Pierce Brosnan meldet sich aus seinem Haus auf Kauai, Hawaii. Per Zoom. Im Freizeithemd, braun gebrannt, sitzt er entspannt auf einem breiten Sofa, im Hintergrund meint man den Ozean zu erkennen. Mit 72 Jahren ist der irisch-amerikanische Schauspieler, der einst als James Bond zum Weltstar wurde, auch mit seinen inzwischen silbergrauen Haaren immer noch eine Erscheinung. Nach ersten internationalen Erfolgen in der Fernsehserie „Remington Steele“ (1982–1987) wurde er ab 1995 als 007 mit „GoldenEye“ berühmt, verkörperte den britischen Geheimagenten in insgesamt vier Filmen. Danach spielte Brosnan mal romantisch und komisch in „Mrs Doubtfire“ und „Mamma Mia!“, mal düster in „The Ghost Writer“ oder „The Son“.
In seinem neuen Film „The Thursday Murder Club“ (ab 28. August auf Netflix), basierend auf dem Bestseller von Richard Osman, gibt er nun den pensionierten Gewerkschaftsaktivisten Ron. Zusammen mit einer von Helen Mirren gespielten ehemaligen MI6-Agentin und einem von Ben Kingsley dargestellten pensionierten Psychiater lösen die schrulligen Rentner in einer englischen Seniorenresidenz vergessene und aktuelle Mordfälle. Der Film erzählt von Lebenserfahrung, Demenz, Freundschaft – und davon, dass Abenteuer im Alter nicht enden müssen.
Parallel ist Brosnan derzeit ebenfalls mit Mirren in der Paramount+-Serie „Mobland“ zu sehen – als kriminelles Power-Paar in London. Dass beide nun gemeinsam Morde aufklären und zugleich gemeinsam welche begehen, ist kein Zufall. Sondern das, was Pierce Brosnan einen „zweiten Akt“ nennt. Wenn es um schwere Themen wie Demenz oder die politische Lage in seiner Wahlheimat USA geht, spricht Brosnan oft langsam, beinahe zögerlich – als würde er die Sätze auf der Zunge abtasten, bevor er sie preisgibt. Dann zerdehnt er seine Gedanken, unterbricht sich, setzt neu an und manchmal schweigt er auch kurz.
WELT: Mr. Brosnan, nicht nur die Filmwelt spekuliert seit Langem über den nächsten James-Bond-Darsteller. Der Regisseur des Films steht immerhin schon fest: Denis Villeneuve. Nur mal angenommen, er böte Ihnen nun die Rolle eines Bond-Bösewichts an – wie würden Sie reagieren?
Pierce Brosnan: (lacht) Wie könnte ich einem so großartigen Regisseur widerstehen? Es ist doch alles nur ein Spiel, ein großes Spiel. Wenn die Rolle für mich passend wäre, würde ich gerne zu dieser historischen Filmreihe zurückkehren. Ich als Bond-Schurke – das könnte für das Publikum höchst unterhaltsam sein. Meine Frau Keely und ich haben schon öfter über diese Vorstellung gescherzt. Sie meinte allerdings, ich sollte lieber als M zurückkommen.
WELT: Also als Chef des legendären britischen Geheimdienstes MI6.
Brosnan: Ja. Ich dagegen fände es großartig, einen charmanten, leicht verunstalteten und zugleich aalglatten Bösewicht zu spielen (lacht). Das wäre ein großer Spaß, oder? Jetzt warten wir erst mal alle gespannt ab, wer der nächste James Bond wird. Es gibt ja so viele wunderbare Schauspieler da draußen.
WELT: In Ihrem neuen Film spielen Sie den pensionierten Gewerkschaftsaktivisten Ron, der in einer Seniorenresidenz lebt. In einer Szene sind Sie zu sehen, wie Sie lediglich vorgeben, debil zu sein: Sie sitzen da mit vollgekotzter Hose, Bierflasche in der Hand und Zahnlücke. Mal ehrlich, wie viel Spaß hat es Ihnen gemacht, mit diesem Outfit den größtmöglichen Kontrast zu einer Stil-Ikone wie Bond zu bieten?
