In allen Männern lebt ein Kind. Es sorgt dafür, dass Dinge explodieren, alles aus dem Ruder läuft und Frauen immer auf der Hut sein müssen vor dem Chaos dieser Welt und denen, die es anrichten. Bei allem Spaß. „Warum bist du so sexy, wenn du doch so blöd bist?“, fragt Sabrina Carpenter den Mann an sich. „Manchild“ ist der Hit des vergehenden Sommers.
Nicht nur, weil man ihm, dem Song, nur schwer entkommt im Alltag, wo die Telefone ohne Kopfhörer wieder zu plärrenden Taschenradios werden und die Videos einen finden, sobald man Netz hat. Es ist auch das Lied zu einer Zeit, in der niemand mehr weiß, auf welchem Stand der Streit darum, was Frauen wollen und Männer sollen, sich gerade worum dreht.
„Manchild“, das Video, zeigt, wie Männer ihre Autos in groteske Spielzeuge verwandeln, sich an Tankstellen mit Zapfpistolen duschen oder sich beim Zigarettenrauchen selbst verstümmeln. Es ist biologisch: Auch der Hahn trägt einen lächerlichen Hut, der Hengst hockt dämlich an der Straße. Und Sabrina Carpenter fragt sich, wie sie es nennen soll: dumm, langsam oder unnütz? Sie findet ein, wie sie selbst singt, süßeres Wort dafür: „Manchild“, das Kind im Mann. „Oh, boy!“, seufzt sie.
So klingt das nachsichtige Echo ihres fröhlichen „Oh, hey!“ vor einem Jahr in „Busy Woman“, wo sie sich als Ideal der Frau besingt, die alles kann und alles hat, bis auf, das ist der Witz, den idealen Mann dazu. Das Album „Short n’ Sweet“, auf dem sich „Busy Woman“ im August 2024 wiederfand, war schon das sechste von Sabrina Carpenter. Aber es hob sie nach neun Jahren Dienst nach Disneys Reinheitsgeboten in Songs wie „Two Young Hearts“ und Serien wie „Girl Meets World“ auf ein Niveau mit Billie Eilish, Taylor Swift und Miley Cyrus.
Niemand hat im Herbst mehr junge Wähler motiviert, sich für die Präsidentschaftswahlen eintragen zu lassen. Für sechs Grammys war sie nominiert. Zwei nahm sie mit, für das beste Gesangsalbum und für die beste Solo-Pop-Performance ihres letztjährigen Sommerhits „Espresso“. Wie in „Busy Woman“ feierte sie sich und die Frauen der Generation Z als Arbeitsbienen, allen anderslautenden Klischees zum Trotz. Auch Männer kamen in „Espresso“ vor. Als muskulöse Trottel, die vom Motorboot ins Wasser fielen, und als Polizisten, deren Dienstwagen nicht ansprang.
Weil sie wegen „Short n’ Sweet“ so schön in Schwung war, schrieb sie einfach weiter Songs mit ihrem Team, Jack Antonoff und Amy Allen, nahm „Manchild“ auf und ein ganzes, siebtes Album drumherum. Es trägt den Titel „Man’s Best Friend“. Als bester Freund des Mannes gilt der Hund. Aber da mit dem Freund im Englischen generisch auch die Frau gemeint sein kann, war bereits einiges los, als noch kein einziges Stück erschienen war. Dann postete Sabrina Carpenter das unveröffentlichte Cover: eine Frau, sie selbst, im kurzen Abendkleid auf Knien neben einem Mann im Anzug, der sie an den Haaren führt wie einen Hund.
Nicht, dass sie mit dem Aufschrei nicht gerechnet hätte. Von der eindimensionalen Sicht auf ihre Inszenierung, vom Furor organisierter Feministinnen, vom Fehlen jeglichen Humors war sie doch überrascht. Sagte sie jedenfalls. Allerdings hatte sie sofort „von Gott genehmigte“ Alternativen anzubieten: sie als Göttin zwischen Sekt und Blumen, sie als Herrin einer Tischgesellschaft mit fünf Smokingträgern, sie beim Tanzen mit einem Statisten wie Marilyn Monroe auf dem legendären Bild mit Arthur Miller, 1957.
