Sie ist keine Elektrikerin, Wilma Kummel ist Elektriker. Auch Schweißer, Maschinist und Kesselwärter war sie in den ersten 30 Jahren ihres Lebens in der DDR. Da wurden die Berufe nicht gegendert. Frauen waren das, was Männer waren. In „Wilma will mehr“ endet das 20. Jahrhundert an der deutschen Ostgrenze in Arbeitslosigkeit und Depression, aber die feministischen Instinkte sind noch wach.

Die Filmheldin lässt ihre Heimat hinter sich, die Lausitz mit dem stillgelegten Kraftwerk „Sonne“ und den Braunkohlenwüsten, flieht nach Wien und trifft dort eine Akademikerin, die als stolze Feministin von den neuen Alphamädchen faselt. „Da waren wir Trendsetter“, sagt Wilma, der Elektriker, Installateur und Schlosser: „Ohne viel Jerede.“

Noch ein Film über den Osten und die Ostdeutschen. Schon in der Zeit, in der er spielt, Ende der 1990er-Jahre, als alle Fabriken und Betriebe ausgeschlachtet und geschlossen waren, wurden die verfallenen und verlassenen Landschaften zu Drehorten für melancholische Historien- und Kostümfilme über ein anderes Volk in einem anderen Land. Auch Wilma wird als Ostlerin wieder sofort erkannt in ihren komischen Klamotten.

Wenn sie sich mit ihrer ehemaligen Brigade „Völkerfreundschaft“ trifft und mit den weiblichen Kollegen am Kulturprogramm arbeitet, trägt sie ihren Blaumann. Zum geselligen Gelage in der alten Werkhalle oder am Baggersee trägt sie einen türkisen Strickpulli zur beigefarbenen Hose. Sie trinkt Kumpeltod und tröstet sich mit Spreewaldgurken. Als ihr Arbeitgeber ihr auf Hessisch auch noch als Elektrofachverkäufer kündigt und ihr Mann, ein arbeitsloser Ingenieur, mit ihrer besten Freundin nackt Spaghetti kocht, macht sie sich auf den Weg nach Wien: „Allet wird anders!“

Maren-Kea Freese hat als Regisseurin aus dem Westen auch die Hauptrolle mit Fritzi Haberlandt, geboren 1975 in der DDR, korrekt besetzt. Freese erklärt: „Schon lange hat mich die Selbstverständlichkeit beeindruckt, mit der sich Frauen in der Industrie der DDR in technischen Berufen behaupteten. Sie schienen ein anderes Frauenbild zu leben. Wie waren sie und wie ging es ihnen in einer Zeit, in der so viele gewohnte Strukturen wegbrachen?“ Will ihr Film wirklich wissen, wie die sogenannten Ostfrauen waren und vielleicht sogar noch sind? Oder ist Wilma wie sie ist, weil es der Film und die Ost-West-Debatten drei Jahrzehnte nach dem Ende eines immer märchenhafter wirkenden anderen deutschen Staatswesens gern hätten?

Filme zeigen Fantasien und Fiktionen in Klischees, Kulissen und Kostümen. Nebel über Gundermann-Dörfern vor Schornsteinen, die nicht mehr rauchen. „Flugasche“ von Monika Maron neben dem Bett. Aus dem Rekorder und dem Radio „Hoywoi“ von den Inchtabokatables über die Neonazis in den Neunzigern in Hoyerswerda und Schlager von Ruth Brandin. Der senffarbene Wartburg aus dem Babelsberger Filmfundus. Zum filmreifen Klischee haben sich auch die Ostdeutschen verdichtet, vor allem die Ostfrau.

In „Wilma will mehr“ packt sie die Dinge an und macht das Beste aus den Beitrittsfolgen, während sich ihr Mann gekränkt fühlt und nichts Besseres zu tun hat, als sich seine Männlichkeit beim Fremdgehen zu bestätigen. Wilma schraubt Schutzschalter zusammen. Sonntags setzt sie ihren Helm auf und führt durch das Industriemuseum, das mal ihr Betrieb war. Aber wenn es reicht, dann reicht es ihr!

Die Ostfrau ist patent und praktisch. Auf dem Arbeitsamt in Wien weist sie das nach: Schweißerzertifikat und Schaltberechtigung, aber auch Schreibmaschine, Steno und einen Meistertitel im Langstreckenschwimmen. „Ick kann ’ne Turbine durchpusten.“ Sie gibt sich nie gekünstelt und verachtet all das „Bussi und Baba“ in Wien, also im Westen. Sie spricht regional, auch wenn dort, in der Lausitz, nicht so sehr berlinert wird, gesächselt aber eben auch nicht: „Ick hatte ja vorher ooch een Leben!“ Sie ist von Hause aus Feministin, siehe oben. Eine arbeitende Frau, die sich klaglos ins Lager eines Baumarkts und mit ihrem Werkzeugkoffer an die Straße stellt, zwischen die misstrauischen Männer am Handwerkerstrich.

„Na, wenigstens sind wa nich verklemmt“

Weil Ostfrauen auch nachgesagt wird, dass sie sexuell befreiter seien, bricht sie in der Kneipe sofort alle pseudofeministischen Debatten ab, wenn ihr ein Mann gefällt und ihr nach einem Tanz zumute ist. Wilma trifft einen schüchternen Solarmodulbauer aus Österreich, einen Elektriker des 21. Jahrhunderts, der die Ostdeutschen für spießig und naiv hält. „Na, wenigstens sind wa nich verklemmt“, sagt Wilma und beordert ihn ins Schlafzimmer.

Am Ende sitzt sie mit allen zusammen, mit der Feministin, ihrem Freund und einem Handwerkerkollegen, der sich eigentlich als Dichter liest. Sie singen „Sag mir, wo du stehst“, die Hymne des Oktoberklubs. Eines der schlimmsten Lieder aus der DDR gegen den Feind im eigenen Land und in den eigenen Reihen: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Wilma fügt einen Vers hinzu, sie strahlt und singt: „Es war nicht alles schlecht.“ Natürlich nicht. Dann kehrt sie heim.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.