Ach, Utah! Was ist denn da bloß zurzeit los, im Schatten deiner Tafelberge und Felstürme, bekannt aus „Lucky Luke“ und tausend Western? Die klassischste amerikanische Landschaft schlechthin, ockerfarbene Abstraktion, in die seit vielen Jahrzehnten jeder American Dreamer seine Sehnsüchte und Alpträume hineinprojiziert.

Erst zeigten die Vereinigten Staaten dort ihre hässlichste Fratze, als vor wenigen Tagen ein Schwiegersohntyp erschossen wurde, allerdings einer, der viele Feinde hatte. Und jetzt ist ebendort ein anderer archetypischer Schwiegersohn gestorben – wohl auch nicht ganz aus freien Stücken, aber immerhin hochbetagt, mit 89 Jahren vom Assassinen Altersschwäche geholt – und ausgerechnet der mit dem schönsten Gesicht: Robert Redford.

Die Koinzidenz dieser beiden sonst unverbundenen Ereignisse verdeutlicht, was aus diesem Land geworden ist – der allmähliche Übergang von cool zu eiskalt, von zutiefst human zu unmenschlich. Es ist nämlich die Frage, ob man, egal, wie man sich mühte, überhaupt einen einzigen Menschen auftriebe, dem der ewige Blondschopf nicht radikal sympathisch war. Da steht Redford schon mal am entgegengesetzten Ende der Kirk-Skala.

So unverwüstlich jugendlich er wirkte – die zunehmenden Falten fielen da nicht ins Gewicht –, so sehr repräsentiert Redford eine andere Ära, die mit der unseren fast nichts mehr verbindet. Eine Zeit der Leichtigkeit, der Raffinesse, der so unschuldigen wie anzüglichen Flirts, des gewinnenden Lächelns und achselzuckenden Verlierens. Ein vollendeter Mensch, witzig und bescheiden. Von da an konnte es nur noch bergab gehen.

Er war zwar bis fast zuletzt da, auf den Leinwänden, die durch ihre stille Fortdauer Kontinuität verheißen, in der charmanten Krimikomödie „Ein Gauner & Gentleman“ (2018) und, mit ironischem Aplomb, im Mega-Blockbuster „Avengers: Endgame“ (2019) als Bösewicht der kriminellen Organisation Hydra. Es war wie ein letztes Winken, bevor er sich selbst in den Quantenraum aufmachte, der uns alle erwartet.

Lauter Großtaten

In all den Jahren davor, seit seinem Debüt in der Serie „Perry Mason“ (Staffel 4, Episode 1: „Der Fall mit den falschen Haaren“) 1960, war ihm nie eines jener gefürchteten Karrieretiefs beschieden, in die die meisten Superstars früher oder später fallen. 1966 spielte er in Arthur Penns „Ein Mann wird gejagt“ an der Seite von Marlon Brando. Und noch 2013 verkörperte er in „All Is Lost“ einen einsamen Segler, der irgendwo auf hoher See ums Überleben kämpft.

Dazwischen lagen lauter Großtaten: „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ (1969) mit Paul Newman, eine bittersüße Outlaw-Story mit „Raindrops keep fallin’ on my head“-Soundtrack und einem eingefrorenen Schusswechsel am Ende; „Jeremiah Johnson“ (1972), eine Antithese zum klassischen Western, melancholisch, naturverbunden, voller Einsamkeit und Härte; die weiter aktuelle Polit-Satire „The Candidate“ (1972), in der Redford einen idealistischen Anwalt verkörpert, der ins Rennen um einen Senatssitz gedrängt wird; „The Sting“, hierzulande berühmt als „Der Clou“ (1973), siehe „Butch Cassidy“, nur im urbanen Milieu – was für ein brillanter Film und auch wieder mit epochalem Soundtrack, hier spielt das Klavier den „Entertainer“; in „All the President’s Men“ („Die Unbestechlichen“, 1976) schlüpft Redford in die Rolle der Journalistenlegende Bob Woodward und deckt mit Dustin Hoffman den Watergate-Skandal auf – ein Schlüsselwerk über investigativen Journalismus und politische Macht; mit „Out of Africa“ (1985) beginnt die Neuerfindung als romantischer bis melodramatischer Held, in diesem Fall als Abenteurer in Kenia, an der Seite von Meryl Streep; der nächste Film in dieser Reihe ist natürlich „Der Pferdeflüsterer“ (1998), der zum Glück nur da oben im gleißenden Licht existierte, sonst hätten unzählige Frauen ihre Männer verlassen.