Als Kind sozialer Medien, als Produkt der eigenen Allgegenwart für alle überall und jederzeit sagt sie: „Ich habe das Gefühl, dass Frauen in der Geschichte nie so aufmerksam begutachtet, so streng bewertet worden sind wie heute.“ Auch das hören ältere Feministinnen nicht gern, weil es ihre Verdienste hinterfragt. Aber es stimmt. Allein das aktuelle Albumcover und der Lärm um ihren Kniefall gibt ihr recht. Schon wie sie dabei aussieht, reicht für Vorwürfe, sie unterwerfe sich der neuen Manosphere, dem wiederauferstandenen Patriarchat, und reiße als Verräterin mit einem einzigen Foto alles ein, was Frauen in Jahrhunderten erkämpft haben. Dass es sich um Satire handeln könnte, ahnen manche. Aber das mache es nur noch schlimmer. Denn sie wisse offenbar nicht, was sie tue.
Da hilft auch der Beistand ihrer 82-jährigen Kollegin Carly Simon nichts, die sich vor 50 Jahren auf dem Album „Playing Possum“ kniend in Unterwäsche mit gespitzten Lippen einem unsichtbaren Mann anbot: „Harmloses Cover.“ Auch der Hinweis auf Madonnas Moves zur sexuellen Selbstermächtigung und Selbstbefreiung durch ironisches Zurschausstellen zählt nicht, sobald es eine 26-jährige Blondine in spitzenbesetzten Nachthemden heute betrifft. Eine aus Quakertown in Pennsylvania, eine von Disney. Dabei hält Sabrina Carpenter allen, Frauen wie Männern, eine Fantasie entgegen. Sie tritt auf wie eine Sing- und Sprechpuppe im Babydoll, singt aber über Sex in allen Stellungen in „Juno“ und über das Masturbieren zur Musik von Leonard Cohen in „Dumb & Poetic“, und über ihr eigenes Begehren spricht sie, sobald jemand ernsthaft danach fragt.
Den Blick der Männer werfen ihre großen, runden Mädchenaugen auf den Mann zurück. Schon hübsch der Typ in seiner edlen Einfalt. Unschuldig sind ihre Lieder, solange man lyrische Erotik nicht für eine Sünde hält, bis sie die Videos dazu zeigt. In „Taste“ schlachten zwei Frauen sich mit Messern und Macheten ab, weil sie denselben Mann lieben, und werden Freundinnen. Der Mann ist ihnen eigentlich egal. In „Feather“ rennen ihr die Männer nach. Sie lesen für sie feministische Literatur wie „Tampons Should Be Free“, sie massakrieren sich für sie im Fitnessstudio. Am Ende sitzt sie, wieder ein Madonna-Move, im schwarzen Rüschenkleidchen in der Kirche. Was tatsächlich Ärger gab: Der Pastor musste gehen. Sie erklärte trocken: „Jesus war ein Zimmermann“, ein Carpenter.
In ihrer flirrenden Dialektik ist Sabrina Carpenter gerade der Megastar der Emanzipation schlechthin. Bis vielleicht eine kommt, deren Humor noch härter ist und schneller als der eigene Schatten und bis eine Sängerin so singt und solche Songs schreibt wie auf „Man’s Best Friend“. Die alten Sparten der Musik lösen sich auf in R&B und Country, Folk und Hip-Hop, Rock und allem, was seit 60 Jahren unter Pop zusammenläuft.
Ihr Partner, Produzent und Co-Autor Jack Antony erklärt im „Rolling Stone“: „Wenn man zurückdenkt, hatten die Beatles die schönsten Liebeslieder der Welt, und dann kommt hier etwas hinzu, das wie ein Cartoon klingt, den sich John und Paul ausgedacht haben.“ Oder wie Dolly Parton sagt, die Country-Königin, mit der sie im Duett „Please Please Please“ singt: „Sie könnte meine kleine Schwester sein.“ Sabrina Carpenter: „Es ist, als schaute man im Spiegel in die Zukunft.“ Dolly Parton lieben alle, weil sie, seit der Pop erfunden wurde, singt, dass alle Freunde sein könnten, selbst Frauen und Männer.
„Man’s Best Friend“ mit Songs wie „Manchild“, „My Man on Willpower“ und „Nobody’s Son“ ist noch einmal ein Manifest des „Heteropessimismus“, wie Sabrina Carpenter es nennt. Aber was will man machen, wenn man Männlichkeit für immanent hält, kulturell und biologisch, was nicht nur ein feindseliger Feminismus tut? Wer sich „Manchild“ genauer anhört und das Video dazu genauer ansieht, ahnt die Antwort: Frauen mögen Männer, weil auch sie, die Frauen, manchmal gern so sind – wie Kinder. Man in „Manchild“ steht auch für den Mensch. Und Menschen machen Blödsinn.
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