Brosnan: Danke, dass Ihnen das aufgefallen ist. Ich hatte sehr große Freude daran. Wenn man über Jahre hinweg eine Figur geprägt hat, deren Image mit Stil und Raffinesse verbunden war, ist es wunderbar, das mal komplett im Rahmen einer Komödie aufbrechen zu können. Die Geschichte von „The Thursday Murder Club“ ist ja an sich sehr überzeichnet geschrieben – und sie wird von uns auch überzeichnet gespielt. Ben Kingsley und ich wurden während der Dreharbeiten sowas wie ein Duo. Und wir stellten fest, dass wir beide die Filme von Laurel und Hardy sehr lieben.
WELT: Interessanter Vergleich.
Brosnan: Nun, wir haben unsere Rollen jetzt nicht bewusst nach deren Vorbild angelegt oder darüber gesprochen. Eines Tages standen wir einfach am Set, sprachen über Laurel und Hardy und die Songzeile von den „Blue Ridge Mountains of Virginia“ aus dem Lied „The Trail Of The Lonesome Pine“, den die beiden im Film „Way Out West“ (dt.: Zwei ritten nach Texas) singen. Und plötzlich fingen auch wir beide an, dieses Lied zu singen (Brosnan singt nun selbst die Zeile: „In the blue Ridge Mountains of Virginia on the trail of the lonesome Pine“). So etwas passiert oft einfach. Ben schaffte es, dass ich komisch wirke, er hat mir in unserem Zusammenspiel große Leichtigkeit gegeben. Ich verehre ihn sehr, als Mensch wie auch als Schauspieler.
WELT: Ihre Rentner-Ermittler leben in einer Seniorenresidenz, wo sie auch dementen Mitbewohnern begegnen.
Brosnan: Ja.
WELT: Ich habe vergangenes Jahr Jessica Lange zu ihrem Film „The great Lilian Hall“ interviewt, in dem sie eine demente Schauspielerin und Sie ihren Nachbarn spielen. Darin gibt es diese versöhnliche Szene, als Lange, kurz nachdem sie die Schockdiagnose erhalten hat, Sie um einen Kuss bittet. Es ist ein surrealer Moment – als würde James Bond die Demenz für einen Kuss lang vergessen machen können. Wie schafft man es, ein so schweres Thema im Film so darzustellen, dass man sich nicht abwendet?
Brosnan: Was „The Thursday Murder Club“ betrifft, hatte ich bereits den gleichnamigen Roman von Richard Osman geliebt, er hat zeitlose Klasse, wegen all dieser Nuancen in der Figurenzeichnung und in dem Erzählton. Der Kern Ihrer Frage weist auf die Bedeutung von guten Drehbüchern hin. Bei „The Great Lillian Hall“, der sich mit Demenz beschäftigt, oder bei „The Thursday Murder Club“, wo es auch um Gebrechen wie mentale Gesundheit geht, mit denen sich viele im Alter auseinandersetzen müssen, hatten wir brillante Drehbücher. Das ist ein wichtiges Fundament, um solche komplexen Themen darstellen zu können. Und, klar, es braucht auch großartige Schauspieler, die diesen Charakteren Leben einhauchen, ihnen Farbe und Tiefe geben.
WELT: Sie sind ja schon ganz am Anfang Ihrer Karriere mit dem Crime-Genre in Verbindung gekommen, hatten eine Komparsenrolle in der TV-Verfilmung von Agatha Christies „Mord im Spiegel“ mit Elizabeth Taylor. Schließt sich da für Sie ein Kreis?