Die Aufzählung wird allmählich länger, als die Absatzpolizei erlaubt. Alleinige Schuld trägt Robert Redford, der einfach nicht aufgehört hat, bemerkenswerte Filme zu drehen. Selbst die Nebenwerke wie „Spy Game“ (2001) an der Seite von Brad Pitt, seinem Bewunderer und erklärten Nachfolger in der Rolle von Hollywoods männlicher Lieblingsblondine, sind Delikatessen. Darin fährt Redford allerdings auch eines der schönsten Autos der Filmgeschichte, einen alten grünen Porsche. Es fällt bei zügiger Durchsicht wirklich schwer, einen Film zu finden, den Redford nicht zumindest zu einem „sehenswert“ veredelt hätte, durch seinen sprichwörtlichen und unübersehbaren Charme, mit dem er selbst als Akten inhalierender Büromensch wie in „Die drei Tage des Condor“ (1975) so sexy war, dass ihm garantiert ganze Kohorten damals kleiner Jungs, die ihm nachgeeifert haben, heute böse sind über ihr langweiliges Arbeitsleben.

Mit Pitt hatte Redford übrigens schon früher zusammengearbeitet, in „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ (1992), da war er sein Regisseur. Auch beim „Pferdeflüsterer“ stand er hinter der Kamera. Für sein Regiedebüt „Eine ganz normale Familie“ (1980) gewann er gleich vier Oscars, darunter den für den besten Film und die beste Regie. Der nächste Oscar galt dann erst seinem Lebenswerk, im Jahr 2002.

Seine größte Zeit waren zweifellos die Siebziger, und wieso auch nicht – es war, zumindest aus Sicht eines saturierten, wohlhabenden und gutgelaunten Westens, die wohl beste Zeit aller Zeiten. Die Gesellschaft war nicht verroht, sondern fand sich in funkensprühender Spannung zwischen alten Bürgern und neuen Hippies, man nippte beim Lunch Martinis und fuhr, jedenfalls wenn man Robert Redford war, mit Jane Fonda und anderen unvergleichlichen Grazien üppig motorisiert Richtung Sonnenuntergang, als Lucky Luke auf dem Höhepunkt amerikanischen Einflusses. „Redford war noch nie so strahlend glamourös“, schrieb die Kritikerin Pauline Kael im „New Yorker“, „wie damals, als wir ihn durch Barbra Streisands verliebte Augen sahen.“

Sundance, ein Traum

Mit dem Geld, das Robert Redford Anfang der Siebzigerjahre verdiente – den Gagen aus „Butch Cassidy“ und „Downhill Racer“ –, kaufte er kein Stadthaus in Los Angeles, keine Ranch in Texas, sondern ein kleines Skigebiet in Utah. „Timp Haven“ hieß es damals, ein unauffälliger Ort am Fuß des Mount Timpanogos, nordöstlich von Provo. Redford, verheiratet mit der aus Utah stammenden Lola Van Wagenen, hatte schon Jahre zuvor in dieser Gegend ein Haus gebaut.

Er gab dem Ort einen neuen Namen: „Sundance“. Es war mehr als eine Laune. Sundance war die Figur, die ihn berühmt gemacht hatte – Paul Newmans verschmitzter Partner-in-Crime, der Inbegriff jugendlicher Coolness. Redford schrieb damit ein Stück eigener Legende fort, verwob Rolle und Leben. Später, als er „Jeremiah Johnson“ drehte, den oben erwähnten Film über einen Mann, der in die Wildnis zieht, wurde ein Teil der Szenen in der Nähe des Skigebiets aufgenommen. Für Redford war es mehr als Kulisse. Er sah in dieser Landschaft eine zweite Heimat, eine Gegenwelt zum Betrieb Hollywoods.

Aus dem kleinen Skigebiet wurde in den folgenden Jahrzehnten eine kulturelle Idee: Sundance als Zuflucht und Werkstatt. Der Ort wurde zum Symbol für ein anderes Kino – frei, unabhängig, unbeirrt vom System. Redford gründete das Sundance Film Festival, dessen Einfluss immer weiter zunimmt.

Er war zweimal verheiratet – die zweite Zeremonie fand in Hamburg statt – und musste schon 1959 den plötzlichen Kindstod seines ersten Sohnes Scott verkraften. Vielleicht grundierte auch solche früh verschmerzte Trauer den Mann, dessen Schönheit keine Eitelkeit trübte. Der kleine Scott liegt in Provo, Utah, begraben. Ebendort ist bald siebzig Jahre nach ihm auch sein großer Vater gestorben. Robert Redford wurde 89 Jahre alt.

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