Der Linguist John McWhorter ist kein Wortjäger, der jede Woche ein neues diskriminierendes Wort aufspürt, das dringend aus dem Sprachgebrauch entfernt werden muss. Im Gegenteil: Er ist ein vehementer Kritiker identitätspolitischer Ideologien, der in seinem Buch „Woke Racism“ den Wokismus als „neue Religion“ bezeichnet. Weil er obendrein ein überaus profilierter Sprachwissenschaftler ist, hat es besonderes Gewicht, dass er sich nun für die Abschaffung des Begriffs „Afro-American“ ausspricht. Der Begriff sei seit den 1980er-Jahren als Werkzeug zur Überwindung alter Vorurteile, die sich mit älteren Ausdrücken verbanden, in die Allgemeinsprache implementiert worden. Nun sei es Zeit, sich von ihm zu verabschieden.
Anlass für McWhorters Argumentation in seiner „New York Times“-Kolumne ist die Erregung darüber, dass der demokratische Bürgermeisterkandidat für New York, Zohran Mamdani, auf einem College-Bewerbungsformular „Schwarz oder Afro-Amerikaner“ als ethnische Zugehörigkeit angekreuzt hatte. McWhorter meint, dass Mamdani, der in der ugandischen Hauptstadt Kampala geboren wurde und dort auch seine frühe Jugend verbrachte, dazu alles Recht der Welt gehabt hätte.
Doch der Fall illustriere auch einen der Gründe, warum das Wort problematisch geworden sei. 1980 hätten in den USA 200.000 Menschen gelebt, die in Afrika geboren wurden, heute seien es 2,8 Millionen, darunter viele Weiße. Der Begriff suggeriere aber, dass Menschen, die in Afrika geboren wurden sowie ihre unmittelbaren Nachfahren zur gleichen Kategorie gehören wie Amerikaner, deren letzte afrikanische Vorfahren vor Jahrhunderten lebten: „Ein Begriff, der beschreibend sein soll, aber sich auf Cedric the Entertainer (ein Komiker aus dem Bundesstaat Missouri im Mittleren Westen, Anm. d. Red.), Trevor Noah, Elon Musk und Zohran Mamdani (alle auf dem afrikanischen Kontinent geboren) beziehen kann, ist ein wenig albern.“
Neben der Ungenauigkeit führt McWhorter noch einen Grund an, sich von dem Wort zu verabschieden: Es habe, anders als beabsichtigt, nichts dazu beigetragen, die Wahrnehmung Schwarzer in den USA zu verändern. Vielmehr habe die „alte linguistische Tretmühle“ wieder ihre Arbeit getan. Der Linguist beschreibt einen Prozess, den wir auch aus Deutschland kennen: „Immer wieder schaffen wir neue Ausdrücke, um negative Assoziationen zu überwinden. Aber nach einiger Zeit folgten die negativen Assoziationen dem neuen Ausdruck wieder genauso wie ein Mückenschwarm, und es ist nötig, einen neuen Euphemismus zu finden.“
Für Deutschland und das Wort „Afrodeutsche“ dürfte der Ausgang der von McWhorter angestoßenen Debatte wenig erheblich sein. Denn die von ihm beschriebenen Unterschiede existieren bei uns nicht: Es gibt fast keine Nachfahren von Menschen, die vor Jahrhunderten hierher in die Sklaverei verschleppt worden sind. Was die überwältigende Mehrheit aller Schwarzen in Deutschland verbindet, ist, dass sie oder ihre Eltern nach 1945 freiwillig hierhergekommen sind, um ein besseres Leben zu finden. Und dass sie freiwillig bleiben, weil ihnen das oft kritisierte neue Land erträglicher erscheint als Aspekte ihrer Herkunftskultur.
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