Kaum jemand hat die deutsche Nachkriegsgeneration so stark beeinflusst wie Freddy Quinn. In seinen Liedern fanden sich viele in ihren Sehnsüchten und Freiheitsgefühlen der Fünfzigerjahre wieder. „Heimweh“, „Junge, komm bald wieder“: Gleich sechs seiner Lieder wurden Millionenseller, das gelang niemand anderem in Deutschland. Seine Version von „La Paloma“ wurde zum „Jahrhunderthit der Deutschen“ gewählt – vor „Yesterday“ von den Beatles. Quinn ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und Wahl-Hamburger. Mal war er Cowboy, mal Seemann. Aber was war echt?

In diesem Jahr veröffentlichte Quinn seine Biografie („Wie es wirklich war“, Hannibal, 264 S., 25 €) und überraschte mit Korrekturen an seiner Lebensgeschichte. Sein Manager Lothar Olias hatte für Manfred Nidl aus Wien, der sich später in Freddy Quinn verwandeln sollte, einen Lebenslauf zu seinem Image zurechtgelegt. Der nur nicht stimmte: der Vater Amerikaner, verschollen. Der junge Quinn rat- und rastlos, als Seemann auf der Suche. In New York erfährt er vom Unfalltod des Vaters und wird zum Vagabunden. Irgendwann landet er in Hamburg. Alles erfunden.

Vor seinem 94. Geburtstag am 27. September erzählt Quinn nun die wahre Geschichte: der Vater, Österreicher, machte sich vor seiner Geburt aus dem Staub. Den Stiefvater mochte er nicht. Nach Hamburg zog er, weil die Mutter für die deutsche Hansestadt schwärmte. Den Namen Quinn nahm er an, weil ihm ein US-Soldat namens Quinn imponierte.

WELT: Wie wichtig war es Ihnen, in Ihrem Buch mit den Unwahrheiten über Sie aufzuräumen?

Freddy Quinn: Aufräumen ist ein Wort, das mir nicht behagt. Ich wollte erzählen, wie es war. Das hat sich gut angefühlt. Aber mir ist wichtig, dass nicht mein ganzes Leben eine Erfindung war. Dass ich nicht abrechnen wollte, weder mit anderen noch mit mir selbst. Ich hatte und habe ein tolles Leben. Wenn man sich die Zahlen anschaut, kann man wohl sagen, dass ich auch nicht ganz unerfolgreich war. Ich habe viele Abenteuer erlebt, manche waren großartig, andere waren dramatisch. Immer wurde ich gefragt, warum ich das nicht alles aufschreibe. Nun ja, und dabei habe ich die Gelegenheit genutzt, mit vielen Legenden – ja, hier passt das Wort vielleicht doch – mit vielen Legenden aufzuräumen.

WELT: Sind Sie froh, dass Sie selbst es waren, der Ihre Lebensgeschichte korrigiert hat und kein Journalist?

Quinn: Schauen Sie sich alte Interviews mit mir an. Wie oft ich gesagt habe: Mein Leben war eine Illusion. Es gab Journalisten, die mal etwas tiefer gebohrt haben. Aber oft wollte der Reporter gar keine langen Erklärungen von mir hören. Für sie war ich der „einsame Seemann“. Natürlich habe ich meinen Anteil daran, dass viele Details meines Lebens mal so und mal so berichtet wurden. Aber irgendwann war ich es leid, mich gegen das Bild zu stemmen, das es von mir gab.

WELT: Sie behaupten, Ihnen wurde der Seemann überstreift wie ein Kostüm, das nicht richtig passte. So etwas geht doch nur, wenn der Träger des Kostüms dazu bereit ist. Warum haben Sie sich nicht zur Wehr gesetzt?

Quinn: Eigentlich war das ganz schlicht: Ich sollte der Seemann sein. Aber wenn Sie auf mein Schaffen und mein Leben blicken, werden Sie hoffentlich sehen, dass ich durchaus auch andere Rollen übernommen habe. Ich habe Country-Musik gemacht, durfte Artist sein, Schauspieler im Film und auf der Bühne, Entertainer. Natürlich hat da die Seemannsmütze irgendwann gezwickt. Ich wusste aber auch, was ich meinen Fans und der Plattenfirma schuldig war. Sie kamen ja nicht zu meinen Konzerten, damit ich mich selbst verwirklichen konnte, sondern weil sie Freddy Quinn hören wollten, wie Sie ihn kannten. Meinen Zuschauern und Zuhörern verdanke ich alles. Deshalb wäre es absurd, mich im Nachhinein bitter zu beklagen. Ich mag viele der Seemannslieder sehr. Ich bin ja sogar zur See gefahren. Aber da war eben noch mehr als nur der „einsame Seemann“. Das zu zeigen war mir ein Anliegen.

