Zwei Planetinnen umkreiseln sich in der ewigen Opernzaubernacht. Jede verharrt in ihren Sonnen- wie Koordinatensystem, auf ihrer eigenen, isolierten Umlaufbahn. Sie befehden einander, obwohl Cousinen, aber eben auch Konkurrentinnen; die Weltgeschichte hat es so gewollt. Die Religion und der Machtanspruch trennen die Herrscherinnen Englands wie Schottlands. Als die eine die andere zum Tode verurteilt hat, sind sich die schwarz und weiß gekleideten Königinnenkinder auf Augenhöhe ganz nah, aber noch immer ist der Abgrund viel zu tief.

Schöner, poetischer kann man „Maria Stuarda“, Gaetano Donizettis hochromantische, ganz auf expressiv wie intim vorgetragene Gefühle konzentrierte, sogar die hohe Politik zugunsten eine schon absurd anmutenden Dreiecksliebesgeschichte in den Hintergrund treten lassende Belcanto-Oper eigentlich nicht erzählen. Gleichzeitig sind diese ruhigen, intensiven Bilder auf der eindrücklichsten, auch gefährlichsten Musiktheaterbühne der Welt, im Großen Salzburger Festspielhaus implantiert. Dort, wo die Entfernung Angst macht, wo die dann oft zarten, verletzlich anmutenden Klänge als Hoffnungsträger zwischen den Menschen gewaltige Dimensionen überwinden müssen. Dann aber erst recht und umso nachhaltiger und strahlender wirken.

In Salzburg fand an dieser Stelle bisher nur ein einziges Mal, 2009 mit Rossinis „Moïse et Pharaon“ unter Riccardo Muti, eine tragische Belcanto-Oper in szenischer Fassung statt. Die Entscheidung für diese in den letzten Jahren wieder populärer gewordene und nicht nur als Starvehikel gebrauchte Donizetti-Oper ist hier also riskanter als beinahe jede Uraufführung. Zumal die Wiener Philharmoniker nicht eben als Fans dieser Musik bekannt, viele der Beteiligten keine Spezialisten auf diesem besonderen Vokalgebiet sind.

Und doch gelang eine wirklich festspielwürdige Premiere, gerade weil sich alle auf dieses bühnentechnisch ungewöhnliche wie vokal spannende Experiment restlos eingelassen haben. Das beginnt mit dem Regiezuschlag für Ulrich Rasche. Der hat vor allem im Theater seine Expertise für mitunter aufgeplusterte Antikenspektakel mit chorischem Marschieren, Textskandieren, riesigen, auch knarzenden Monstermaschinen, die sich zwischen dröhnenden Klangbeats, Nebelschwaden, Lichtschlagschatten den Menschen untertan machen. Und er setzt dabei in seiner herrschsüchtigen Stilistik auf originelle wie enge Weise das Erbe eines Einar Schleef wie des eben verstorbenen Robert Wilson fort.

Zweimal hat Rasche schon Musiktheater inszeniert, in Genf „Elektra“, in Stuttgart die Bachsche Johannes-Passion. Doch auch in der ausgedünnten, ganz auf die Sängerstimme konzentrierten, rhythmisch starren, aber flexibel zu nehmenden Belcanto-Welt funktioniert seine Manier erstaunlich gut. Auch deshalb, weil er die Monumentalität der Bühne annimmt, sie raffiniert benutzt.

Eine Meditation zum Sterben hin

Drei Scheiben hat er diesmal konstruiert, eine für jede Königin und eine dritte, die als verschiedenfarbiges Leuchtobjekt über allem schwebt; die als Projektionsfläche für Elisabeths unerfüllte erotische Fantasien dient, die sie eine filmische Maria ausleben lässt; und die endlich als Beil über der am Boden liegenden Maria niedersinkt. Die Scheiben der miteinander konkurrierenden Frauen können sich in mehreren Kreisen gegenläufig drehen, hoch- und runterfahren, kippen, scheinbar schwerelos durch den Raum gleiten, im undurchdringlichen Dunkel verschwinden. Auf jedem Rund steht eine Königin. Elisabeth, der der erste Akt gehört, steckt bis zu den Fingerspitzen in einem starren schwarzen Kleidkokon (Kostüme: Sara Schwarz), die Haare sind festgesteckt. Sie ist die Mächtigere, Maria, die das Finale dominiert, ihre Gefangene, eigentlich schon besiegt. Die trägt ein viel weicheres, weißes Kleid, die Frisur ist offen.

