Im Mai 2026 wird es still im Ed Sullivan Theater in New York – dort, wo einst die Beatles Teenies in Ekstase versetzten und später David Letterman seine Kapriolen schlug. Der Sender CBS zieht der „Late Show“ nach mehr als drei Jahrzehnten den Stecker. Der legendäre Letterman trug das Format 6080 Ausgaben lang wie ein ausgebeultes Sakko – charmant ramponiert und herrlich eigenwillig. 1999 übernahm Stephen Colbert und perfektionierte die Kunst des höflichen Messerstichs, präzise und tödlich, zunehmend politisch in polarisierten Zeiten.

Nun ist Schluss. Die Begründung klingt vertraut: miese Quoten, Streaming-Konkurrenz, Werbekrise – das Format sei unbezahlbar geworden. Paradoxerweise ist die Show Marktführer des kriselnden Genres, mit zweieinhalb Millionen treuen Zuschauern. Plausibler die Ahnung, dass Colbert, der sich im Laufe der Zeit vom hyperironischen Parodie-Patrioten zum liberalen Gewissen Amerikas wandelte, dem linearen Fernsehen zu aufrichtig geworden ist.

Stephen Colbert operiert am offenen Wahnsinn der Politik. Niemand verbindet Empörung und Komik so brillant – vor allem, seit sein alter Freund und Kollege Jon Stewart sich 2015 von der „Daily Show“ zurückzog. Als Colbert kürzlich einen 16-Millionen-Dollar-Vergleich zwischen Donald Trump und der CBS-Mutter Paramount aufs Korn nahm, war es ein rarer Moment, in dem das Fernsehen in einen unendlichen Spiegel blickt und erschrocken sein eigenes Zerrbild erkennt. Die Chefs waren not amused.

Trump gratulierte begeistert zum Ende der Show, die ihm Störgeräusch in der bestellten Heldenverehrung war. Colbert quittierte Trumps Spott mit einem herzhaften: „Go fuck yourself!“ Die Fans jubelten dazu, denn ihnen ist die „Late Show“ die einzig verbliebene Form kollektiver Intelligenz im amerikanischen Fernsehen, Gegenprogramm zu TikTok und Instagram, wo austauschbare Kurzvideos wie hypernervöse Insekten den Glühdraht des Algorithmus umschwirren.

Mit ihr verschwindet nicht nur irgendein Format. Die Spätabendshow war der letzte Ort, an dem der Tag durchdacht wurde – nicht bloß weggelacht. Während die News-Sendungen immer reißerischer um Zuschauer an den Rändern des Meinungsspektrums buhlten, wurden ausgerechnet die Späße der Hofnarren staatstragend. Sie boten einen gemeinsamen Bezugsrahmen, einen nationalen Moment der Reflexion. Hier begegneten sich Linke wie Rechte, weil es leichter ist, gemeinsam zu lachen, als bärbeißig auf Vorurteilen zu beharren.

Die Absetzung der „Late Show“ ist deshalb kein Betriebsunfall, sondern ein Menetekel. Wo früher eine Pointe für sich allein stehen konnte, muss sie heute um Klicks kämpfen wie ein Straßenmusiker um Kleingeld. Stephen Colberts Zukunft ist ungewiss. Klarer erahnt man den missratenen Erben seines elegant-anarchischen Witzes: weißes Rauschen in Millionen Smartphones, ein digitaler Tinnitus der Belanglosigkeit.

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