WELT: Sie hatten 23 Top-Ten-Hits, haben mehr als 70 Millionen Alben verkauft, niemand in Deutschland hatte mehr Millionen-Verkäufe von Liedern als Sie. Ein großes Erbe.

Quinn: Ich denke über so etwas nicht viel nach. Meinen Einfluss auf die Branche mögen andere bewerten, die sich dazu berufen fühlen. Ich war ein Angestellter, der das Glück hatte, seinen Traumberuf ausüben zu können. Dafür bin ich sehr dankbar. Dankbarkeit macht auch demütig. Deshalb würde ich meine Rolle nicht überbewerten.

WELT: Was waren denn Ihre Geheimnisse? Fleiß, Beharrlichkeit, Disziplin, Ehrgeiz? Oder Ihre Umtriebigkeit?

Quinn: Ich denke, in Ihrer Aufzählung fehlen noch ein bisschen Talent und eine Menge Glück. Die von Ihnen genannten Attribute sollten meiner Meinung nach keine Geheimnisse sein, sondern zeitlose Tugenden.

WELT: Haben Ihre Erfolge Sie einsam gemacht?

Quinn: Nein. Auf dem Höhepunkt meiner Karriere hatte ich sehr viele Menschen, die sich gern als meine Freunde bezeichnet hätten. Nicht immer war mir klar, wer von ihnen wirklich mein Freund war. Während der Tiefpunkte – zum Beispiel nach meinem Steuerprozess – lernte ich dann, wer noch da war und zu mir stand. Das waren dann deutlich weniger. Vielleicht zehn Prozent. Und diese Zahl ist noch hochgegriffen.

WELT: Sie sprechen es an: Sie wurden 2004 wegen Steuerhinterziehung verurteilt, weil sie Ihren Wohnsitz in der Schweiz hatten, dafür aber zu lange in Deutschland waren. In Ihrem Buch schreiben Sie dazu: „Meine Seele hatte eine richtig heftige Verletzung erlitten.“ Spüren Sie die noch heute?

Quinn: Zunächst: Ich war schuldig. Daran gibt es nichts zu rütteln. Mir ging es also nicht um Mitleid, als ich das aufgeschrieben habe. Ich wollte in meiner Biografie aber ehrlich schildern, wie ich damals alles erlebt habe. Es gab viele für mich unangenehme bis fürchterliche Momente. Angefangen von dem Gefühl, wenn Menschen dein Haus durchsuchen. Bis hin zu dem Moment, in dem du vor dem Richter stehst, alle Augen auf dich gerichtet sind und du einfach von dieser schrecklichen Bühne verschwinden möchtest. Es war für mich schwer zu verkraften, dass ich vor dem Landgericht Hamburg stand. Mein Hamburg. Mein altes Mädchen. Meine Stadt, mein Land gegen Freddy Quinn. Gegen mich. Vielleicht trifft es der Begriff „entwurzelt“. So viele Jahre lang hatte mir diese Stadt einen festen Stand gegeben. Jetzt standen wir uns gegenüber, vor Gericht. Mein Bundesverdienstkreuz habe ich danach nie mehr angesteckt.

WELT: Wie viele echte Freunde – außer Ihrer Frau Rosi – sind Ihnen geblieben?

Quinn: Bedenken Sie bitte, dass ich fast 94 Jahre alt bin. Es ist leider nur natürlich, dass ich von vielen alten Freunden längst Abschied für immer nehmen musste. Heute gibt es eine Handvoll lieber Menschen in unserem engen Umfeld. Die meisten von ihnen sind erst im Laufe der letzten Jahre in unser Leben getreten. Sie lernten mich also als Rentner kennen und nicht im Rampenlicht. Das ist ein sehr gutes Fundament für ehrliche Freundschaft, denke ich.

WELT: Im Alter von 14 Jahren wollten Sie von Antwerpen aus in die USA ziehen. Sie gaben einen US-Soldaten als Vater an. Ihre Mutter hat nach Ihnen gesucht!

Quinn: In meiner Erinnerung war diese Zeit ein wildes Chaos. Kriegsende, die Welt in Unordnung, Menschen auf der Flucht und auf der Suche. Auch ich. Meiner Mutter wollte ich mit dieser Rastlosigkeit niemals wehtun. Der Major wollte mich sogar adoptieren. Aber das hätte ich meiner Mutter niemals angetan. Am Ende bin ich zu ihr zurückgekehrt.

WELT: Sie nannten sich Quinn nach einem US-Soldaten, der Sie als Teenager seinen Lkw fahren ließ. Ist das richtig?

