«Ich bin schwarz, Muslim, aus der Banlieue – und stolz darauf», rappt Kery James in seinem Song «Lettre à la République». Ein Statement. Denn wer in Frankreich schwarz und muslimisch ist und aus der Banlieue kommt, ist mit vielen Vorurteilen konfrontiert. Kriminell zu sein etwa, arm – und radikal. Und genau das prangern muslimische Rapper an.

Neben Kery James thematisiert auch der Rapper Médine in seinem Song «Don’t Panik» die gängigen Klischees, mit denen Musliminnen und Muslime in Frankreich konfrontiert sind. Sie gelten als Dealer und Sportler, gläubige Moscheegänger und Vergewaltiger, als Aufrührer und Stützen der Gemeinschaft.

Seine Botschaft: Egal, wie sehr wir uns bemühen – wir können es euch, der französischen Mehrheitsgesellschaft, nicht recht machen.

In diesem ‹rap engagé› geht es immer um eine Protesthaltung gegenüber dem System, gegen Politik, Medien oder Diskriminierung.
Autor: Andrea Elisabeth Suter-Bieinisowitsch Religionswissenschaftlerin

Protest gegen Ungerechtigkeit und Rassismus

Dieser Rap mit Botschaft sei typisch für Frankreich: «Die Rapper wollen Doppelstandards und Missstände aufdecken», sagt Andrea Elisabeth Suter-Bieinisowitsch, die in ihrer Doktorarbeit den Zusammenhang zwischen Rap und Islam untersucht hat. «In diesem ‹rap engagé› geht es immer um eine Protesthaltung gegenüber dem System, gegen Politik, Medien oder Diskriminierung.»

Dass der französische «rap engagé» so stark mit dem Islam verknüpft ist, hängt mit der Herkunft der Rapperinnen und Rapper zusammen: Sie stammen mehrheitlich aus den Banlieues, den Vororten der grossen Städte. Die meisten haben Wurzeln in muslimischen Ländern Nordafrikas. Ihre Eltern oder Grosseltern sind seit dem Zweiten Weltkrieg als Arbeitskräfte aus den ehemaligen Kolonien nach Frankreich eingewandert. Und fühlen sich, wenn man den Rappern zuhört, heute in Frankreich nicht mehr willkommen.

Denn seit den 2000er-Jahren wird in Frankreich vermehrt darüber diskutiert, wie multikulturell das Land sein soll und wer dazu gehört. «Nous, les Arabes et les Noirs, on n’est pas içi par hasard», rappt Kery James in «Lettre à la République». Ihr habt uns geholt, als Arbeitskräfte, in französischen Ghettos parkiert, und jetzt werft Ihr uns vor, kriminell zu sein – so die Anklage.

Die schönen Seiten des Islam aufzeigen

Kery James’ Familie ist aus dem karibischen Guadeloupe nach Frankreich eingewandert. Der Musiker, mit bürgerlichem Namen Alix Mathurin, entdeckte den Rap schon als Jugendlicher, wurde früh erfolgreich und lebte das Leben, das viele mit dem Klischee des Rappers verbinden: Drogen, Schlägereien, Steuerhinterziehung. Davon erzählt er selbst in seinem autobiografischen Song «28 décembre 1977». Dann wurde sein Bandkollege ermordet.

Legende: 2017 rappt Kery James auch in der Schweiz: beim Jazz Festival in Montreux. Keystone/Cyril Zingaro

Kery James begann, sein Leben zu hinterfragen – und konvertierte zum Islam, den er in der Rap-Community kennengelernt hatte. In seinen Songs klagt er deshalb nicht nur gegen das «System», sondern erzählt auch von den schönen Seiten seiner Religion. «Rap als Bekenntnis» nennt dies Andrea Suter in ihrer Forschung.

Mit Provokation gegen Vorurteile

Anders bei Médine: Beim Rapper aus Le Havre mit algerischen Wurzeln steht der «Rap als Protest» im Zentrum. In seinen Songtexten geht er hart ins Gericht mit Frankreich: mit dessen Kolonialgeschichte, die noch immer nicht aufgearbeitet sei. Mit Politikerinnen und Politikern, die den Islam stets als politisch und radikal darstellten und die viel gepriesene Laizität – die Trennung von Kirche und Staat – als Vorwand nutzten, um Musliminnen und Muslime auszugrenzen und als Nicht-Zugehörige darzustellen.

