Sie wollen wissen, worum sich der neue Film von Paul Thomas Anderson, Schöpfer legendär vertrackter Meisterwerke wie „Magnolia“, „Boogie Nights“ oder „There Will Be Blood“, so dreht? Die Frage ist berechtigt, zumal „One Battle After Another“ mit mehr Vorschusslorbeeren in die Kinos kommt, als Leonardo DiCaprio im Laufe der beinahe drei Stunden Laufzeit wegkiffen kann, auch wenn er sich redliche Mühe gibt.
Die amerikanische Kritik schwört, mindestens des Meisterwerks des Jahres ansichtig geworden zu sein, und selbst der große Steven Spielberg lässt sich zitieren mit: „Ich habe noch nie einen Film gesehen, der mich so stark an Kubricks ‚Dr. Seltsam‘ erinnert – eine absurde Komödie, die sich sehr ernst nimmt.“ Unmissverständlich mache sie klar, „was im heutigen Amerika vor sich geht“.
Auch wenn man geneigt ist, zuzustimmen, fällt die Beschreibung nicht ganz leicht. Da gibt es zum Beispiel eine rassenhygienebesoffene Nazisekte namens The Christmas Adventurers, die sich ihre unchristlichen Methoden von Knecht Ruprecht abgeschaut hat, wobei sie die Rute gegen Schrotflinten tauscht. Oder eine schwarze Quasi-Black-Panther-Revoluzzerin namens Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor), die die bösen Weißen so richtig Sie-wissen-schon will – wobei sich eine gelegentliche Schwangerschaft schwer vermeiden lässt, auch wenn es an mütterlichen Instinkten tendenziell hapert.
Benicio del Toro spaziert als Karate-Lehrer Sensei Sergio unbeeindruckt durch allerlei aufsehenerregende Szenen, darunter eine ausufernde Straßenschlacht in einem kalifornischen Hippie-Nest. Er ist peinlich darauf bedacht, dass alternde Revolutionäre, die er vor der anrückenden Militärpolizei in Sicherheit zu bringen gedenkt, nicht mit Straßenschuhen auf die Matte treten. Und auch im Untergrund-Flüchtlingslager, das niedrigschwellig in seine Privatwohnung übergeht, ruft er selbst in Momenten größter Not seine vielen Kinder zur Ordnung, wenn sie zu lange am Smartphone hängen.
Sean Penn wiederum hat zur Vorbereitung auf seine Rolle als Oberst Steven J. Lockjaw offensichtlich wochenlang ein Sturmgewehr im Allerwertesten herumgetragen und sich ausschließlich von Zitronen ernährt. Wie sonst sollte er diesen unnachahmlichen Hämorrhoiden-Gang und die zerknautschte Miene hinbekommen haben? Das i-Tüpfelchen der finsteren Faschomaske ist eine kecke Haarlocke, die aus dem ansonsten runterrasierten Schädel sprießt wie ein vager menschlicher Blütenstiel.
Schließlich ist da die Tochter, unwahrscheinliche Frucht des sexuell-militärischen Komplexes, gespielt von einer brillanten Debütantin, die im echten Leben einen Namen trägt, der einer Pynchon-Figur zur Ehre gereichen würde: Chase Infiniti (was auf Deutsch so viel bedeutet wie „Jage die Unendlichkeit“). Im Film markiert sie das stille Auge des Orkans, den Hoffnungsschimmer von Gesundheit und Rationalität inmitten des überbordenden Kuddelmuddels aus Wahnsinn und Paranoia.
Tatsächlich ist man hier auf der richtigen Fährte, denn die Blaupause zu Andersons Drehbuch hat der Romancier Thomas Pynchon geliefert. Seit jeher gilt er als Spezialist für amerikanische Befindlichkeiten, den Clash von Wissenschaft, Armee, Gegenkultur, Psychedelik und Rassismus, der seiner Auffassung nach sein Heimatland ausmacht, in dem er sich seit Jahrzehnten so beharrlich der Öffentlichkeit verweigert wie er voluminöse, verrückte Bücher schreibt. In „Die Enden der Parabel“ (1973) etwa verquickte er Wernher von Brauns V2-Raketen mit dem Stehvermögen der Hauptfigur zu einer Parabel auf das 20. Jahrhundert. Der neueste Roman, „Schattennummer“, erscheint im Oktober. Dem Vernehmen nach geht es darin um die ausgebüxte Erbin eines Käse-Fabrikanten, die aus dem Milwaukee der Great Depression nach Ungarn rübermacht.
Anderson hat sich hingegen von „Vineland“ (1990) inspirieren lassen, das sich dem politischen Kater der Hippies in Reagans autoritären und ausländerfeindlichen „Krieg den Drogen“-USA widmet. Dafür hat er die Handlung lose in unsere Gegenwart transponiert, die zur Historie ja nicht wenige Parallelen aufweist. Um sich davon zu überzeugen, reicht ein Blick in die Tageszeitungen: Dort ist eine amerikanische Politik zu besichtigen, die die Vereinten Nationen am liebsten abschaffen würde, venezolanische Drogenkuriere ungerührt in internationalen Gewässern versenkt und Internierungslager unterhält, in denen Menschen wie Tiere in Käfigen gehalten werden. Das bekannteste heißt Alligator Alcatraz, und auch das hätte sich Pynchon kaum schauriger ausdenken können. Nicht erst seit der Ermordung von Charlie Kirk und den unübersehbaren Bestrebungen, die Meinungsfreiheit abzuschaffen, liegt eine apokalyptische Stimmung in der Luft – ein geradezu gnostischer Kampf von Gut gegen Böse wird heraufbeschworen.
