Nach der Ampel-Regierung müssen die Grünen Opposition erst wieder lernen. Mancher blickt neidisch auf die Linkspartei, die jünger und frecher wirkt. Eine Klausur des Fraktionsvorstands soll Ideen liefern.
Irgendwie ist da dieser Phantomschmerz - über den Verlust der Regierungsverantwortung und den Abgang des Spitzen-Duos Robert Habeck und Annalena Baerbock. Und Unsicherheit. Wo geht die Reise hin in der Opposition?
Richtig einig sind sich die Grünen nicht, räumt Timon Dzienus ein, er ist neu im Bundestag dabei. "Dass es nach einem mittelmäßigen Wahlergebnis zur Bundestagswahl hier und da ein bisschen grummelt, das kann man ja irgendwie nachvollziehen", sagt er. "Aber ich nehme vor allem wahr, dass man sich ein Stück weit neu ausrichtet und sich überlegt, was müssen wir eigentlich in den nächsten Jahren als Oppositionskraft tun?"
Brantner: "Wir wollen mitgestalten"
Opposition müssen viele von Bündnis 90/Die Grünen erst lernen. Etwa die Hälfte der 85 Abgeordneten kannte bislang nur Regierungsverantwortung: in der Ampel ausgehandelte Positionen vertreten, die kurzen Drähte zu den Ministern nutzen. Doch Opposition funktioniert anders: Wie schreibt man Anträge und Anfragen? Wie nutzt man die geringere Redezeit?
Partei-Co-Chefin Franziska Brantner ist selbst erst seit November im Amt. Sie wünscht sich eine konstruktive Oppositionsrolle: "Wir sind kritisch, aber im Zweifel konstruktiv, und wir haben auch den Anspruch, dass unsere Vorschläge realisierbar sind und wir wollen mitgestalten."
Mehr Härte gegen Merz gefordert
Die Grundgesetzänderungen zur Lockerung der Schuldenbremse haben die Grünen daher mitgetragen - und vorher Zusagen für den Klimaschutz ausgehandelt. Aber die Grünen dürften jetzt keine "Regierung im Wartemodus" werden, warnt Dzienus und fordert mehr Einfluss für den linken Flügel und mehr Härte gegenüber Kanzler Merz.
"Ich hoffe, dass die Partei auch auf junge, auf frische Gesichter setzt, die vielleicht auch mal zuspitzen, mal ein bisschen locker, schlagkräftig und lustig an die Dinge rangehen", sagt der Bundestags-Neuling.
Ein bisschen neidisch schielen manche Grüne auf die Linkspartei. Sie kommt jünger und frecher daher als die Grünen mit ihrer fein austarierten Balance zwischen Realos und linkem Flügel. Wie sich abgrenzen zu Heidi Reichinnek und Co. - außer in der der Außen- und Sicherheitspolitik? Auch diese Frage treibt die Grünen um.
Abgeordnete treffen im Osten oft nicht den richtigen Ton
In einem Strategiepapier für die Fraktionsvorstandsklausur, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, heißt es, man müsse sich stärker um die Alltagssorgen der Menschen kümmern. Mehr ins Gespräch kommen. Das ist nicht einfach für eine Partei, deren aktuelles Spitzenpersonal viele Menschen nicht kennen - und die im Osten kaum noch eine Rolle spielt.
"Wir müssen wieder präsenter sein auf den Fußballplätzen, in den Vereinen und natürlich auch in der digitalen Welt", sagt Kassem Taher Saleh, einer von zwei grünen Abgeordneten aus Sachsen im Bundestag. Seine Parteivorsitzenden sprechen von Eckkneipen und Weinfesten. Aber gerade im Osten treffen die Grünen oft nicht den richtigen Ton, sagt Taher Saleh. "Die Themen sind im Osten anders als im Rest der Republik, sei es das Thema Frieden, sei es das Thema Migration, Wirtschaft", sagt der Abgeordnete. "Das Thema Vermögen ist entscheidend und das Thema Repräsentation auf der Bundesebene - diese Themen müssen wir ansprechen."
Wie viele in seiner Partei setzt Taher Saleh auf Zeit. Seit der Bundestagswahl sind gerade mal vier Monate vergangen. Die Grünen bräuchten Zeit, neue Gesichter populär zu machen, ihre inhaltliche Ausrichtung auszuloten. Aber Zeit ist in der Politik ein rares Gut. Um sich als Oppositionskraft zu profilieren, stehen die Grünen mächtig unter Druck.
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