ein Sprecher so: "Die Anzahl der Personen mit Aufnahmezusage aus den Aufnahmeverfahren aus Afghanistan, die in Pakistan unterstützt werden, ist dynamisch."

Das ARD-Hauptstadtstudio wollte ebenfalls wissen, wie viele der betroffenen Personen bereits die Sicherheitsüberprüfung durchlaufen haben. Nach mehrfacher Nachfrage teilt das Bundesinnenministerium dazu mit: "Von den ca. 2.400 Personen aus den Aufnahmeverfahren aus Afghanistan, die sich in Pakistan in der Unterstützung befinden, haben mehr als die Hälfte bisher noch nicht alle Schritte im Ausreiseverfahren durchlaufen." Inwieweit diese noch nicht durchlaufenen "Schritte" auch die - derzeit nicht stattfindende - Sicherheitsüberprüfung umfassen, blieb offen.

Die Antwort zeigt aber auch, dass eine größere Zahl bereits alle Voraussetzungen erfüllt, um nach Deutschland einzureisen. Dennoch vermittelt die Bundesregierung derzeit den Eindruck, als versuche sie das Thema auf die lange Bank zu schieben.

Auch wenn die Gruppe der Afghaninnen und Afghanen, die in Pakistan warten, im Verhältnis zu den Menschen, die irregulär nach Deutschland einreisen sehr klein ist; auch wenn die Gruppe ein hoch-formalisiertes Verfahren durchlaufen hat, sie also einen von den Vorgängerregierungen angedachten Weg einer legalen Einreise nach Deutschland gewählt haben, gibt es derzeit keine konkreten Pläne, sie noch einzufliegen. Dass das Innenministerium und das Auswärtige Amt dafür Flugzeuge chartert, ist derzeit nur schwer vorstellbar.

Insofern richtet sich der Blick auf die Gerichte. Konkret: das Verwaltungsgericht Berlin. Dort hatte eine Afghanin mit Aufnahmezusage und ihre Familie Mitte Mai Eilantrag und Klage eingereicht. Sie wollen, dass das Gericht das Auswärtige Amt verpflichtet, Visa für ihre Ausreise zu erteilen. Seit rund eineinhalb Jahren warten sie darauf in Pakistan. Eine Entscheidung des Gerichts steht bislang aus.

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