Mit "Caught Stealing" bringt "Black Swan"-Regisseur Darren Aronofsky einen Gangsterfilm ins Kino, der sich von seinen übrigen Werken klar unterscheidet. In der Hauptrolle muss Austin Butler in dieser Roman-Adaption so einiges ertragen, das schon beim Zuschauen wehtut.
Darren Aronofsky hat dem Kino bereits so manches filmische Highlight beschert. Zu nennen wäre da der nachhaltig verstörende Drogentrip "Requiem for a Dream" von 2000, der Kultstatus erreichte. Oder "Black Swan" aus dem Jahr 2010, in dem eine unter Druck stehende Balletttänzerin mit allen Mitteln gegen ihre Mutter und für eine Doppelrolle in Tschaikowskis "Schwanensee" kämpft.
Es war auch Aronofsky, der Mickey Rourke zwei Jahre vor "Black Swan" für "The Wrestler" aus der Versenkung zurückholte und mit ihm einen seiner besten Filme ablieferte. 2022 kam dann "The Whale" ins Kino. Ein Kammerspiel, in dem ein im Fatsuit agierender Brendan Fraser als einsamer und aufgrund seiner Leibesfülle gesundheitlich angeschlagener Mann um die Liebe seiner Tochter buhlt.
Ein etwas anderer Aronofsky
Nun schlägt der 56-Jährige mit seinem neuesten Film deutlich knalligere Töne an. Basierend auf einem 2004 erschienenen Roman von Charlie Houston, der auch das Drehbuch verfasste, führt "Caught Stealing" den Zuschauenden zurück ins Jahr 1998. Hank Thompson (Austin Butler), einst in seiner Heimat Kalifornien mit guten Chancen, Baseballstar zu werden, fristet sein Dasein in New York, wo er als Barkeeper in der Lower East Side jobbt. Ein Unfall hat seinen Traum von der Profisportlerkarriere vor geraumer Zeit jäh zerstört, seitdem verfolgt er die Spiele der Giants wehmütig aus der Ferne, um sie mit seiner Mutter am Telefon zu besprechen. Hank hat sich mit seinem neuen Leben aber weitgehend arrangiert, wofür ihm allerdings der Alkohol ein bisschen zu sehr unter die Arme greifen muss. Und Sanitäterin Yvonne (Zoë Kravitz), mit der sich eine Romanze angebahnt, aus der mehr werden könnte.
Eigentlich will Hank seinem Nachbarn, dem UK-Punk Russ (Matt Smith) bloß einen Gefallen tun, als er ihm verspricht, sich um seine Katze Bud (Tonic, bekannt aus "Pet Sematary") zu kümmern, während er nach London zu seinem kranken Vater reist. Doch schon wenig später trifft Hank auf zwei russische Schläger (Nikita Kukushkin und Yuri Kolokolnikov), die auf der Suche nach dem Typ mit dem grellbunten Irokesen-Haarschnitt sind und die ihren Frust brutal an ihm auslassen. Das kostet Hank eine Niere und sein bislang einigermaßen entspanntes Leben im Big Apple. Denn die Russen sind nicht die Einzigen, die auf der Suche nach seinem abgetauchten Nachbarn sind. Hank gerät zwischen die Fronten gleich mehrerer krimineller Clans.
Gelungene Zeitreise ins Jahr 1998
Die Zeitreise gelingt, denn das Setdesign passt bis ins kleinste Detail. Das geht bei den Anfangscredits los und endet mit den seinerzeit üblichen Stickern wie "Guiliani ist ein Idiot" auf Russ' Wohnungstür. Und auch die Musik tut ein Übriges. Der Soundtrack stammt von einer der aktuell angesagtesten britischen Post-Punk-Bands, den Idles aus Bristol. Das alles in Kombination mit Stamm-Kameramann Matthew Libatiques farbenfrohen, oft ungeschönten Bildern New Yorks - von der Unisphere in Queens bis nach Coney Island - und dem zackigen Schnitt liefert eine Menge Authentizität und noch mehr Tempo.
Austin Butler spielt Hank mit einer Mischung aus Naivität, Sexiness und Gutherzigkeit. Denn auch wenn er vom Leben im übertragenen und den Gangster auf ziemlich direkten Sinn auf die Fresse bekommt, behält er sein gutes Herz und ist eine ganze Weile noch frei von Rachegedanken. Das ändert sich irgendwann - und seine Gegner - und Gegnerinnen müssen sich warm anziehen. Die sind mit Regina King, Rapper Bad Bunny, Liev Schreiber und Vincent D’Onofrio ebenfalls durchweg gut besetzt. Matt Smith als Russ sieht aus und agiert, wie man sich einen alternden britischen Punk so vorstellt: etwas tumb, aber eigentlich ganz liebenswert und ein bisschen wie eine Karikatur seiner selbst.
Liebeserklärung ans ungentrifizierte New York
Überhaupt ist ein Vorwurf, den man dem Film machen kann, die Stereotypisierung der Figuren, die Aronofsky ohne größere Änderungen aus dem Buch von Houston übernommen hat. Da ist der hübsche, weiße Ex-Sportler, ein echter Sonnyboy, der unverschuldet in die Fänge von brutalen Kriminellen stolpert. Und das sind eine Afroamerikanerin, ein Puerto-Ricaner, zwei Russen und zwei orthodoxe Juden. Letztere sind dann auch noch die Brutalsten von allen und die, denen das Drogengeld gehört, hinter dem alle her sind. Bedient das Klischees und gefährliche Vorurteile? Absolut.
"Caught Stealing" sei aber "einfach eine gute Geschichte, kein politisches Statement", so Darren Aronofsky im Gespräch mit ntv.de. Der Film spiegele eben jene Zeit in New York wider. Der Regisseur, der den Stoff gerne schon früher verfilmt hätte, versteht ihn also wohl eher als eine Liebeserklärung an die Vielfalt der Stadt vor ihrer Gentrifizierung. Dabei lenkt er - anders als beim klassischen Gangsterfilm - die Sympathien auf den All-American-Boy, auch wenn gerade heute Themen wie Zugehörigkeit, Migration und kulturelle Identität den politischen Diskurs bestimmen. Das war beim Erscheinen des Romans vor fast 20 Jahren noch anders. Ist das Timing jetzt etwas unglücklich? Vielleicht.
Auftakt einer Trilogie?
Alles in allem ist "Caught Stealing" jedenfalls der kommerziellste Film, den Darren Aronofsky bislang gemacht hat. Und tatsächlich sind es 107 extrem kurzweilige, wenngleich auch oft sehr brutale Minuten, die dem Zuschauenden kaum Zeit zum Durchatmen lassen und ihm eine Menge abverlangen. Danach fühlt man sich so wie Hank irgendwann aussieht. Man wird mehrfach durch den emotionalen Fleischwolf gedreht. Auf eine spannende Art.
Charlie Houston hat die Geschichte um Hank Thompson zu einer Trilogie ausgeweitet. Ob Aronofsky noch zwei weitere Filme mit Butler in dieser Rolle drehen wird, ist wohl vom Erfolg dieses ersten Teils abhängig. Die Chancen stehen angesichts des enorm hohen Entertainment-Faktors aber sicher nicht allzu schlecht.
"Caught Stealing" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
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