Brosnan: Ich bin jetzt 72 und an einem Punkt in meinem Leben angelangt, an dem ich immer noch mit am großen Tisch sitze, immer noch arbeite, immer noch relevant und leidenschaftlich bin. Und ich bin weiterhin bereit, zur Arbeit zu gehen, neue Innenwelten von mir selbst zu erkunden und sie dem Publikum hoffentlich auf eine bedeutsame Weise zu vermitteln. Mein allererster Film war übrigens „Rififi am Karfreitag“ 1980, mit Bob Hoskins. Ich spielte darin einen IRA-Mann. Helen Mirren war ebenfalls in dem Film, aber wir beiden hatten keine gemeinsamen Szenen. Und in der Woche darauf bekam ich dann den Job mit Elizabeth Taylor in „Mord im Spiegel“. Ich verbrachte dann einen Vormittag damit, meinen Kopf auf Elizabeths Busen abzulegen. Ich war ja nur für diesen einen Tag engagiert worden. Sie war eine wunderbare Frau.
WELT: Sie und Helen Mirren kennen sich seit mehr als vier Jahrzehnten. Parallel zu „The Thursday Murder Club“ sind Sie beide auch als Ehepaar, das ein Londoner Verbrechersyndikat leitet, in Guy Ritchies Serie „Mobland“ zu sehen. Hat sich das zufällig ergeben, dass Sie zusammen in gleich zwei großen Film-Produktionen auftreten?
Brosnan: Ich glaube nicht an Zufälle. Es hat mit gutem Timing zu tun. Helen und ich drehten letzten Sommer „The Thursday Murder Club“. Zu der Zeit schickte mir Guy Ritchie die ersten fünf Episoden von „Mobland“. Ich las sie und sagte ihm: „Gefällt mir. Ich will das machen.“ Fred Spector, der gemeinsame Agent von Helen und mir, meinte dann, Helen würde es auch gerade lesen. Und eines Tages, nach der Arbeit an „The Thursday Murder Club“, rief sie mir zu, als ich ins Auto steigen wollte: „Pierce – ‚Mobland‘ – machst du das?“ Ich sagte: „Ja, das gefällt mir. Das hat Substanz. Darüber hinaus möchte ich künftig wieder mehr Zeit in Europa verbringen – und: mit Guy Ritchie arbeiten.“ Sie las es – und sagte mir dann: „Ich bin dabei.“ So einfach ist das manchmal.
WELT: Haben die Streaming-Plattformen Schauspielern Ihrer Generation so etwas wie einen dritten Frühling beschert?
Brosnan: Darüber habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht so intensiv nachgedacht. Aber ich empfinde es als großes Glück, in dieser späten Phase meiner Karriere nach wie vor gefragt zu sein. Ich möchte ja gerne glauben, dass dies an der guten Arbeit liegt, die ich leiste – und auch daran, dass mir mein Publikum seit „Remington Steele“ treu geblieben ist. Ich bin lange im Geschäft, und dafür bin ich sehr dankbar. Besonders in einer turbulenten Zeit wie dieser, in der die Branche derart zersplittert ist und Filme schwer zu finanzieren sind. Es gibt zwar ein Überangebot an „Content“, wie das heute so schön heißt, aber nur wenig Qualitätskontrolle. Der Markt ist überflutet mit Film-Stoffen, die wenig Tiefe und wenig erzählerische Strahlkraft haben. Für mich war es eine glückliche Fügung, dass mir in den letzten zwei Jahren so viele Projekte angeboten wurden.
WELT: Der von Ihnen dargestellte Gewerkschaftsaktivist Ron trägt in einer Szene ein verwaschenes T-Shirt von Bruce Springsteens „The River“-Tournee. War das Ihre Idee?
Brosnan: Zum Teil. Sie wollten mich ursprünglich in irgendein Rock-T-Shirt stecken. Aber ich liebe nun mal Bruce Springsteen. Und unsere Kostümbildnerin Joanna Johnson fand dann dieses alte „The River“-T-Shirt. Ich bin ein Fan von Bruce, seiner Musik, seiner Mythologie und seiner Poesie, seit ich 1976 die Schauspielschule verlassen habe. Bruce und seine Musik haben mich durch viele turbulente Zeiten getragen.
