Sie hat nicht an sich rumgepfuscht. Die dünnen Haare der älteren Frau wichen keiner Perücke. Sie hat ihre Zähne nicht aufpoliert, und sie stand auch zu ihren Falten als Raucherin. Sie war schön und sie war sie selbst. Ihr Gesicht hatte eine Geschichte, die ganz die ihre war. Gerade im Alter hat Claudia Cardinale klargemacht, dass sie zwar ihre Ursprünge in der ungenierten, alles ausstellenden Schausucht der Italiener auf ihre Filmidole hatte, dass sie sich aber um diese Ansprüche schon längst nicht mehr scherte. Obwohl sie einst mit der neun Jahre älteren Gina Lollobrigida und der vier Jahre älteren Sophia Loren das legendäre Dreigestirn der italienischen Filmsirenen bildete.
Doch die Cardinale war sinnlich, wusste ihre Reize einzusetzen und mit ihnen zu spielen, so wie es noch die Kamerakonventionen dieser Zeit verlangten, aber sie war keineswegs ein so offenherziges und offensives Sexsymbol wie ihre Konkurrentinnen. Das lag vielleicht schon an ihrer außenseiterischen Herkunft. Geboren wurde sie am 15. April 1938 als Claude Joséphine Rose Cardinale in Tunis, damals noch französisches Protektorat. Als Kind sizilianischer Auswanderer sprach sie zunächst deren harten Inseldialekt, Maghreb-Französisch und Tunesisch.
Zwar hatte sie bereits mit Omar Sharif in einem Film gespielt, aber es war, wie so oft in diesen Jahren, eine Misswahl, die den Pfad ihres Lebens bestimmte. 1957 reiste Claudia Cardinale, die nur ihren Vornamen leicht verändert hatte, als „schönste Italienerin von Tunesien“ zur Biennale di Venezia. Und machte selbst in einem schlecht sitzenden, selbst geschneiderten Kostüm vor allem die Männer verrückt: die Frau als Beute.
Der lange Weg zur Selbstbestimmung
Das hat die Cardinale, die sich später so souverän emanzipierte und über jede Konvention hinwegsetzte – anders als Brigitte Bardot, die mit 38 Jahren ganz aus dem Filmgeschäft ausstieg –, ziemlich brutal erfahren müssen. Und irgendwann, später, doch für sich die Konsequenzen gezogen. Während sie als junge Frau noch zögerte, ob sie sich wirklich den Zelluloid-Haien in Rom ausliefern sollte, hatte sie 1958 nach einer Vergewaltigung ihren Sohn Patrick bekommen, der zunächst in Tunis aufwuchs, später als ihr Bruder ausgegeben wurde. Auch aus finanziellen Gründen unterschrieb sie einen Exklusivertrag mit dem Produzenten Franco Cristaldi. Der machte sie zu seiner Geliebten, manipulativ und abusiv, heiraten konnte er sie erst nach seiner Scheidung 1966.
Und trotzdem: Auch wenn Claudia Cardinale viel zu lange von ihm abhängig blieb, setzte sie künstlerisch ihren Willen gegen Cristaldi durch und drehte gerade deshalb ihre ikonischsten Filme – vor allem jenseits von Hollywood, wohin es die Lollo und die Loren gezogen hatte. Und für die sie alle haben wollten: vor allem Luchino Visconti und Federico Fellini. In dem späten Neorealismo-Klassiker „Rocco und seine Brüder“ (1960) ließ sie selbst die Nebenrolle der Ginetta strahlen.
1963 ist ihr Glanzjahr: Als mythische Filmdiva stöckelt sie neben Marcello Mastroianni durch Fellinis surreale Filmsatire „Achteinhalb“; als mandeläugige Angelica, die mit ihrem Geld die Adelsfamilie Lampedusa retten muss, walzt sie in den Armen Alain Delons zu Nino Rotas rauschhaften Geigen durch Palermos Ballsäle – nie gab es ein schöneres ungleiches Liebespaar. Und als tricky Prinzessin Dala – mal im Sixties-Après-Ski-Chic, mal hochgetufft im Juwelenglitzer-Sarong – sticht sie in Cortina d’Ampezzo auf der Jagd nach dem „Rosaroten Panther“-Diamanten nicht nur Peter Sellers‘ dauertrotteligen Inspektor Clouseau aus. Und natürlich waren Marcello, Alain und Peter dauernd hinter ihr her – Claudia ließ sie alle abblitzen.
Mit Filmen wie „Austerlitz – Glanz einer Kaiserkrone“ (1960) des späten Abel Gance (sie spielte Napoleons Lieblingsschwester Pauline) und als leichtlebige Diebin Vénus an der Seite von Jean-Paul Belmondo in der charmanten Mantel-und-Degen-Komödie „Cartouche, der Bandit“ von Philippe de Brocca (1962) festigte sie ihre starken Bande nach Frankreich, wo Claudia Cardinale viele Jahre auch gelebt hat. Erst spät synchronisierte man sie nicht mehr, ließ ihre raue, gar nicht mädchenhafte Stimme hören, einem Luchino Visconti oder Fellini war sie immer auch Freundin auf Augenhöhe.
Die späten Jahre der Claudia Cardinale
Arbeitet man sich freilich durch die weitere, bis 2022 (und zu Netflix) reichende, ziemlich ausufernde Filmografie der Claudia Cardinale, so tauchen darin höchstens noch drei bemerkenswerte Titel auf: das erst langsam sich seinen heute monumentalen Italowestern-Status erarbeitende „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968), wo sie zu den müden Mundharmonikafetzen Ennio Morricones als Prostituierte und Erbin Jill den harten Kerlen Henry Fonda und Charles Bronson Paroli bietet; dann als Bordellbesitzerin Molly in „Fitzcaraldo“ (1982), wo sie sich neben Klaus Kinski (und Werner Herzog) behauptet; und ein Jahr zuvor in Liliana Cavanis gefloppter Malaparte-Verfilmung „Die Haut“ als tief gefallene Principessa Consuelo.
Claudia Cardinale ließ sich scheiden, lebte bis 1999 mit dem sozialkritischen Regisseur Pasquale Squitieri zusammen, mit dem sie Tochter Claudia bekam. Sie fotografierte, schien durch ihre Filme eher, einem ihre älteren Titel folgend, als „Mädchen mit dem leichten Gepäck“ zu reisen. Sie war da, lieferte, und zog weiter durch ihr privates Dasein. Dabei spielte sie generös, wenn die Öffentlichkeit es verlangte, die ewige Diva, die sie nie gewesen ist, als moderne, sich weiterentwickelnde, reflektierende, auch selbstironische Frau. Sie ließ sich feiern und ehren, besuchte Retrospektiven ihre Klassiker, alterte skandalfrei und in Würde als lebende Filmgeschichte, die sich längst ein eigenbestimmtes Dasein jenseits der grellen, alles durchleuchtenden Filmwelt aufgebaut hatte. So blieb sie berühmt, aber fern der Paparazzi-Teleobjektive.
Am 23. September 2025 ist bei ihrer Familie in Nemours bei Paris gestorben: Claudia Cardinale, die Diva ohne Schleppe, wurde 87 irdisch schöne Jahre alt. In ihren wenigen, aber herausragenden Filmklassikern wird sie ewig leben.
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