Wirbt das Maxim-Gorki-Theater mit antisemitischen Bildern, gar mit Antisemitismus? Diesen Verdacht äußert die Initiative „Artists Against Antisemitism“, zuerst berichtete die „BZ“. In der Sommerpause stellte die Berliner Bühne, die unter Intendantin Shermin Langhoff zum Zentrum des „postmigrantisches Theaters“ wurde, eine neue „Protest-Kampagne“ vor. Die Motive sollen diverse Krisen auf der ganzen Welt zeigen, die Inszenierung wurde den Mitgliedern aus dem Ensemble selbst überlassen. Zwei Schauspieler haben sich mit Kufiya („Palästinensertuch“) posierend ablichten lassen. Laut „BZ“ mischt sich nun sogar die Senatsverwaltung für Kultur ein. Doch ist der Fall so eindeutig, wie er scheint? Die Frage führt in die Untiefen der politischen Semantik heute.
Auf drei aus ihrer Sicht „problematische Fotos“ machen „Artists Against Antisemitism“ in einem Rundschreiben aufmerksam. Das erste zeigt den Schauspieler Karim Daoud mit Kufiya über einer Menge schwebend, die ihrer Finger V-förmig in die Luft streckt. Auf dem T-Shirt sieht man die Umrisse Israels und der palästinensischen Gebiete, ohne erkennbare Staatsgrenzen, in der Hand eine Kette in Palästinafarben. Die Szene lässt an „Viva Palästina“-Rufe denken und dürfte sich mehr als einseitige Parteinahme für den palästinensischen Nationalismus verstehen lassen, statt etwa als Ruf nach Frieden. Und die Landkarte auf dem Shirt lässt in ihrer Uneindeutigkeit zumindest Platz für „From the River to the Sea“-Fantasien ohne jüdischen Staat und seine Bürger.
Lässt sich die Szene als „ungeheuerliche Entgleisung der symbolischen Auslöschung Israels“ bezeichnen, wie es „Artists Against Antisemitism“ tun? Ist ein Shirt, das sich mit viel Wohlwollen auch als naives Eintreten für eine Welt ohne Grenzen verstehen ließe, mit grenzenlosem Hass auf die Juden und ihren Staat gleichzusetzen? Die vielen „Death to Israel“-Schriftzüge auf Neuköllner Hauswänden sind in dieser Hinsicht semantisch klarer. Was keineswegs ausschließt, dass strategische Unklarheit im Ausgesagten nicht dem dient, was man in der Forschung eine „antisemitische Umwegkommunikation“ nennt. Mit einer Kufiya herumzuwedeln, ist nicht an sich antisemitisch, kann aber so verstanden und gemeint sein, sobald es als Code für eine judenfreie Welt fungiert.
„An der Seite Israels zu stehen, war eure Entscheidung“
Das Problem bei der Kritik mutmaßlich antisemitischer Bilder ist, dass man selbst den Common Sense der Antisemiten, der das Bild zum Code macht, bereits als Resultat voraussetzen muss. Das kann zu semantischen Verengungen und Verkürzungen führen, weil man den von Ambivalenz befreiten Blick einer nur in Codes kommunizierenden Weltsicht übernimmt. In diesem Kurzschluss, der zum Ausfall von Reflexion führt, sahen prominente Vordenker der modernen Antisemitismuskritik wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer einen wesentlichen Zug des Antisemitismus („Ticketdenken“). Muss, wie jüngst immer wieder gefordert, auch die Antisemitismuskritik aufpassen, sich nicht mit dem reflexhaft identifizierenden Schablonendenken anzustecken und die Antisemitismuskritik gegen den Antisemitismusvorwurf eingetauscht zu haben?
Schaut man auf die anderen beiden „problematischen Fotos“, zeigen sich durchaus hermeneutische Stolperfallen. Haben die roten Hände nicht bereits an der Berliner Universität der Künste einen Skandal ausgelöst? Auf Anfrage der WELT teilt das Gorki-Theater mit, dass die roten Hände auf die Studentenproteste in Serbien verweisen, das Herkunftsland des Schauspielers. Weiter heißt es, die Schauspielerin Maryam Abu Khaled mit Kufiya und zugeklebtem Mund mache nur auf einen hausinternen Vorgang aufmerksam, nämlich die Absetzung von Yael Ronens „The Situation“ nach dem 7. Oktober 2023. Das verstehe die Leitung als „Vorwurf der Zensur an die eigene Adresse“.
Es ist kein Geheimnis, dass die nun in der Kritik stehenden Daoud und Khaled – beide palästinensischer Herkunft – seit fast zwei Jahren quer zur Leitung des Gorki-Theaters stehen. Langhoff hatte nach dem Massaker vom 7. Oktober und Drohungen gegen Juden hierzulande betont, an der Seite aller jüdischen Menschen zu stehen. Daoud sagte hingegen, das Theater sei eine Enttäuschung und habe die Seite der Okkupation gewählt. „Wie kann das immer noch geschehen? Auf der Seite des Unterdrückers und auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen?“ Und Khaled schrieb damals: „An der Seite Israels zu stehen, war eure Entscheidung, aber ich kann die Respektlosigkeit und Ignoranz nicht akzeptieren, die sich darin gegenüber der anderen Seite zeigt, mein Volk und meine Familie eingeschlossen, die in konstanter Angst leben.“
Dass Daoud und Khaled beide in der Kampagne mit Kufiya posieren, und das wohl kaum zur Freude der Leitung des Theaters, überrascht kaum. „Eine weitere Interpretation der verschiedenen Darstellungen und der darin zum Ausdruck gekommenen Motive beabsichtigt das Gorki vorerst nicht vorzunehmen“, teilt das Theater auf Anfrage der WELT mit. Dass das Theater mit Verweis auf das „freie künstlerische Ermessen“ der Mitarbeiter nicht vorzensierend eingreifend wollte, muss man nicht genauso sehen, nachvollziehen lässt es sich trotzdem. Das hat zur Folge, dass die seit zwei Jahren im buntgemischten und politisch engagierten Ensemble des Gorki-Theaters schwelenden Konflikte nun in einer größeren Öffentlichkeit ausgetragen werden – und das pünktlich zum Auftakt der letzten Spielzeit von Langhoff am Gorki-Theater. Wie im Theatersaal ist nun also das Publikum gefragt, sich zu dem zu äußern, was man da geboten bekommt.
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