Quinn: Ja, so erinnere ich das. Ich sage das mit aller Vorsicht, weil es so viele Versionen über den Ursprung meines Nachnamens gab. Ich hoffe, ich konnte in dem Buch klarstellen, dass es nicht der Name meines vermeintlichen Vaters war. Auch Anthony Quinn hatte damit nichts zu tun. In erster Linie wollte ich meinen alten Familiennamen loswerden: den Nachnamen meines Stiefvaters. Die Umbenennung war offiziell und steht so in meinem Ausweis.

WELT: Sie schreiben in Ihrem Buch: „Wenn ich eines Tages nicht mehr da bin, dann gibt es zumindest noch meine Lieder.“ Welches ist Ihnen am wichtigsten?

Quinn: „Cigarettes and Whisky“ mochte ich gern, weil es ein Lied über die „Washington Bar“ war, in der meine Karriere begann. „Junge, komm bald wieder“ darf natürlich in so einer Aufzählung nicht fehlen, weil es das Lied ist, das die meisten Menschen mit mir verbinden. „La Paloma“ wurde zum Jahrhunderthit der Deutschen gewählt. Mit „Heimweh“ gelang mir der Durchbruch. Gern würde ich das eine Lied nennen, aber es gibt so viele, die mir wichtig und teuer sind. Jetzt hätte ich beinahe „Spanish Eyes“ vergessen, das Meisterwerk von meinem unvergessenen Freund Bert Kaempfert. Vielleicht ist es gut, dass ich mich da nicht festlegen möchte. Dann tue ich keinem der hunderten Songs, die ich aufgenommen habe, Unrecht.

WELT: Wen sehen Sie als den Freddy Quinn der heutigen Zeit?

Quinn: Der Künstler Freddy Quinn ist nicht mehr da. Ich bin Rentner. Darauf lege ich wert. Mit Ihnen spreche ich, weil Sie mich so freundlich gefragt haben, und weil ich verstehe, dass es nach dem Buch ein gewisses Interesse gibt, Nachfragen zu stellen. Ansonsten bin ich weg von der Bildfläche. Wer aber jetzt in meine Fußstapfen getreten ist? Das vermag ich nicht zu sagen.

WELT: Sie hatten häufig das Gefühl, Leute würden Ihnen schaden wollen. Wieso?

Quinn: Ich war sehr, sehr erfolgreich. Ist doch klar, dass dann auch Neider kommen. Anfangs war ich naiv, oft überrascht über die Heftigkeit der Schlagzeilen und gewiss war ich auch etwas dünnhäutig. Sie haben das ganze Buch gelesen: Ja, es gab diese Menschen, die nur darauf warteten, dass ich einen Misserfolg landete. Aber eben auch unzählige treue Fans und wunderbare Begleiter. Deshalb werden Sie bei mir keine Verbitterung finden, sondern Dankbarkeit.

WELT: Ist Neid eine generelle Schwäche der Deutschen?

Quinn: Tatsächlich habe ich das in anderen Ländern nicht so stark erlebt.

WELT: Heißt das, unsere Gesellschaft ist unhöflicher und respektloser geworden?

Quinn: Mich ärgert es sehr, wenn ich mal vor dem Fernseher an einer Sendung hängen bleibe, in der ein Moderator andere Leute durch den Kakao zieht und sich dabei kringelig lacht. Das ist nicht meine Art von Humor, so etwas gehört sich nicht. Ich hoffe nicht, dass das die neue Definition von Anstand ist.

WELT: Sie schreiben: „Der Erfolg ist die größte Katastrophe, die mir passieren konnte.“ Wie haben Sie das gemeint?

Quinn: Das war etwas überspitzt formuliert. Was ich damit sagen wollte: Mit dem Erfolg kamen große Probleme, die ich vorher nicht kannte. Die Neider haben wir bereits angesprochen. Ich bin von Natur aus nicht sehr misstrauisch. Rosi sagt oft, ich sei gutmütig – aber sie meint damit wohl, ich sei ein bisschen naiv. Deshalb hat mich die Härte des Show-Geschäfts gerade am Anfang meiner Karriere schon sehr gefordert. Oft überfordert.

WELT: Zum Schluss das Wichtigste: Geht es Ihnen gesundheitlich gut? Steht die 100?

Quinn: Wer weiß das schon? Warum sollte mit 100 Schluss sein? Ich habe mir kein Ziel gesetzt. Rosi und ich leben von Tag zu Tag. Langweilig wird uns nie. Mir ist sehr bewusst, in welcher Lebensphase ich mich befinde. Aber wie mit so vielem in meinem Leben, so halte ich es auch mit meiner Gesundheit. Ich bin einfach sehr dankbar für das, was ist. Und schaue getrost auf den nächsten Tag.

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