Als Justin Bieber am Montagabend auf der Plattform „X“ einen Clip postete, wie er auf einer Couch liegend das Finale von „Love Island“ schaut und seinen Post dabei mit „Es führt kein Weg daran vorbei, dass ‚Love Island‘ nicht dem Chat beitritt“ kommentierte, sprach er vermutlich vielen Amerikanern seiner Generation aus dem Herzen. „Dem Chat beitreten“, auf Englisch „entering the chat“, ist eine GenZ-Formulierung dafür, dass etwas oder jemand relevant ist oder etwas zu melden hat.
Von außen betrachtet erscheint es suspekt, dass eine erstmals 2019 über die Bildschirme gelaufene US-Show plötzlich so einen Hype erlebt. Dabei bietet „Love Island“ eigentlich seit jeher ein so simples wie verlässliches Setting: Eine Gruppe Singles trifft sich vor Urlaubskulisse – in der amerikanischen Version ist es eine Villa auf der Pazifik-Insel Fidschi –, versucht sich näherzukommen, durchläuft Prüfungen, trennt sich und findet womöglich neu zusammen. Die deutsche Ausgabe der Show hat dieses Konzept in mittlerweile acht Auflagen durchexerziert, ohne dabei auch nur annähernd für vergleichbares Aufsehen gesorgt zu haben.
Vielleicht war die gerade zu Ende gegangene siebte Staffel von „Love Island USA“ die unromantischste Staffel in der Geschichte der Reality-Dating-Shows: keine nennenswerten Liebesgeschichten, kaum verbindliche Beziehungen. Und trotzdem war sie angesichts regelmäßiger Schlagzeilen und unzähliger Diskussionen auf Social Media die mit Abstand erfolgreichste bislang. Mit über einer Milliarde gestreamter Minuten allein in der Anfangswoche, mehr als 3,5 Millionen Live-Votes im Staffelfinale und Public-Viewing-Events in Großstädten wie New York, Chicago oder Los Angeles erreichte die Show eine Resonanz, die die Grenze zwischen Unterhaltungssendung und Massenphänomen verschwimmen ließ. „Kulturverfall“, geifern die einen. „Zeitgeist-Phänomen“, begeistern sich die anderen.
Seit dem 3. Juni 2025 strahlte der zum US-Sender CBS gehörende Streamingdienst „Peacock“ fast täglich neue Episoden der Staffel aus. Der Sendeplan: sechs Abende pro Woche, unterbrochen bloß vom mittwochs üblichen Ruhetag über einen Zeitraum von fast sechs Wochen. Während der 36 Episoden wurde die Show zur Beobachtungsfläche einer Generation, die sich in Sachen Romantik offenbar neu sortieren muss. Dass die Kandidaten Amaya Espinal und Bryan Arenales im Finale am 13. Juli als Gewinnerpaar gekürt wurden, geriet da schnell nur zur Fußnote.
Der Grund für den Hype liegt vor allem im Cast begründet. Die Kandidaten, fast alle Anfang oder Mitte zwanzig, entstammen einer Generation, deren Jugend durch Lockdowns, Dating-Apps und permanente digitale Selbstdarstellung geprägt war. Aufgewachsen mit Smartphones und sozialen Medien kennt die GenZ nicht nur die Gesetze des medialen Jahrmarkts der Aufmerksamkeiten in- und auswendig, sondern weiß auch stets, wie sie zu gucken, posieren und sich zu bewegen hat.
Dementsprechend bot die aktuelle Staffel in fast dokumentarischer Genauigkeit ein Bild der emotionalen Verunsicherung der GenZ: zögerliches Flirten, aneinander vorbeireden, das „situationship“ genannte Anbandeln beenden, bevor es überhaupt beginnt. Noch am Tag vor dem Finale hatten drei der fünf verbliebenen Paare ihre Beziehungen nicht klar definiert. Einige Teilnehmer weigerten sich explizit, ein „couple“ zu werden, selbst wenn sie sich körperlich bereits angenähert hatten. Ein Paar, Ace Greene und Chelley Bissainthe, wurde einen Tag, nachdem sie „exklusiv“ wurden, aus der Show gewählt. Derweil waren Cierra Ortega und Nic Vansteenberghe zwar „closed off“ – also für die Zeit innerhalb der Villa ein Paar – trennten sich aber noch vor dem Finale.
Gespräche über die eigenen Gefühle und „Traumata“ wurden mit einer Selbstverständlichkeit geführt, wie ihre Eltern und Großeltern früher mit der Friseurin schnatterten. Begriffe aus der Psychotalk-Kiste wie „love bombing“, „in meiner Weiblichkeit sein“, „ihn führen lassen“, „emotional verfügbar sein“ ist der aktuelle Trendsprech einer Generation, der immer auch an einen fadenscheinigen Religionsersatz im Gewand der Psychotherapie erinnert. „Love Island“ hat es geschafft, diese in den sozialen Medien verorteten Sprachwelten und Lebenswirklichkeiten massentauglich in einem Villa-mit-Pool-Setting einzufangen.
Hinzu kommt bei der jungen Generation der Hang zur hedonistischen Weltflucht, wie der „Atlantic“ in einem langen Beitrag über das Phänomen „Love Island“ schreibt. In einer von Unsicherheit, politischen Extremen und wirtschaftlicher Instabilität geprägten Zeit befriedigen Live-Datingshows das Verlangen nach hedonistischer Weltflucht und digitalem Lagerfeuer gleichermaßen.
In den Hype mischt sich aber auch zunehmend Kritik an der Show. So beklagte der „Rolling Stone“, dass „Love Island“ exemplarisch zeige, „wie böse und giftig die Fankultur“ mittlerweile geworden sei. Je nach Gunst der Zuschauer würden die Kandidaten, die während der Dauer der Show selbst keine Handys haben, Opfer von Shitstorms oder gehässigen Memes. Zudem musste die Produktion während der laufenden Staffel eingreifen und zwei Kandidaten aus der Show schmeißen, weil im Netz mehrere Jahre alte Podcast-Clips mit rassistischen Äußerungen aufgetaucht waren.
Bei Justin Bieber halten sich übrigens seit geraumer Zeit hartnäckig Gerüchte, dass die Ehe mit seiner Frau Hailey krisele. Vielleicht verbringt er seinen nächsten Urlaub auf Fidschi.
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