Seine Sprache ist dabei absichtlich doppeldeutig, oft gewaltig, manchmal aggressiv. Die Provokation allgegenwärtig, die Aussagen grenzwertig. So rappt er im Song «Don’t Laïk» von Fatwas, von der Scharia und dass «wir die Vertreter der Laizität kreuzigen sollten wie Jesus in Golgota».

Sein zweites Studioalbum nannte der Rapper «Jihad», wobei das J auf dem Albumcover durch einen Säbel dargestellt wird. Eine absichtliche Provokation und ein Spiel mit der Bedeutung von Dschihad. Oft gelesen als «Heiliger Krieg», bedeutet Dschihad im Islam auch das ganz persönliche Streben danach, ein besserer Mensch zu werden. «Le plus grand combat est contre soi-même», lautete denn auch der Untertitel des Albums.

Vorbilder oder gefährliche Islamisten?

Wegen seiner Texte und der Bildsprache gilt Médine bei der politischen Rechten als Islamist. Besonders brisant: Der Song «Don’t Laïk» erschien wenige Tage vor dem islamistisch motivierten terroristischen Attentat auf die Satire-Zeitschrift «Charlie Hebdo» im Jahr 2015. «Die französische Öffentlichkeit empörte sich», erzählt Andrea Elisabeth Suter-Bieinisowitsch, «und stellte die Frage, wie weit der Rap gehen dürfe.»

Mir ist in meiner Forschung in Frankreich kein Fall begegnet, bei dem der Rap zur Radikalisierung beigetragen hätte.
Autor: Andrea Elisabeth Suter-Bieinisowitsch Religionswissenschaftlerin

Als Médine drei Jahre später im Musikclub Bataclan ein Konzert geben wollte, kündigte Marine Le Pen, Chefin der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National, persönlich an, dies zu verhindern. Ein «islamistischer Fundamentalist» wolle ausgerechnet in dem Club auftreten, in dem drei Jahre zuvor fast 90 Menschen bei einem Terrorattentat ermordet wurden. Das gehe gar nicht, enervierte sich Le Pen. Aufgrund des öffentlichen Drucks musste Médine sein Konzert absagen.

Sind französische Rapper also Vertreter eines politischen Islam, gar Extremisten? Religionswissenschaftlerin Andrea Elisabeth Suter-Bieinisowitsch relativiert: Zwar hätten Medienberichte gezeigt, dass die Charlie-Hebdo-Attentäter Amateurrapper gewesen seien. «Amateurrapper gibt es allerdings Tausende. Mir ist in meiner Forschung in Frankreich kein Fall begegnet, bei dem der Rap zur Radikalisierung beigetragen hätte.»

Anders als etwa in Deutschland, wo der Gangster-Rapper Denis Cuspert zum Terror-Propagandisten wurde, wie die Schweizer Journalistin Yvonne Kunz in ihrem Buch «Jihad Rap» beschreibt.

Einzug in die Schulbücher

Wie viel Einfluss haben die muslimisch engagierten Rapper also überhaupt auf ihr Publikum und die französische Gesellschaft?

Wenig, wenn es um die religiöse Praxis gehe, erläutert Religionswissenschaftlerin Andrea Elisabeth Suter-Bieinisowitsch. In der Diskussion um die Rolle des Islams in der Gesellschaft seien die Rapper jedoch eine Stimme, die gehört wird. Und: «Die Rapper haben einen Beitrag geleistet, dass die lange tabuisierte Kolonialgeschichte Frankreichs aufgearbeitet wird», sagt Suter-Bieinisowitsch. So hat etwa der Text des Songs «17 octobre» von Médine Eingang gefunden in ein Schulbuch.

In seinen besten Zeiten, in den 2000ern und 2010ern, gehörte der französische Rap zu den erfolgreichsten Musikgenres Frankreichs. Und die engagiert muslimischen Rapper erreichten ein Millionenpublikum. Und wurden damit Vorbilder für eine selbstbewusste Generation muslimischer Banlieusards.

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