Kool Savas zahlt nicht für ein Parkticket: „Das ist das letzte bisschen Gangster, das ich mir bewahrt habe“, sagt der Rapper mit einem Augenzwinkern, als er mit seiner Entourage durch Berlin-Mitte schlurft, wo sie das Auto abgestellt haben. Wäre Kool Savas hier nicht unter geschäftstüchtigen Hemdträgern, sondern in seinem rauen Berlin-Kreuzberg, hätte sich vermutlich längst eine Menschentraube um ihn herum gebildet.
Kool Savas, der selbst ernannte „King of Rap“, hat eine ganze Generation musikalisch getragen. Seit dreißig Jahren ist er jetzt im Game, hat andere Rapkarrieren geschaffen und beendet. Legendär ist sein Disstrack „Das Urteil“ gegen seinen ehemaligen Zögling Eko Fresh, der es gewagt hatte aufzumucken. „Ich habe unsere Zukunft gefickt? Es gibt keine Zukunft für dich. Zumindest nicht als Rapper in diesem Business.“ Kool Savas sollte Recht behalten, Eko Fresh war danach weg vom Fenster.
Kool Savas blieb, bis heute. Mittlerweile hat er sich die Rolle des Elder Statesman erarbeitet, der im Organigramm des Deutschrap zwar ganz oben steht, aber auch eine zunehmend repräsentative Rolle ausfüllt. In den vergangenen Jahren kamen keine großen, bleibenden Tracks mehr von ihm – Deutschrap hat sich in den vergangenen zehn Jahren verändert. Autotunes und Trap schwemmten ins Genre, atmosphärische Beats und Atzen-Vibes mit Ski Aggu und Ikkimel übernahmen. Ist da noch Platz für fein gestrickte Lyrics und technisch versierten Flow? Für Kool Savas dürfte die Frage klar sein.
WELT: Vor knapp zehn Jahren ist Ihr Song „Ich bin fertig“ erschienen. Schon da lehnen Sie sich, anders als es der Titel vermuten lässt, gegen den Abgesang auf Sie auf, sagen „Lass sie glauben, ich bin fertig – nie! Ich habe gerade erst begonnen.“ Ist das ein Gefühl, das Sie immer noch haben – obwohl Sie jetzt schon Ihr siebtes Studioalbum herausbringen?
Kool Savas: Auf jeden Fall. Ich habe meine Karriere nie an Verkäufen oder Streams gemessen. Ich will mich als MC („Master of Ceremonies“, Anm. d. Red.) steigern und unter Beweis stellen, dass ich der Beste bin. Bis jetzt fühlt es sich nicht so an, als wäre ich durch mit dem Thema. Wenn das der Fall sein sollte, höre ich sofort auf.
WELT: Sie haben also noch das Gefühl, dass Sie der Beste sind?
Savas: Zu 100 Prozent.
WELT: Ist es Ihnen wichtig, die junge, nachkommende Rap-Generation für Sie zu begeistern?
WELT: Wenn mir das wichtig wäre, hätte ich ein Problem. Jedes Mal, wenn es nicht funktionieren würde, wäre ich deprimiert. In erster Linie muss ich mich selbst begeistern. Aber durch meinen elfjährigen Sohn bekomme ich natürlich die aktuellen Rap-Trends mit. Wir tauschen uns darüber aus und manchmal sind wir einer Meinung und manchmal gar nicht. Ich versuche, nicht um jeden Preis hinterherzurennen.
WELT: Verstehen Sie die junge Generation noch, rein sprachlich?
Savas: Ich musste mir noch kein Slang-Wörterbuch besorgen. Das funktioniert also ganz gut.
WELT: Nochmal zum Verständnis: Nach 30 Jahren im Rap-Business haben Sie nie ans Aufhören gedacht?
Savas: Auf das Business hatte ich schon häufiger keinen Bock mehr. Business verändert die ganze Mucke. Aber es macht keinen Sinn, sauer zu sein. Rap gehört mir nicht. Nur weil ich denke, dass ich supergeil bin, muss ich nicht gleich einem 17-Jährigen etwas bedeuten. Ich kann von der jungen Generation nicht erwarten, dass sie jetzt alle NAS- oder Eminem-Fans sind. Die hören lieber Post Malone und Drake oder was auch immer. Das ist völlig in Ordnung. Ich kann nur meinen Teil beitragen.
WELT: Ihr neues Album „Lan Juks“ erscheint Anfang Oktober. Was ist das zentrale Thema, das hier verhandelt wird?
