Nein sagen, das kann ich. Dachte ich jedenfalls. Und tatsächlich: Als ich, inspiriert von Maike Schöfers Buch «Nö», begann, ein Nein-Tagebuch zu führen, lief es zunächst wie geschmiert. Die ersten Neins? Kein Problem.
Nein zu meinem Teenie-Hund, der sich aus dem Körbchen robbt. Das ist zwar anstrengend – die Kleine hat Ausdauer – aber muss sein. Nein zur schlechten Laune angesichts des Dauerregens. Nein zur Frühschicht in der Küche – mein Mann hat Ferien, soll der doch ran. Ein schlechtes Gewissen? Nein!
Mit dem Biss in den Apfel sagt Eva Nein zu einem Verbot, Nein zum Paradies, zu Adam, sogar zu Gott.
Doch dann kamen sie, die schwierigen Neins: Nein zum Pflichtbewusstsein, das mir einredet, weiterzuarbeiten. Obwohl ich Überstunden habe und kompensieren könnte. Oder das schwierigste Nein überhaupt: Nein zur Mama. Sie nicht mitzunehmen auf die Wanderung – obwohl ich weiss, dass sie gerne mitgekommen wäre.
Mich vor die Bedürfnisse meiner Liebsten zu stellen. Das fällt schwer.
Neinsagen als Selbstfürsorge
Genau darauf will Maike Schöfer aufmerksam machen in ihrer «Anstiftung zum Neinsagen»: Ja sagen zu einem selbst heisst oft Nein sagen zu anderen. «Das kann vor den Kopf stossen und das macht es so schwierig», sagt die queere Pfarrerin. Neinsagen bedeutet für sie deshalb Selbstfürsorge. Aber noch viel mehr.
Maike Schöfer will in ihrem Buch die Strukturen aufzeigen, die uns das Nein erschweren. Patriarchale Strukturen, wie sie betont. Die queere Pfarrerin, aufgewachsen in einem Vorort von Bremen in einer Arbeiterfamilie, beschreibt in ihrem Buch, wie sie durchs Neinsagen zu sich selbst fand.
Wie sie sich aus gesellschaftlichen Konventionen löste, ihre Ehe mit einem Mann beendete, ihren Körper zu akzeptieren begann: «Schicht für Schicht legte ich all das ab, was mein Nein klein und versteckt hielt: die gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Erzählungen, wie Frauen zu sein haben, und Phänomene wie People Pleasing, Schönheitsideale, Hustle Culture, männliche Sprachdominanz, Mansplaining, Imposter-Syndrom und Brave-Tochter-Vibes.»
Eva im Paradies als erste Neinsagerin
Das ist nun alles nicht neu. Schon in den 80er-Jahren forderten Feministinnen die Frauen auf, sich durch mehr Nein zu emanzipieren. Schönheitsideale infrage zu stellen, sich gegen Sexismus zu wehren und Frauen in der Sprache mehr Sichtbarkeit zu verschaffen – darüber wurde in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel diskutiert. Hier ist Schöfers Buch ein ziemliches Sammelsurium, das keine tiefgreifenden neuen Einsichten bietet.
Stark ist «Nö» hingegen immer dann, wenn sie ihre eigene Geschichte einbringt: Wenn ich Schöfer als Leserin auf ihrem Erkenntnisweg begleiten kann. Etwa, wenn sie schildert, wie sie als Kind aus einer bildungsfernen Familie stets das Gefühl hatte, sich im akademischen Umfeld beweisen zu müssen – weshalb sie Mühe hatte, Nein zu sagen zu Aufträgen und Anfragen. Oder wenn ich mit Maike Schöfer biblische Geschichten aus feministischer Perspektive neu entdecke.
In der Figur der Eva sieht Maike Schöfer etwa die erste Neinsagerin: «Mit dem Biss in den Apfel sagt sie Nein zu einem Verbot, Nein zum Paradies, zu Adam, sogar zu Gott. Eva erträumt ein anderes, vielleicht besseres Leben jenseits der paradiesischen Mauern und geht diesen Weg.»
Mit einem starken Nein gegen sexualisierte Gewalt in der Kirche
Nun ist auch die feministische Theologie bereits über 40 Jahre alt. Was Maike Schöfer will, ist, diese Perspektive einem breiteren Publikum bekannt zu machen: «Ich habe dieses Buch extra nicht in einem theologischen Verlag geschrieben», sagt sie. Auch die einfache Sprache wählt die Pfarrerin mit Absicht. Denn sie ist überzeugt: «Man kann auch mit einfachen Worten tiefgründige Gedanken ausdrücken.»
Nein sagt Maike Schöfer auch zu verkrusteten Strukturen in ihrer Kirche, etwa zur «Harmoniesucht». Die Forum-Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche in Deutschland hat diese als ein Element genannt, das die sexualisierte Gewalt begünstigte. Hier zeige sich, wie wichtig das Neinsagen sei, sagt Maike Schöfer: «Wir brauchen eine Kultur, die das Nein ebenso akzeptiert wie die Kritik.»
Die Pfarrerin mit der glitzernden Lederjacke
Mit dieser Haltung eckt sie an. «Ich höre oft aus Kirchenkreisen, dass gerade wir Christinnen und Christen doch das Leben, die Schöpfung bejahen sollen.» Maike Schöfer ist sich aber sicher: «Wo Ungerechtigkeit passiert, wo die Würde des Menschen verletzt wird, da ist es unser christlicher Auftrag, Nein zu sagen. Auch damit ehren wir Gott.»
Wenn ich ‹Gott unser› sage, dann fühlt sich das für einige an, als würde ich ihnen die liebgewonnene Tradition wegnehmen. Das will ich aber nie.
Den Glauben hat Maike Schöfer früh gefunden, obwohl sie aus einer kirchenfernen Familie stammt. Doch den kirchlichen Konventionen will sie sich nicht beugen: «Ich habe abrasierte Haare, ich kleide mich gerne bunt, wild, mit Lederjacke. Ich akzeptiere nicht, dass mir Menschen sagen, das sei unprofessionell, gerade als sogenannte Würdenträgerin.»
Das Nein feiern und von anderen akzeptieren
Und da ist sie wieder, die starke eigene Lebensgeschichte. Maike Schöfer öffnet ihre Kirche in Berlin für queere Gottesdienste, spricht gerne von Gott als «sie». Und betet nicht das «Vater unser», sondern das «Gott unser». Ist sich dabei aber bewusst, dass sie damit ihre Gemeinde auch vor den Kopf stösst.
«Wenn ich ‹Gott unser› sage, dann fühlt sich das für einige an, als würde ich ihnen die liebgewonnene Tradition wegnehmen. Das will ich aber nie.» Deshalb sage sie etwa bei Beerdigungen stets das traditionelle «Vater unser». «Wir müssen unsere Neins gezielt einsetzen, auch auf aktivistischer Ebene.»
Maike Schöfer plädiert in ihrem Buch dafür, dass wir uns gegenseitig bestärken beim Nein sagen. Dass wir das Nein ebenso feiern wie das Ja. Im Grossen, etwa durch Trennungsrituale oder widerständige Vorbilder. Aber auch im Kleinen, indem wir die Freundin bestärken, wenn sie die Verabredung absagt. So wie meine Mutter. Die zunächst konsterniert war, als sie von meiner Egowanderung erfuhr. Und sich dann einen schönen Tag machte. Und mir dadurch mein Nein enorm erleichterte.
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