Von KPM gibt es eine weiße, schlichte Porzellanvase, die jeder kennt, der einmal über einen Berliner Flohmarkt geschlendert ist. Mit rundem Fuß, ovalem Bauch und V-förmiger Öffnung, erfreut sich dieser unerhört moderne Entwurf von 1931 solcher Beliebtheit, dass die Vase über 90 Jahre später noch in Produktion ist. Doch der Name der Designerin ist bis heute kaum bekannt. Dabei prägte die Bauhaus-Schülerin Marguerite Friedlaender-Wildenhain seit 1929 maßgeblich das Gesicht der Königlichen Porzellanmanufaktur – bis sie 1933 nach Kalifornien auswandern musste. Dort beeinflusste sie eine ganze Generation von Keramikkünstlern, was aber auch kaum jemand weiß.

Es ist eine Ausnahmegeschichte. Denn gegen die anderen in Deutschland lebenden Jüdinnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts den Weg der Frauen in den Beruf des Kunsthandwerks ebneten und sich auf florierende Geschäfte verstanden, um frühzeitig auf eigenen Beinen zu stehen, ist Friedlaender-Wildenhain eine regelrechte Berühmtheit. Ihr voraus ist nur Anni Albers, deren geometrisch gemusterte Textilien entscheidend zum kommerziellen Erfolg vom Bauhaus beitrugen, bis auch sie in die USA emigrierte und mit ihrem Mann Josef am Black Mountain College Kunstgeschichte schrieb.

Doch keine der anderen Frauen, deren Werke und Biografien nun in der Ausstellung „Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne“ im Jüdischen Museum Berlin zu sehen sind, konnte an ihre Erfolge vor der Nazizeit anknüpfen. Ihre Namen sind vergessen, ihre Werke weitgehend verschwunden. Die Ausstellung ist deshalb ein kleines Wunder.

Das Jüdische Museum Berlin öffnet eine Schatztruhe

Zwanzig Jahre lang hat die Kuratorin Michal Friedlander wie eine Detektivin nach Designobjekten und ihren Schöpferinnen geforscht und das, was von ihren Werken übrig ist, zusammengetragen. Das Jüdische Museum Berlin besitzt damit heute die weltweit größte Designsammlung von Künstlerinnen, deren Existenz mit den Nazis weitgehend verschwand. Über Funde auf Dachböden und in Müllcontainern, durch Fotos und Zufallszusendungen von Familien wurde ein beeindruckendes Konvolut hochmoderner, hinreißender Schmuckstücke, Textilarbeiten, Kinderbuchillustrationen, Handpuppen, Spielkarten, Teeservice, Masken, Hüte und Kerzenleuchter zusammengetragen, über dessen behutsame Aufbereitung man sich beugt wie über eine Schatztruhe.

Kaum zu glauben, dass diese erfolgreichen Frauen erst hier und jetzt in Erscheinung treten. Zu ihrer Zeit bekannt und geschätzt, hatten sie sich gegen ihre eigenen jüdischen Gemeinden durchsetzen müssen – denn dort sah man Frauen, ebenso wie überall im Deutschen Reich, nur ungern im Beruf. Auch der Antisemitismus am Bauhaus machte ihnen zu schaffen (wo Frauen zudem nur die Werkstätten für Weberei und Grafik besuchen durften), ebenso wie das Lehrprogramm an deutschen Kunstgewerbeschulen. Im Gegensatz zu der privaten jüdischen Reimann-Schule in Berlin nahmen sie keine Rücksicht auf jüdische Feiertage. Dennoch bissen sich die Jüdinnen alle zu ihrem eigenen Business durch, bis die Nazis ihnen Berufsverbot erteilten.

Was folgte, liest sich in der Ausstellung wie eine Agenda des Grauens. Manche Designerinnen flüchteten in die USA, nach England oder ins britische Mandatsgebiet Palästina, andere begingen Selbstmord, wieder andere wurden in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Wer überlebte, war so verarmt und gebrochen, an frühere Erfolge nicht angeknüpft werden konnte.

Dennoch, oder gerade deshalb fragt man sich, warum diese Frauen von der Kunst- und Designgeschichte einfach vergessen wurden? Emmy Roth etwa: Ihre minimalistischen Entwürfe von Silberkannen und Leuchtern stehen denen von Marianne Brandt in nichts nach. Geboren 1885 in Hattingen, geschieden, verwitwet und wohnhaft in Berlin-Charlottenburg, ist sie eine der bedeutendsten deutschen Silberschmiedinnen, die ihre Arbeiten zu Hause und auf der Leipziger Messe zum Verkauf anbietet. 1930 nimmt sie an der wegweisenden Schau „Kult und Form“ in Berlin und 1937 an der Weltausstellung in Paris im jüdischen Pavillon des britischen Mandatsgebiets Palästina teil, wo sie inzwischen lebt. 1942 erkrankt sie an Krebs und begeht in Tel Aviv Suizid, ihr Werk nimmt sie mit in den Tod.

