In sieben europäischen Ländern ist Deutsch Amtssprache – zumindest in bestimmten Regionen. Dazu gehören neben Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Luxemburg auch noch Ostbelgien und Südtirol in Italien. In weiteren acht Ländern existiert es zumindest noch als Sprache einer Minderheit. Das sind Russland, die Ukraine, Ungarn, Rumänien, Polen, Tschechien, Frankreich und Dänemark. Historisch gesehen hat keine Sprache in Europa ein geographisch so weit sich erstreckendes Verbreitungsgebiet – von Süddänemark bis an die Wolga.
Wie es um die Situation des Deutschen in jenen 15 Ländern bestellt ist, hat ein Team aus 22 Wissenschaftlern für den „Vierten Bericht zur Lage der deutschen Sprache“ untersucht. Der Band „Deutsch in Europa“ wurde am Donnerstag im Gebäude der Berliner Akademie der Wissenschaften vorgestellt. Herausgegeben hat ihn die Akademienunion, in der die acht deutschen Wissenschaftsakademien zusammenarbeiten, gemeinsam mit der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung.
Neben „Länder-Steckbriefen“ gibt es in dem Berichte länderübergreifende Themen wie etwa den Deutschunterricht in „mehrsprachigen Konstellationen“ wie in der Schweiz und Liechtenstein. In den letztgenannten beiden Ländern werde, so erfährt man, übrigens Hochdeutsch teils als „Fremdsprache“ und sogar negativ wahrgenommen. Das gilt auch für die jeweilige eigene Landesvariante des Standarddeutschen mit Sonderwortschatz, wie sie in Zeitungen verwendet wird.
Auch in Luxemburg wurde Deutsch nach dem Zweiten Weltkrieg aus naheliegenden Gründen stark stigmatisiert und durch Luxemburgisch/Letzeburgisch (ursprünglich ein moselfränkischer Dialekt) oder Französisch ersetzt. Sprache sei eben nicht nur ein „Funktionswerkzeug“ erklärte Alexandra N. Lenz von der Universität Wien, sondern über ihr Schicksal entschieden auch Einstellungen, die nicht immer wissenschaftliche Grundlagen hätten.
Die große Verbreitung des Deutschen erklärt sich – anders als bei Englisch, Spanisch und Französisch – nicht durch Kolonialismus, sondern durch Migration. Schon im Mittelalter machten sich Deutsche auf den Weg nach Osten – gerufen von den jeweiligen Landesfürsten. Angesichts der Tatsache, dass nach zwei Weltkriegen jeweils das deutsche Sprachgebiet erheblich geschrumpft sei, gehe es der Sprache gut, resümierte der Mannheimer Professor Ludwig M. Eichinger.
94 Prozent der weltweiten Sprecher des Deutschen sind in Europa beheimatet. 95 Millionen Menschen sprechen Deutsch als Erstsprache, weitere 30 Millionen als Zweitsprache, erklärte die Co-Projektleiterin Rita Franceschini von der Universität Bozen. Diese Zahlen sind leicht schwankend, weil die Erhebungsmethoden bei Volkszählungen von Land zu Land unterschiedlich sind. Doch ganz sicher ist Deutsch nach Russisch die Sprache mit den meisten Sprechern in Europa. Hinter Englisch und Spanisch hat es auch die meisten Interneteinträge.
In den Kernländern Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein habe das Deutsche seine „institutionell gefestigte Rolle mit Integrationskraft“ behalten, sagte Franceschini. Während es in Westeuropa gut um das Deutsch bestellt sei – die Südtiroler gelten heute weltweit als die am besten ausgestattete und geschützte Sprachminderheit –, sehe es in „Sprachinsel-Gebieten“ wie etwa in Polen, Russland, Tschechien und der Ukraine „etwas anders aus“, erklärte Franceschini. Der Prozess verlaufe oft schleichend: „Wenn die Sprecher es nicht mehr als wichtig empfinden, ist der Weg nach unten geöffnet.“
Ermutigende Zahlen gebe es aus Ungarn und Rumänien, wo mehr Menschen als früher Deutsch lernen oder sich als Angehörige der deutschsprechenden Minderheiten bekennen, referierte die Münchner Professorin Claudia Maria Riehl. Dies habe mit der Einführung zweisprachiger Schulen und mit dem verbesserten Status von Minderheiten zu tun. Die Zeiten, in denen es schädlich sein konnte, Deutscher zu sein oder Deutsch zu sprechen, sind überall weitgehend vorbei.
Auch in Tschechien, wo seit 2024 der Status von Deutsch als Minderheitensprache aufgewertet ist, werde es jetzt besser schulisch und kulturell gefördert. In den westlichen Landesteilen seien erwartungsgemäß Deutschkenntnisse noch weiter verbreitet als im Osten.
Schlechte Nachrichten gibt es fast überall über die Dialekte. Sowohl Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen überall auf der Welt die Sprache lernen, als auch Angehörige der deutschen Minderheiten in Osteuropa, die sich die in der Familie manchmal gar nicht mehr gebräuchliche Sprache in der Schule aneignen, lernen dort ja nicht die jahrhundertealte Mundart ihrer Ahnen, sondern eine standardisierte Sprachvariante.
Goethe-Institute werden gebraucht
Aber immerhin lernen sie. Obwohl die Möglichkeiten vielerorts nicht besser werden. Die Co-Projektleiterin Christa Dürscheid von der Universität Zürich sprach sich für eine bessere Förderung der deutschen Sprache im Ausland aus. Schließungen von Goethe-Instituten müsse gegengesteuert werden. Auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) helfe mit seinen Stipendien an ausländische Wissenschaftler bei der Verbreitung der deutschen Sprache, sagte Dürscheid. Ihr Kollege Eichinger forderte eine bessere finanzielle Ausstattung der auswärtigen Kulturpolitik, die unter anderem den Deutschunterricht an Schulen im Ausland mitfinanziert.
Der vorgestellte Bericht ist der vierte Bericht zur Lage der deutschen Sprache. Seit 2013 geben die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften alle vier Jahre einen neuen Bericht mit jeweils einem thematischen Schwerpunkt heraus.
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