Die Figuren in „One Battle After Another“ nehmen das alles auf, obwohl der Film – mit kolportierten Kosten von bis zu 170 Millionen Dollar Andersons bis dato teuerster – schon Ende 2024 abgedreht wurde. Dabei ähneln sie ihren „Vineland“-Vorbildern nur in gröbsten Zügen. Geblieben ist die allgemeine Crazyness des verwickelten Plots, die Übersteigerung der Wirklichkeit in einen surrealen Fiebertraum, der gleichwohl darauf abzielt – und darin steckt ein Gutteil der künstlerischen Qualität – ebendiese Realität zur Kenntlichkeit zu entstellen.
DiCaprio ist „Ghetto Pat“ Calhoun, später bekannt unter seinem Tarnnamen Bob Ferguson. Ein freundlich-verwirrter Typ von nebenan mit Hang zu hirnvertilgenden Freizeitbeschäftigungen, der irgendwie ins Kielwasser der schwarzen Frauenpower-Bewegung geraten ist, die sich The French 75 nennt, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Cocktail aus Gin, Champagner und Zitronensaft, mit dem sich im Ersten Weltkrieg alliierte Luftwaffenpiloten zuprosteten und der zum Lobpreis seiner berauschenden Wirkung nach einem 75-mm-kalibrigen Geschütz benannt ist. Ghetto Pat hat es besonders Perfidia Beverly Hills angetan. Wenn sie ihn nicht gerade für Ablenkungsmaßnahmen durch Pyrotechnik abkommandiert, knutscht sie ihn auf der Rückbank des Fluchtwagens auf eine Weise ab, die eher an die Mittagsmahlzeit eines ausgehungerten Raubtiers gemahnt.
Anderson schneidet von Banküberfällen, bei denen muskulöse Frauenbeine triumphierend auf Ausgabeschaltern herumstolzieren, zu Guerilla-Schießübungen, bei denen automatische Gewehre direkt an hochschwangeren Bäuchen abgefeuert werden, und schließlich in die Wohnung der schwarzen Großmutter, die Pat mitleidig ansieht: „Was willst du bloß mit meiner Tochter“, sagt sie, und das ist keine Frage. „Sie ist das Feuer, und du bist ein Klotz.“ Dann schreit das Baby, und die Mama bricht mitleidlos auf; sie entstammt dem schwarzen Revolutionsadel und hat einen Ruf zu verteidigen. DiCaprio fasst es nicht. Er hat die Nase voll vom Kampf gegen das Schweinesystem. Er will nur noch ein guter Papa sein.
Es folgt ein Plottwist, so perfide wie Beverly Hills Vorname, und die French 75 zerfallen – sie werden erschossen oder sind auf ewiger Flucht vor der faschistischen Polizei. Rasante Rolle vorwärts, sechzehn Jahre später. Wo landen wir zeitlich überhaupt? Offenbar in naher Zukunft, in der sich gleichwohl nicht viel geändert hat. Die Christmas Adventurers zeigen sich angetan von Oberst Lockjaws Verdiensten um die Vorherrschaft der weißen Rasse und laden ihn zum Dank in ihren Hinterzimmer-Ku-Klux-Klan mit seiner Uniform aus Chinos und Polohemden. Allein die traditionelle Gesinnungsschnüffelei muss er zuvor über sich ergehen lassen; Gerüchten zufolge soll er eine bedauerliche Neigung zur Blutschande haben. So zieht der Möchtegern-Arier los, solche natürlich völlig unbegründeten Verdächtigungen auszuräumen.
Durchgeknallte Stoner-Komödie
Es folgen bürgerkriegsähnliche Schlachten, bei denen DiCaprio schon mal von einem Hausdach stürzt, um sich von den Systemschergen in die Bewusstlosigkeit tasern zu lassen. So ganz da war er vorher allerdings auch nicht. Das Überfallkommando erwischt ihn auf der heimischen Couch, als er sich gerade den x-ten Joint und den Widerstands-Klassiker „Schlacht um Algier“ im Fernsehen hereinzieht. Die Tochter ist gerade zum Highschool-Ball aufgebrochen, hoffentlich ohne Handy, das hat ihr der zurecht vom Verfolgungswahn geplagte Vater immer wieder eingeschärft. Er selbst ist auch nicht gerade ein Ausbund an Disziplin. Sämtliche Geheimcodes aus dem Rebellen-Handbuch sind im Nebel seines drogengeschwängerten Hirns verschwunden. Den Rest des Films wird er nicht mal aus seinem zerschlissenen Morgenmantel herauskommen. So stolpert er durch die deprimierende Komödie wie der noch ärger auf den Hund gekommene Bruder des Big Lebowski.
„One Battle After Another“ ist ein erstaunliches Amalgam aus Tonalitäten: grimmige Polit-Groteske, durchgeknallte Stoner-Komödie, ja selbst ein unwahrscheinlicher Actionfilm, dessen finale Verfolgungsjagd über den klassisch amerikanischen Highway sich in gleichwohl schwindlig machendem Schneckentempo vollzieht. Das alles präsentiert im seltenen VistaVision-Film-Format, bekannt für seine technische Sperrigkeit wie die betörende Detailschärfe und Farbenpracht. Am Ende bleibt einem nichts, als aus dem Kino zu wanken und seinen imaginären Hut zu ziehen vor einem Land, das in Zeiten schlimmster Krisen solche Filme hervorbringt.
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