Intellektuelle, die in mehreren Ländern und Sprachen zu Hause sind und die in aktuellen Debatten aus dieser Haltung heraus weitsichtiger als andere agieren, gibt es wenige. Eigentlich kann man sie an zwei Händen abzählen, die Frauen unter ihnen an einer. Zu ihnen gehört die israelisch-französische Soziologin Eva Illouz, die in Paris und Jerusalem lehrt und arbeitet.

In den vergangenen Jahren ist Illouz einem internationalen Publikum bekannt geworden mit kapitalismuskritischen Deutungen lebensweltlicher Phänomene, oft in Weiterführung der Gedanken von Max Weber und Sigmund Freud. Werke wie „Der Konsum der Romantik“, „Warum Liebe wehtut“ und „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ haben Illouz auch jenseits der akademischen Welt populär gemacht; nicht zuletzt auch deswegen, weil Illouz ihre Theorien mit zeitgeistigen Beobachtungen aus der Gegenwart verbindet, etwa zu postmodernen Liebesverhältnissen oder Einsamkeit. Dass viele davon mehr als 150 Jahre nach Marx’ „Kapital“ mit dem immergleichen kapitalismuskritischen Beat vom Warencharakter der Welt unterlegt sind, störte bisher nicht: Illouz ist eine der wichtigsten Gesellschaftstheoretikerinnen unserer Zeit.

Illouz ist aber auch das, was man gemeinhin als „engagierte Intellektuelle“ bezeichnet; seit dem 7. Oktober wird sie nicht müde zu wiederholen, dass es sie als linke Denkerin empöre, wie sehr es anderen linken Intellektuellen an Empathie gegenüber Juden fehle, bei aller angebrachten Kritik an der gegenwärtigen Politik Israels. Erst vergangenen Monat ging Illouz in einem Aufsatz mit dem Titel „Time to Unmask the Imposture of Anti-Zionism“ der Frage nach, ob Antizionismus eine verschleierte Form von Antisemitismus sei – und warum linke Intellektuelle wie die Philosophin Judith Butler oder die Autorin Masha Gessen, die sonst so leidenschaftlich für Minderheiten einträten, nun ausgerechnet bei Juden eine Ausnahme machten und Israel als eine Metapher des Bösen an sich betrachteten. Dabei dürfe man sich nicht entscheiden zwischen Kritik an Israel und dem Kampf gegen Antisemitismus – dieser sei nicht verschwunden, sondern habe sich in demokratischen Gesellschaften im Gegenteil verstärkt, nicht zuletzt durch Teile der Linken selbst.

Eben wegen solcher Äußerungen will nun, wie zuerst die „Zeit“ berichtet hat, der griechische Verlag Oposito Books das Buch „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ aus seinem Programm nehmen. Illouz’ Äußerungen seien irreführend, sie verwische Verantwortlichkeiten; als „Zeichen der Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ habe man beschlossen, das Buch nicht mehr zu verlegen, auf eine Neuauflage zu verzichten und die Rechte freizugeben. Der Suhrkamp Verlag, bei dem Illouz’ Werke auf Deutsch erscheinen, bestätigt dies auf Nachfrage.

Welche Solidarität dem „palästinensischen Volk“ zuteilwird, wenn ein griechischer Kleinverlag ein kapitalismuskritisches Werk einer französisch-israelischen Soziologin aus seinem Programm nimmt, sei dahingestellt; ein Verlag kann schließlich frei entscheiden, was er verlegt und was nicht (und tatsächlich soll schon ein anderer griechischer Verlag angeboten haben, das Buch zu verlegen). Dennoch ist der Vorfall signifikant: Ein Buch – das vor Jahren erschienen ist und gar nicht vom Nahost-Konflikt handelt – und seine Autorin werden aussortiert, weil ihre aktuelle politische Position zum Nahost-Konflikt nicht ins eigene Weltbild passt.

Illouz hat dieses Reaktionsmuster bereits selbst beschrieben – in ihrem jüngsten Buch, das die Debatten, die infolge des 7. Oktober aufseiten der Linken entstanden sind, entlang der Frage zu bewerten versucht, warum weite Teile der Linken die Juden „im Stich gelassen“ haben. „Der 8. Oktober“ erscheint im September auf Deutsch – auf Griechisch sicher nicht bei Oposito Books.

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