72 Jahre nach dem Arbeiteraufstand in der DDR gerät der 17. Juni 1953 langsam in Vergessenheit. Zeitzeugen berichten von mäßigem Interesse - nicht nur bei der jungen Generation.
Wolfgang Jähnichen war dabei, als die Arbeiter im Arbeiter-und-Bauern-Staat DDR die Nase voll hatten. Der 17. Juni 1953 war ein prägendes Erlebnis für den damals 13-Jährigen. In Dresden erlebte er mit, wie Tausende die Straßen entlangzogen.
Erst ging es gegen Erhöhungen der staatlich verordneten Arbeitsnormen. Kurz darauf forderten die Demonstranten auch den Rücktritt der Regierung. Dann kamen die sowjetischen Panzer und bereiteten dem Treiben ein Ende. Der Volksaufstand war niedergeschlagen, die DDR-Justiz verhängte harte Strafen.
Seine Erlebnisse gibt Jähnichen gern an junge Menschen weiter. Für ihn ist der Tag ein Lehrstück über mutige Menschen, die spontan Widerstand gegen ein autoritäres System leisteten. "Man sagt uns Deutschen ja nach: Revolutionen müssen 14 Tage vorher bei den Behörden angemeldet werden. Beim 17. Juni aber handelt es sich um einen spontanen Arbeiteraufstand."
Zeitzeugen zur Erinnerung einladen
Damit das Datum mit all seinen Lehren nicht in Vergessenheit gerät, können Schulen Zeitzeugen wie Jähnichen einladen. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterhält ein eigenes Zeitzeugenbüro.
"Ich mach das schon seit 20 Jahren. Wenn die Schüler gut vorbereitet sind durch die Lehrerschaft, dann funktioniert es auch", sagt Jähnichen. Doch das ist vor allem der Fall, wenn ein besonderer Anlass besteht. Ansonsten schaue er beim Thema 17. Juni oft in fragende Gesichter. Doch das sei nicht nur bei Jugendlichen der Fall.
Unwissen auch bei Erwachsenen
"Wenn man sich mit Menschen zwischen 30 und 50 unterhält, kommt meist erst einmal das große Luftschnappen." Schade findet er das. "Das ist ein ganz wichtiges Ereignis in der deutschen Geschichte."
Aber vielleicht sei es auch einfach eine Frage der Allgemeinbildung. Viele könnten oft auch nicht sagen, wofür Ostern und Pfingsten stehen. "Da kommt auch oft nichts. Aber sie kennen alle Brückentage", sagt Jähnichen mit Blick auch auf die Erwachsenen. "Wir sollten also vielleicht nicht nur auf den Kindern herumhacken. Es ist bei vielen so, dass sie nicht viel wissen."
Geringes Interesse in Schulen
"Was war da nochmal am 17. Juni 1953?" Die Frage kennt auch Günter Toepfer. Auch er, Jahrgang 1941, geriet als Kind in den Arbeiteraufstand. "Das hat mich für mein Leben ganz nachhaltig geprägt." Mit reingerutscht sei er, als die Massen das Gefängnis in Jena stürmten. "Zwischen Tausend Menschen. Ich hatte Angst, unter die Füße der anderen zu geraten", erinnert er sich.
Auch er steht als Zeitzeuge zur Verfügung. Doch das Interesse seitens der Schulen sei gering, sagt er. "Zum 70. Jahrestag hat es nicht eine Anfrage gegeben. In diesem Jahr war es eine." Toepfer kam später selbst ins Gefängnis, weil er "Republikflucht" begehen wollte.
Für ihn ist der 17. Juni ein Symbol für den Unrechtsstaat DDR. "Mir geht es darum, wie wichtig Rechtsstaatlichkeit ist. Und was Willkür anrichten kann." Wenn es einen Termin mit einer Schulklasse gebe, sage er ihnen, dass er damals genau so alt war wie sie heute. Das klappe aber nur manchmal - und eben nur, wenn Schulen ihn überhaupt einladen.
Was war die Mauer?
"Das Interesse der Schulen ist extrem schlecht. Das Vorwissen ist schlecht - im Osten noch schlechter als im Westteil der Stadt", so sein Fazit. "Einmal gab es Schüler, die waren so desinteressiert, da habe ich angeboten, zu gehen." Mittlerweile sage selbst der Mauerbau vielen Schülern nichts mehr.
Die Vorbildung über die DDR und die Zeit der deutschen Teilung sei nicht sehr ausgeprägt, so seine Erfahrung. Toepfer fasst einen typischen Besuch in Schulklassen so zusammen: "Die Schüler haben in der Regel bestenfalls vorher gewusst: Jetzt kommt ein alter Mann und erzählt von früher."
In zehn Bundesländern im Lehrplan
Katharina Hochmuth ist bei der Bundesstiftung Aufarbeitung für den Bereich Schulische Bildung verantwortlich. Zeitzeugen zur DDR-Geschichte würden immer noch gern gebucht, sagt sie. Dass es gerade beim 17. Juni ein eher überschaubares Interesse gebe, erklärt sie so: "Vielleicht wissen auch viele nicht, dass es immer noch Zeitzeugen gibt. Aber wir haben noch einige wenige, die noch Auskunft geben können."
In zehn von 16 Bundesländern stehe das historische Datum explizit im Lehrplan. Geschichtsstunden seien rar gesät. Doch der 17. Juni sei auch für andere Fächer geeignet, sagt Hochmuth: "Man kann das Thema auch im Fach Ethik oder fächerübergreifend behandeln. Oder bei Exkursionen oder Zeitzeugen."
Am Arbeiteraufstand können man sehen, was Menschen dazu bewege, sich gegen ein autoritäres System zu demonstrieren, warum sie sich für Freiheit und Menschenrechte einsetzten. Für Hochmuth sind das eigentlich auch Themen, "für die sich junge Menschen interessieren".
Nicole Markwald, ARD Berlin , tagesschau, 17.06.2025 10:48 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.