WELT: Wann haben Sie ihn zuletzt live gesehen?
Brosnan: Ich habe Bruce zusammen mit Emma Thompson gesehen, ich glaube, das war letzten Sommer, im Londoner Wembley Stadion. Die Jahre verschwimmen, wenn man viel arbeitet (lacht). Jedenfalls hatte mich meine liebe Freundin Emma gefragt: „Ich habe Tickets für Springsteen – magst du mitkommen?“ Ich antwortete: „Machst du Witze? Ist der Papst katholisch?!“ Also sind wir hingefahren. Wir durften beim Soundcheck dabei sein. Es war am Nachmittag, und wir standen mitten in der noch leeren Arena, während Bruce und die Band probten. Und natürlich ging Emma – als mutige und wunderschöne Frau, die sie ist – einfach nach vorn zur Bühne. Außer uns und ein paar Aufbauhelfern und Sicherheitsleuten war ja niemand im Stadion. Bruce sah erst Emma, dann mich und sagte: „Kommt zu mir auf die Bühne.“ Wir trafen dann die Band und er lud uns nach dem Soundcheck zu sich in die Garderobe ein. Neben Emma und mir saß dort noch der Schauspieler aus „The Bear“, Jeremy Allen White.
WELT: Der Bruce Springsteen demnächst in einem neuen Kinofilm darstellen wird.
Brosnan: Ganz genau. Das war ein bewegender Moment, weil Bruce und Jeremy sich an diesem Tag zum ersten Mal überhaupt begegneten. Jeremy hatte den Mann, den er im Film verkörpern sollte, bis dahin noch nie getroffen – und nun stand er plötzlich diesem legendären, ikonischen Rockstar gegenüber. Und dann standen auch noch Emma und ich im Raum (lacht). Es erübrigt sich zu sagen, dass Bruce an diesem Abend ein großartiges Konzert spielte.
WELT: In diesem Sommer spielte Springsteen wieder in Europa, kritisierte auf der Bühne in langen Reden US-Präsident Trump und warnte vor der Bedrohung und Aushöhlung der Demokratie in den USA durch die neue Regierung. Trump beschimpfte ihn daraufhin auf Social Media, drohte ihm.
Brosnan: Ja.
WELT: Als Sie Springsteen vor einem Jahr sahen, hätte man sich diese Form der Zuspitzung noch nicht vorstellen können. Sie haben neben der irischen Staatsangehörigkeit seit 2004 auch einen US-Pass. Wie erleben Sie die aktuellen politischen Debatten um Kunst- und Meinungsfreiheit und Zensur in Amerika?
Brosnan: Bruce hat nicht nur eine große innere Stärke, er hat seine Liebe zu den einfachen Menschen, den arbeitenden Männern und Frauen Amerikas, immer in seinen Songs, seiner Poesie und Musik zum Ausdruck gebracht. Er ist zutiefst verbunden mit diesem großartigen Land. Und mir, als irischem Einwanderer, der inzwischen auch US-Staatsbürger ist, tut es mir im Herzen, Verstand, Körper und in meiner Seele weh, mit anzusehen, was mit diesem Land gerade geschieht. Diese große Spaltung, diese Zerrissenheit der Seele, sie hat so viele Leben zerstört.
Trotzdem habe ich Hoffnung. Ich glaube daran, dass das Pendel mit der Zeit wieder zurückschwingen wird – hin zu Mitgefühl und Ausgewogenheit. Ich habe die Mitschnitte der jüngsten Konzerte von Bruce Springsteen gesehen, habe gesehen, wie er über die Zeit sprach, in der wir leben, und welchen Platz er in darin einnehmen möchte – um sich gegen einen solchen Mann zu positionieren. Ich bewundere den Mut von Bruce Springsteen, dass er seine Redefreiheit nutzt, um die Menschen mit seiner Musik und seiner Kunst zusammenzubringen – zu heilen.
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