Savas: Ursprünglich sollte „Lan Juks“ ein reines „Boom Bap“-Album werden (Ein Subgenre von Hip-Hop, das sich durch simple Beats auszeichnet und in den 80er- und 90er-Jahren an der Ostküste der USA vorherrschend war, Anm. d. Red.). Ich habe dann irgendwann im Verlauf der Produktion gemerkt, dass das eigentlich nicht mein Sound ist. Also habe ich meine alten Tapes aufgetrieben und angefangen, die Parts zu samplen. In dieser musikalischen Rückschau habe ich angefangen, meine frühere Phase als Rapper in Berlin-Kreuzberg zu reflektieren. Da waren noch unbeglichene Rechnungen, mit denen ich mich konfrontieren musste. Die sind auch Thema des Albums. „Lan Juks“ ist übrigens mein alter Sprühername. Um es zusammenzufassen: Das Album ist eine Auseinandersetzung mit meinem alten Ich.
WELT: Konnten Sie alle Rechnungen begleichen?
Savas: Die Konfrontation hat alles nochmal in eine andere Perspektive gerückt. Meine Wahrnehmung davon als junger Mensch war sehr emotional. Ich habe mich irgendwie immer von einer unsichtbaren Macht unterdrückt gefühlt, habe mich gefühlt wie ein Mobbingopfer. In Berlin-Kreuzberg gab es klare Hierarchien und ungeschriebene Gesetze, die man einhalten musste. Als jemand, der nur Halb-Türke ist wie ich und keinen klaren religiösen Hintergrund hat, konnte ich mich nicht so gut ins Konstrukt einreihen. Nun habe ich meinen Frieden damit geschlossen.
WELT: Im Song „Trautes Heim“, der schon veröffentlicht ist, sitzt Ihr jüngeres Ich im Ohr vom post-impressionistischen Maler Vincent van Gogh und rappt einen alten Part. Man hört an der Stimme, dass der Part 25 Jahre alt sein muss. Sehen Sie in Ihrem jüngeren Etwas, das Sie vermissen?
Savas: Nein, das bin immer noch ich. Mein junges und mein älteres Ich habe ich nie weit auseinander gesehen. Aber natürlich habe ich mich verändert. Immer wieder kommen Fans zu mir und fragen, ob ich nicht wieder Westberlin Maskulin (Rap-Formation, die von 1997 bis 2000 aus Kool Savas und Taktloss bestand, Anm. d. Red.) machen könnte. Dann sage ich: Dann hör doch einfach Westberlin Maskulin? Die Songs gibt es ja noch. Mein Handwerk hat sich verändert. Ich vermisse nur die Anfänge meiner Rap-Laufbahn, als ich für schätzungsweise 50 Leute Musik gemacht habe und meine Tapes verschenkte. Keine Promo-Phase, kein Release-Plan.
WELT: Wie altert man als Rapper gut?
Savas: Dafür gibt es keine wirklichen Vorbilder. Wir sind die erste Generation von Rappern, die älter ist. Aber Dr. Dre, Jay-Z, Eminem und Ice Cube zeigen doch, dass man auch im Alter noch Hip-Hop sein kann. Für mich jedenfalls ist es kein Widerspruch, mit 70 Jahren noch Cap zu tragen. Man sollte als älterer Rapper aber nie verbittert werden. Ich muss nur akzeptieren, dass nicht für jeden Hip-Hop-Fan auf diesem Planeten NAS ein lyrischer Gott ist.
WELT: Im neuen Album bleiben Sie Ihrem reduzierten, energetischen Rap-Stil treu. Dabei ist diese Art zu rappen in den vergangenen Jahren stark zurückgedrängt worden. Gesang, Autotune und Trap haben das Genre übernommen und große Erfolge gefeiert. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, bei den Trends nicht mitzumachen?
WELT: Ich habe mir die Freiheit genommen zu sagen: Ich mache das, was ich machen möchte. Ich bin die einzige Instanz, die über meine Songs entscheidet. Das sage ich auch meiner Familie, wenn die einen Song nicht gut findet. Es ist also nicht so, als baumelten die Trends wie ein Würstchen vor meiner Nase und ich müsste permanent widerstehen. Ich habe gelernt, anderen Leuten ihre Bühne zu lassen. Und wenn ein Newcomer nach mir den Hauptact spielt, ist das für mich okay. Damit muss ich leben.
