Eine entscheidende Rolle in der Serie „Game of Thrones“ spielen die Drachen. Die sind in ihrer Loyalität wankelmütig und tendenziell pyromanisch veranlagt. Die sieben Königslande strotzen vor eitlen und verschwendungssüchtigen Herrscherfamilien, die, wenn es darum geht, die Stimmung in der Bevölkerung zu deuten, eher schwer von Kapee sind. Ferner gibt es wuselige Städte und spektakuläre Natur. Vergleiche zu unserer politischen Gegenwart drängen sich auf.
Die Rede ist nicht, wie man denken könnte, von Frankreich, wo über die Jahre von verschiedenen Heiligen allerlei Drachen bezwungen wurden und neuerdings die Premierminister so häufig einen Kopf kürzer gemacht werden, dass selbst „South Park“ nicht mehr hinterherkäme und George R. R. Martin schon gar nicht.
Nein, die Rede ist von Nepal, wo statt Schwertern Smartphones geschwungen werden, und in Ermanglung von Drachen Feuerzeuge plus Brandbeschleuniger herhalten müssen. Und zumindest auf dem Papier ist das Land seit 2008 Jahren kein Königreich mehr. Das hat sich aber nicht bis in die politische Upperclass herumgesprochen.
Statt Lannister, Stark, Targaryen oder Baratheon heißen ihre Protagonisten K. P. Sharma Oli, Pushpa Kamal Dahal und Sher Bahadur Deuba, was ehrlich gesagt noch besser klingt. Es handelt sich um drei Politiker, die im Präsidentenpalast Ringelpiez spielen. Seit Inkrafttreten der neuen Verfassung 2015 haben sie sich an der Regierungsspitze abgewechselt.
Dabei mag ihr politischer Instinkt erlahmt sein. Jedenfalls haben sie ihre Kinder nicht unter Kontrolle, die dem armen und im Zweifel arbeitslosen Volk per Social Media unter die Nase reiben, wie es sich als Nepalbaby so leben lässt. Sie posten mit Vorliebe Selfies aus New Yorker Designerläden und Villen an der Côte d’Azur. Besonders der Sohn und die Schwiegertochter des ehemaligen Premierministers Sher Bahadur Deuba sind offenkundig vom Ehrgeiz beseelt, sich als Kardashians von Kathmandu hervorzutun.
Zuletzt machte die politische Kaste durch eine originelle Migrationspolitik von sich reden. Gegen ein kleines Bakschisch deklarierte sie auswanderungswillige Mitbürger als ethnische Nepalesen, die aus dem Nachbarland Bhutan zwangsweise abgeschoben worden seien. Der derart erschlichene Flüchtlingsstatus soll eine Einreise in die Vereinigten Staaten von Amerika ermöglichen. Das kam erst heraus und dann nicht gut an. Ermittlungen ergaben mafiöse Strukturen querbeet durchs Parteienspektrum, etwa die Kommunistische Partei Nepals, die Vereinigte Kommunistische Partei Nepals oder auch die Sozialistische Volkspartei. Angeklagt aber wurden nur Mitglieder der Opposition.
Premierminister Oli, der das Amt schon verwirrend oft innehatte, befand, der nachvollziehbare Unmut der Bevölkerung lasse sich am besten durch das Verbot sozialer Medien besänftigen. Ihm selbst wird eine regelrechte Social-Media-Sucht nachgesagt; er lese manisch noch den letzten Kommentar unter den von ihm geposteten Videos. Vor ein paar Tagen verbot er 26 Dienste, darunter WeChat, YouTube und LinkedIn. Womöglich erhoffte er sich die Deutung, er selbst bringe zum Wohle des Landes das größte Opfer.
Besonders die jungen Nepalesen, die sich als Gen Z bezeichnen, zeigten sich unbeeindruckt und gingen auf die Straße. Oli schickte die Polizei, die auf die Demonstranten schoss. Mindestens 34 starben, über 1600 wurden verletzt. Mitte der Woche brannten daraufhin der Regierungssitz und verschiedene Privatresidenzen führender Politiker. Oli ist inzwischen zurückgetreten. Das Social-Media-Verbot wurde zurückgenommen. Und so heißt es in King’s Landing, äh, Kathmandu in diesen Tagen verhalten hoffnungsvoll: LinkedIn is coming.
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