Es ist kein ganz schlechtes Jahr für die wahrscheinlich widersinnigste und wahrscheinlich auch am meisten verabscheute Sportart – das möglichst schnelle Umkurven einer für alles andere als fürs Imkreisfahren völlig ungeeigneten asphaltierten Piste mit hochgerüsteten Verbrennern ohne Straßenzulassung.

Selten war eine Formel-1-Saison in den vergangenen Jahrzehnten zur Halbzeit noch derart offen, was wiederum die Quoten der gestreamten Rennübertragungen in die Höhe treibt. Brad Pitts filmisch ultrahochoktaniges und erzählerisch extraflaches Driver-Märchen „F1“ hatte schon am ersten Kino-Wochenende den Produktionsetat von 200 Millionen Dollar eingespielt.

Und dass Mack Animation, das in Hannover ansässige Zeichentrickstudio, auf den zwanzig Millionen Euro sitzen bleiben wird, die „Grand Prix of Europe“ gekostet hat, ist auch nicht zu erwarten. Hat aber andere Gründe als den Windschatten der teuersten Rennserie der Welt.

Die hängen mit einem Jahrmarkt zusammen, der allerdings nicht mal ansatzweise dem gleicht, um dessen Erhalt „Grand Prix of Europe“ kreist wie die Formel-Boliden auf jeweils durchschnittlich gut drei Rennkilometern um eine leere Mitte. Der Jahrmarkt in „Grand Prix of Europe“ ist ein idyllisch in eine bukolische Landschaft gekuschelter Freizeitpark, der seine besten Jahre hinter sich hat.

Nichts funktioniert richtig. Der Rollercoaster schläft wie Dornröschen, ihn will aber keiner küssen. Der Popcorn-Automat spinnt. Die Wahrsagerin ist völlig verhuscht. Und Edda, die Tochter von Erwin, dem Chef des kleinen Familienunternehmens, träumt davon, beim Autorennen Ed, den viermaligen Grand Prix-Champion und mithin der Max Verstappen des Tier-und-Technik-Universums, zu schlagen.

Was sie an den zahlenden Gästen trainiert, die eigentlich zum Siegen gekommen sind und sich hinter der virtuosen Pilotin Edda, aber noch vor der Ziellinie in einem Hügel aus Rennschrott wiederfinden. Ed und Edda sind, das muss jetzt erwähnt werden, Mäuse wie Micky und Minnie, in deren übergroßem Schatten die beiden ewig grinsenden Comic-Nager geboren wurden.

Es war einmal eine Fuhrwagenmanufaktur

Jetzt müssen wir mal kurz in die Wirklichkeit wechseln, weil jenes Unterhaltungsunternehmen, dessen Jubiläum sich „Grand Prix of Europe“ verdankt, nirgendwo in der Ornamentik dieses Hundertminüters vermerkt ist. Vor fünfzig Jahren eröffnete in Rust der Europapark.

Ein Familienunternehmen – gegründet 1780 als Fuhrwagen- und Kutschenmanufaktur, spezialisiert später auf die Produktion von Freizeitattraktionen, Achterbahnen zum Beispiel. Der Erwin des Europaparks heißt Franz Mack.

Der dachte sich Anfang der Siebziger, das, was die in Disneyland können, können wir nicht weit weg vom Epizentrum der Macks in Waldkirch / Schwarzwald schon lange. 1975 eröffneten der Franz und sein Sohn Robert in Rust den „Europapark“ – Seriensieger inzwischen bei der Kür zum weltweitbesten Freizeitpark, mehr als sechs Millionen Besucher im Jahr.

Kinofilme gab es im Europapark schon lange. Kurzfilme, technisch hochgerüstet, auf Effekt produziert, eine Viertelstunde in 4D. Jetzt gingen die Macks den umgekehrten Disney-Weg und machten Edda und Ed – angestellt seit Jahrzehnten als Maskottchen, übermausgroße Merchandisingmaschinen und so niedlich wie Mäuse in der wahren Wirklichkeit grässlich sind – zu Helden eines Langfilms.

Dass „Grand Prix of Europe“ gleich mehrfach den amerikanischen Freizeitpark-Konkurrenten optisch persifliert, kann man durchaus auf ein inzwischen eher verschollenes deutsches Selbstbewusstsein zurückführen. Und sich klammheimlich darüber freuen.

Die Geschichte von „Grand Prix of Europe“ ist dramaturgisch ungefähr so schnell durchschaubar wie die von „F1“. Weil man aber von einem Kinderfilm aus einem Funpark auch nichts anderes erwartet, ist einem das weitgehend wurscht.

Und sie geht so: Edda ist als Fahrerin hochbegabt, will aber ihre Ambitionen dem Fortkommen des Jahrmarkts opfern. Die Mutter ist vor Jahren verstorben, der Vater hat sich verschuldet bei Kredithaien, die aussehen wie die Finsterlinge aus „Pinocchio“.

Überhaupt fährt der Plot durch alle möglichen ausgetretenen Pfade der Familienfilmgeschichtsgeschichte einem absehbaren Happy-End entgegen. Ed ist natürlich ein solipsistischer Einzelgänger, dessen Psychoschaden so leicht zu erklären wie zu beheben ist. Er und Edda erkennen einander allmählich. Des Widerspenstigen Zähmung findet statt.

Drumherum kreiseln Fahrerfiguren, denen man im Europapark eine große Merchandising-Karriere voraussagen darf und die sich allesamt europäischen Klischees verdanken, wie Klischees reden, Klischees bedienen. Böckli heißt der Schweizer Fahrer, immer hat er Käse dabei, der Franzose sieht aus wie ein Hahn, Erik, der Nordländer, ist ein Elch – ein Amerikaner kommt nicht vor, was wiederum realistisch ist, weil auch in der Formel 1 keiner mehr mitfährt seit dem Abgang von Logan Sargeant nach der vergangenen Saison.

Das Rust-Rennen beginnt in Paris, was im nächtlichen Feuerwerk um den Eiffelturm aussieht wie eine verirrte Eurodisney-Werbung, dann geht’s weiter nach Neuschwanstein, dem Disney-Schloss und in die Schweiz – Schnee! Käse-Fondue! – Italien und schließlich England (Tower Bridge!). Dass Intellekt nur etwas bewegt, wenn er Intuition, wenn er das Fühlen lernt, lernt man. Dass jedes Trauma heilbar ist. Dass man zusammen, dass man als Familie mehr ist, als allein.

Man muss sich „Grand Prix of Europe“ ein bisschen vorstellen als After Sun Lotion dieses schon jetzt überhitzten Sommers.

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