WELT: Gibt es einen zeitgenössischen Rapper, den Sie gut finden?
Savas: Ich höre zwangsläufig Central Cee, weil mein 11-jähriger Sohn großer Fan von ihm ist. Aber der neue Rap-Style reizt mich nicht so sehr, weil er sehr langsam geworden ist. Ich will, dass jemand auf die Kacke haut. Ich mag den Schlaftabletten-Rap nicht. Mir kommt es manchmal so vor, als wären heutige Rapper gelangweilt und hätten keinen Bock, den Take vernünftig aufzunehmen oder neu zu schreiben. Aber es ist der heutige Swag, auf müde und abgefuckt zu tun. Vielen Rappern ist heutzutage nur wichtig, dass der Refrain knallt. Inhalt ist Wurst. Aber das wird sich wieder ändern. Irgendwann werden wieder Lyrics im Vordergrund stehen.
WELT: Die junge, vor allem weibliche Generation tanzt gerade zu Rapperin Ikkimel, die sich in ihren Texten selbst sexualisiert, mit ihrer inflationären Verwendung von „Fotze“ das Wort decodiert hat. Wie stehen Sie zu ihr?
Savas: Ich habe nicht viele Songs von ihr gehört, aber ich finde ihre Songs weder problematisch noch dramatisch. Ich komme aus Berlin und habe, gerade zu Beginn meiner Rapperkarriere, auch sehr explizite, heftige Songs geschrieben. Es schockiert mich also nicht, wenn ein Mädel „Fotze“ sagt. Wenn das ihre Attitüde ist, soll sie das gerne machen. Ich muss auch nicht zu jedem eine Meinung haben.
WELT: Unsere digitale Gegenwart ist von Trends überflutet. Sind Sie, wenn schon nicht im Rap, anfällig für Modetrends? Central Cee, der Lieblingsrapper Ihres Sohnes, trägt zum Beispiel Labubu, das Monster-Plüschtier.
Savas: Mein Sohn meinte, dass er ein Labubu haben will. Ich habe ihn gefragt, ob er mich verarschen will. Du bist 11 Jahre alt, kleiner Mann, was für Labubu?
WELT: Ein Labubu ist mittlerweile ein wichtiges Statussymbol der verspielten Großstädter …
Savas: Oh Gott, ja, okay. Früher hat mein Sohn die Kleidung getragen, die meine Frau herausgelegt hat. Wir haben es geschafft, ihm ein bisschen unseren Style aufzudrücken. Aber jetzt rebelliert er manchmal und will eine Jacke mit Aufnähern, obwohl sein T-Shirt schon Aufdruck hat. Das ist zu viel, denke ich dann. Ich bin überhaupt nicht anfällig für solche Trends. Ich hatte mal einen Aha-Moment bei einer Preisverleihung, bei der Dr. Dre auch war. Er hatte einfach einen schwarzen Sweater an. Das ist schlau, damit kann man nichts falsch machen. Dr. Dre sieht dann in der Rückschau nicht aus wie ein Clown. Wenn ich hingegen alte Fotos von mir anschaue – ultra baggy Jeans und lange T-Shirts – dann sieht das für mich schon komisch aus. Heute trage ich den klassischen New-York-Style. Dicke Jacke im Winter, Hoodie, Beanie und Timberland-Schuhe. Ich versuche, es also klassisch zu halten. Mir ist es egal, ob es langweilig aussieht.
Das Interview ist nachzuhören bei „hyped“, dem Popkultur-Podcast von WELT. Hier:
WELT: Das passt ja auch zur Rolle des Elder Statesmen, die Sie mittlerweile eingenommen haben. Genießen Sie diese Rolle?
Savas: Ich finde es immer wieder faszinierend, wenn mir jemand seinen Respekt ausspricht. Auf Instagram schreiben mir täglich Menschen, und ich habe diese halbe Krankheit, all diese Nachrichten zu lesen. Für mich ist es ein komisches Gefühl, dass ich für die Fans das bedeute, was Too Short, Ice Cube und MC Eiht für mich bedeutet haben. Früher habe ich alles für Respekt getan. Jeden Zug, den ich besprüht habe, jedes „tag“, das ich da gesetzt habe, jedes Battle, was ich angezettelt habe – es ging immer um Anerkennung, weil es sonst nichts zu holen gab. Jetzt, wo ich diese Anerkennung habe, merke ich, dass es keinen großen Unterschied macht.
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