Religiöse Eiferer? Stalker mit düstersten Absichten? Die USA bieten unter Präsident Donald Trump dafür den perfekten Nährboden. Fake News und Hate Speech: Themen, die auch Horror-Ikone Stephen King in seinem neuesten Buch "Kein Zurück" beschäftigen.
"Guten Tag, mein Name ist Holly Gibney. Was kann ich für Sie tun?" So begrüßt Stephen Kings Privatdetektivin unbekannte Anrufer und damit auch mögliche Klienten am Telefon. Gibney ist beruflich erfolgreich. Sie kennt sich mit "Blutigen Nachrichten" aus, hat unter anderem mitgeholfen, einem Amokläufer und Serienkiller das Handwerk zu legen ("Mr. Mercedes", "Mind Control") sowie ein Kannibalen-Rentnerpärchen dingfest zu machen ("Holly"). Letzteres dazu noch mitten in der Corona-Krise und in einem von der ersten Präsidentschaft Donald Trumps noch tief gespaltenen Land. Dabei müsste Holly gar nicht mehr arbeiten, denn sie ist Millionärin. Geerbter Reichtum.
"Kommt eine Millionärin in eine Bar …" Darüber kann Holly immer noch lachen. Den Lesern und Hörern von "Holly", dem vorletzten Werk der Reihe von Horrorlegende Stephen King rund um die liebenswerte Ermittlerin, ist das Lachen dagegen sprichwörtlich im Hals stecken geblieben. Junge Menschen fangen und schlachten, um sie dann zu essen, der eigenen Gesundheit wegen, das ist schon harter Tobak. Da können die Täter so alt sein, wie sie wollen. "Bäh", kommentiert Holly einfach - und macht weiter - mit "Kein Zurück".
Fanatismus in Reinkultur
Und wieder bohrt King thematisch ein ganz dickes Brett, fühlt der US-Gesellschaft den Puls beim Thema Abtreibung. Radikale Gegner auf der einen Seite, vom Glauben an Gott getrieben. Frauen, die auf ihr Recht am eigenen Körper pochen, auf der anderen. Holly und ihre Freunde mittendrin. King greift zu zwei Erzählsträngen, die zunächst eigenständig nebeneinanderlaufen, ehe sie sich am Ende in einem wirklichen Showdown vereinen.
Holly soll Kate, eine landesweit bekannte Feministin, beschützen, die auf Tour durch den Mittleren Westen ist und mit ihren Auftritten für die Rechte der Frauen wirbt. Gekonnt, mit Humor und scharfer Zunge. Das bringt ihr jede Menge Kritik der Rechten, Ultra-Konservativen und christlicher Fanatiker ein, von denen es in den USA nur so zu wimmeln scheint: "Bitch" und "Femi-Nazi mit der Killer-Schnauze" heißt es da beispielsweise in den einschlägigen sozialen Netzwerken.
Ein Stalker, Mitglied der "Real Christ Holy Church", hat es auf Kate abgesehen. Er ist aber nicht allein und blickt zudem auf eine nicht ganz einfache Kindheit zurück. Der Stalker folgt Kate auf ihrer Tour, setzt sich in die Hallen und Säle, mischt sich unter die Gäste, zu denen nicht nur Fans, sondern auch Gegner gehören. Kate hat Charisma, ist ein waschechter Star, aber in den Augen des Stalkers verbreitet sie nur Lügen. Und das gehört in seinen Augen bestraft.
Gleichzeitig wird Hollys Heimatstadt aber von einer Mordserie erschüttert. Ein Unbekannter tötet Unschuldige und hinterlässt bei den Opfern jeweils einen Zettel mit dem Namen eines Geschworenen einer ganz bestimmten Gerichtsverhandlung. Bei der wurde ein Mann mit Kinderpornos in Verbindung gebracht, schuldig gesprochen und später im Gefängnis ermordet.
Die große Frage ist nun: Wer steckt hinter diesen von den Medien als "Stellvertreter-Morde" titulierten Taten? Ein Bekannter des im Gefängnis getöteten Unschuldigen? Ein Gerechtigkeitsfanatiker?
Die Polizei sucht nach Hinweisen auf den Täter und Hollys Freundin Izzy ist mittendrin. Wenn da nur nicht das anstehende Benefiz-Baseballspiel der Feuerwehr gegen die Polizei wäre, bei dem Izzy eine tragende, weil spielentscheidende Rolle zugedacht ist. Rot gegen Blau. Klassisch, wie in der Politik, so scheint es. Und in einem gespaltenen und aufgeheizten Land ist das Benefizspiel natürlich nicht einfach nur ein Spiel: Es geht um die Ehre - und alle Mittel sind erlaubt. Sportlich fair sieht anders aus.
Ein King von Beginn an
Es kommt, wie es kommen muss, wie es bei Stephen King zum guten Ton, zur guten Schreibe gehört: Die Lage eskaliert und alles passiert am Ende gleichzeitig und mit einer sehr hohen Intensität. Dabei fesselt der Plot des bei Heyne und Randomhouse Audio erschienenen Werks von der ersten Seite, der ersten Sekunde an. Typisch King eben.
Und der nimmt auf seine alten Tage kein Blatt vor den Mund: Ein Trump-Fan ist King nie gewesen, ein religiöser Fanatiker ebensowenig. Beides ist für ihn aber ein Grund dafür, dass die USA so sind, wie sie sind. Land of the free? Home of the Brave? Das war einmal. King hält der US-Gesellschaft mit "Kein Zurück" einen Spiegel vor, dessen Bild ein erschreckendes ist. Aber mit Schrecken kennt sich Stephen King bekanntlich aus. "Kein Zurück" ist Horror aus der Mitte der US-Gesellschaft heraus. Die hässliche Fratze des Fanatismus. Holly: "Bäh!"
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