So schreiten sie langsam und doch leichtfüßig, Nachtwandlerinnen gleich dahin, beide umringt und verwoben in einen männlichen Bewegungschor, der ihnen nahekommt und wieder auf Abstand geht, ihr Hofstaat, aber auch der Apparat, der sie determiniert, dem sie nicht entrinnen können. Aus den Schranzen schälen sich einerseits Elisabeths politische Scharfmacher Talbot und Cecil, auf der Maria-Scheibe steht der in sie verliebte Leicester, dem auch die ewige Jungfrau Elisabeth schönen Augen macht.

Von risikobereit weit oben, nur schemenhaft zu erkennen, tönt die hier als Kolorit wirkungsvolle, nicht wirklich handlungsprägende Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Und im Graben gestaltet der Norditaliener Antonello Manacorda einen virilen, doch auch weichen Donizetti, der kraftvoll vorantreiben kann und dann wieder in ausgedünnter Instrumentation die Zeit und sogar die Scheiben (die dann nur noch innerlich kreisen) zum Stillstand bringen. Fein setzt er seine Rubati, nimmt in den Rezitativen immer wieder Rasches Rhythmus auf, hält dennoch Szene und Klang auf Distanz in ihrer Balance. Man meint fast zu spüren, wie dieses gewaltige Arrangement jeden zum Äußersten zwingt, wie Wille und Überwindung Spannung schaffen, diesem überwältigenden Konstrukt, Beben, Leben, Atem einhauchen. Eine Meditation zum Sterben hin.

Eine Primadonna macht schon einen Belcanto-Sommer. Aber gleich zwei, Königinnen noch dazu, in einer einzigen Oper, die sich wie die Katzen befauchen, gipfelnd in jenem famosen ersten Finale, wenn Maria Stuart statt für Frieden zu sorgen, Elisabeth, ihrer Rivalin um dem englischen Thron, der „unreinen Tochter der Boleyn“, verachtungsvoll „Bastarda“ entgegenschleudert – das ist ein Fest nicht nur für die Freunde der italienischen Oper, für Divenflüsterer, Zickenkrieg-Liebhaber und Fans der Golden Girls wie Frauen weit über dem Rand des Nervenzusammenbruchs.

In Salzburg wird aber der sonst gern genossene, gern auch camphafte Starzirkus auch ein Monumentum musikalischer Transzendenz. Weil die antinaturalistische, monumental minimalisierende Stilistik der Szene genau die formelle Strenge der Musik und ihre Möglichkeit, sich melodisch freizumachen, aufgreift, fortspinnt und noch einmal überhöht. Das gelingt aber nur, weil hier ein Quintett intelligenter Sänger jedem Stimmbesitzer- und Ziervogel-Klischee von Belcanto Hohn spricht. Angefangen von dem tollen Trio als Tiefenfundament – dem warmen Bass Alexei Kulagin (Talobot), dem knorrigen Bariton Thomas Lehman (Cecil) und dem höhensicher angenehmen Tenor Bekhzod Davronov.

Doch natürlich, das muss in diesem Operngenre so sein, sind die beiden Leading Ladies die Fixsterne dieser außerordentlichen „Stuarda“. Lisette Oropesa, gegenwärtige Führende im jugendlich-dramatischen Koloraturfach, tönt als Maria weich, aber bestimmt, riskiert eine offene, opake Höhe, umschmeichelnd aber herrlich in der Mittellage. Bei ihr hört man in jedem Moment das mühelos elaborierte Belcanto-Können. Kate Lindsey ist in diesem Stil eine Außenseiterin, doch sie beherrscht perfekt die dunklen Schattierungen, die Strenge der Klangetikette. Sie versteht ihre maßlos stolze Elisabeth stets auch unter der Bürde ihres Amtes.

Wie die Scheiben greift hier jedes ästhetische wie akustische Rädchen ineinander. Manchmal ächzen die Maschinen auch. Da merkt man wieder, wie schwer diese so fluide Arrangement doch ist. Und natürlich schließen sich am Ende die Scheren des Schicksals. Während Maria durch die Musik noch wirkungsvoller ihren Abgang von der Welt, hin in den Nachruhm inszeniert, gestattet sich Ulrich Rasche (ein wenig zu lang anhaltend) sogar schönsten Kitsch. Die hingegossenen Jünglinge im Lendenschurz heben Maria zur katholischen Apotheose, einer Himmelkönigin gleich schreitet sie im hauchzarten Glitzerkleid auf das Schafott. Während Elisabeth, die ihr zweimal ebenbürtig hoch auf der Scheibe gegenüberstand, in die dunkel vernebelte Ewigkeit des Weiterregierens entschwindet.

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