Der Juristin Brosius-Gersdorf wurden Dinge vorgeworfen, die sie nie gesagt hat - und manchem davon wurde selbst im Bundestag nicht widersprochen. In der Sommerpause sollte die Koalition einiges klären, mahnt eine Politologin.

Es sei ein Vorgang, den es so in Deutschland bisher noch nie gegeben habe, meint Dirk Wiese, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag: Frauke Brosius-Gersdorf sei eine "hoch angesehene" Staatsrechts-Expertin und sie sei "diffamiert worden von rechten Plattformen, teilweise bis in die Katholische Kirche hinein. Von daher erwarte ich jetzt, dass die Unionsfraktion das Gespräch mit ihr sucht und Fragen stellt."

Der Juristin Brosius-Gersdorf ist Kandidatin der SPD für das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Und ihr wurden in den vergangenen Tagen teilweise Aussagen vorgeworfen, die sie so nie geäußert hat. Manchen Falschinformationen wurde selbst im Bundestag nicht widersprochen.

Kein Widerspruch für Falschbehauptungen

Zum Beispiel als Beatrix von Storch von der AfD Bundeskanzler Friedrich Merz am Mittwoch diese Frage stellte: "Frau Brosius-Gersdorf hat gesagt, dass ein Kind, dass neun Monate alt ist, zwei Minute vor der Geburt keine Menschenwürde zukommt. Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, diese Frau zu wählen?"

Zwar antwortet Merz so: "Auf Ihre Frage ist meine ganz einfache Antwort: Ja." Aber er stellt nicht klar, dass Frauke Brosius-Gersdorf so etwas nie gesagt hat - also, dass ein Kind noch zwei Minuten vor Geburt abgetrieben werden könne, wie die AfDlerin es ihr unterstellt hat.

Expertin: Führungspersonal der Parteien angezählt

In den folgenden Tagen kocht die Stimmung hoch, am Freitag dann der Knall: In der Union gibt es keine Mehrheit mehr für Brosius-Gersdorf, die Wahl aller drei Richter wird verschoben.

Für die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp von der Freien Universität Berlin eine Beschädigung der Koalition aus SPD und Union: "Es zeigt, dass das Führungspersonal in beiden Parteien angezählt ist, dass sie ihre Rolle noch suchen, vor allem bei der Durchstellung von Entscheidungen in die eigene Fraktion hinein."

Unterstützung für Spahn aus der Union

Denn erst am Montag hatte der eigens für die Wahl der Richterinnen und Richter für das BVerfG eingesetzte Wahlausschuss allen drei Kandidaten zugestimmt, auch Brosius-Gersdorf. Nur war es dem Unionsfraktionschef Jens Spahn danach nicht gelungen, diese Einigkeit auch in seiner Fraktion herzustellen, meint Dirk Wiese von der SPD.

Jens Spahn habe der Kandidatin vorher zugestimmt und grünes Licht gegeben "Und wenn er das tut, erwarte ich auch, dass er eine Mehrheit in seiner Fraktion hinter sich versammelt. Das ist nicht geschehen", so Wiese. "Darum kratzt das schon an der Autorität von Jens Spahn und stellt die Frage nach der Durchsetzungskraft."

"Erklärung der Unfähigkeit für den Bundestag"

Innenminister Alexander Dobrindt von der CSU hingegen sieht den CDU-Politiker Spahn nicht beschädigt. Unterstützung für Spahn kommt auch aus NRW von CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Beim NRW-Tag der Jungen Union forderte er Solidarität mit Spahn. Spahn selbst hat sich bisher nicht zur Richterwahl geäußert.

Aus beiden Regierungsparteien ist nun zu hören, man wolle während der Sommerpause reden und dann neu wählen. Politikwissenschaftlerin Kropp mahnt, diese Zeit auch zu nutzen. Denn wenn man diese Sommerpause nicht nutze, um eine Einigung herbeizuführen, würde das Wahlrecht nach dem Ersatzwahlmechanismus auf den Bundesrat übergehen. "Das wäre für den Bundestag eine Erklärung der eigenen Unfähigkeit, nämlich dass das Parlament nicht in der Lage ist, die Wahlfunktion gegenüber dem Bundesverfassungsgericht wahrzunehmen", sagt Kropp.

Die SPD hat die Union aufgefordert, Brosius-Gersdorf einzuladen, um sich selbst ein Bild von ihr zu machen und im Gespräch bestehende Probleme bestenfalls auszuräumen. Aus der Fraktionsspitze gibt es dazu bisher keine offizielle Reaktion, aber zumindest Innenminister Dobrindt kann sich das vorstellen. 

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.