Bewusstsein dafür wecken, was noch im Verborgenen liegt

Oder Dorothea Kuttner, geboren 1902 in Berlin: In den frühen 1920er-Jahren gibt man ihr an der Berliner Kunstgewerbeschule die Aufgabe, ein Hakenkreuz in Kissenentwürfe einzuarbeiten. Sie gehorcht – und verwandelt das Motiv spiegelverkehrt in eine kaum mehr erkenntliche Abstraktion in fluffigem Violett, die genauso gut von heute stammen könnte. In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, kleidet sie ihre Familie schon früh ein, später führt sie im polnischen Katowice ein Nähstudio mit mehreren Angestellten und überlebt den Krieg, geschützt durch die Ehe mit einem Deutschen.

Margarete Heymann-Loebenstein, geboren 1899 in Köln, stirbt erst 1990 in London. Wie einige ihrer Kolleginnen mit Schlips und Kragen unterwegs, gründet sie mit ihrem Mann und dessen Bruder die Haël-Werkstätten für künstlerische Keramik in Marwitz in Brandenburg, deren exzentrisch geformte und ornamentierte Produkte internationale Erfolge feiern. Nach dem Autounfalltod der Brüder führt sie die Firma allein weiter, bis sie sie 1933 auf Druck des NS-Regimes unter Wert verkauft. Neue Leiterin wird Hedwig Bollhagen, die Geschirr für die SS produziert.

In der Ausstellung liegt ein Zeitungsartikel von 1935, der ihre biederen Produkte neben einem Teeservice von Heymann-Loebenstein zeigt, darunter die Worte: „Zwei Rassen fanden für denselben Zweck verschiedene Formen. Welche ist schöner?“ Die Antwort ist klar. Und doch wird die Nazi-Profiteurin Bollhagen, die man als DDR-Bürgerin mit Preisen überhäuft und die erst 2001 in Marwitz stirbt, in Museen gezeigt und kürzlich auch im Kunstkontext gewürdigt. Heymann-Loebenstein flieht 1936 nach Großbritannien und bleibt ohne Erfolg.

Es bricht einem das Herz, neben der Betrachtung dieser durchweg liebevoll und faszinierend gestalteten, bisher völlig unbekannten Stücke die Geschichten zu lesen, mit denen diese emanzipierten, klugen und talentierten Frauen in der Versenkung verschwunden sind. Zugleich dient der Ausstellungskatalog als Handbuch, mit dem man nun einen neuen Markt erschließen kann. Die Kuratorin Friedlander fand viele Stücke auf Ebay und erwarb sie ob der Anonymität oder Unbekanntheit der Schöpferinnen für kleines Geld – doch mit dieser Ausstellung und den dadurch veranlassten Wikipedia-Einträgen dürften sich die Preise bald ändern.

Denn wer möchte sie nicht besitzen: Lotte Pritzels zauberhafte Wachspuppen, die schon den Kekshersteller Hermann Bahlsen so begeistern, dass er der Künstlerin einen Werbeauftrag erteilt? Geboren 1887 in Breslau, bewegt sie sich in Kreisen von Münchens Boheme und inspiriert Rainer Maria Rilke zu einem Text, entwirft Kostüme für die Münchner Kammerspiele und das Deutsche Theater in Berlin für Max Reinhardt und Erwin Piscator, doch ihren Namen kennt heute kaum jemand.

Oder die gespenstischen Holzmasken und Marionetten, die Marianne Ahlfeld-Heymann für Puppenspieler und Theater produziert: Ausgebildet am Bauhaus Weimar und im Krieg in Frankreich versteckt, stirbt sie 2003 unbekannt in Haifa. Und man möchte auch die hinreißenden Illustrationen von Menschen und Tieren mit nach Hause nehmen, die Lilli Szkolny für jüdische Kinderbücher anfertigt. Sie wird 1906 in München geboren und arbeitet auch als Journalistin und Fotografin. Der Versuch, mit ihrem Mann nach England zu fliehen, misslingt – beide werden nach Riga deportiert und ermordet.

Das Verdienst dieser Ausstellung ist nicht nur, über einen derart langen Zeitraum akribisch aus dem Gedächtnis verschwundene Künstlerinnen und Werke recherchiert und ins Museum geholt zu haben. Sie öffnet auch ein Bewusstsein dafür, was noch alles im Verborgenen liegt. Wo sind die jüdischen Filmemacherinnen und Modeschöpferinnen, Schriftstellerinnen, Architektinnen, Journalistinnen und Businessfrauen, die verbannt, verbrannt und vergessen wurden?

Der Kuratorin Michal Friedlander ist das unglaubliche Kunststück gelungen, eine Gruppe hervorragend ausgebildeter kreativer Frauen, die Anfang der 1930er-Jahre zu den 500.000 Juden in Deutschland gehörten, in die Kunstgeschichte zu holen – dahin, wo längst gehört hätten. Doch das kann nur der Anfang sein. Auch der Kunsthandel dürfte ein Interesse an diesen Designerinnen entwickeln. Vor allem ist die Ausstellung ein Aufruf gegen das Vergessen eines Widerstands deutscher Frauen, der in den Jüdinnen seine größten Anwältinnen hatte. Ihr eigener Kampf ums Überleben wurde nie gewonnen – und wartet nun auf eine Fortsetzung.

„Widerstände. Jüdische Designerinnen der Moderne“, bis 23. November 2025, Jüdisches Museum Berlin; Ateliergespräch mit Michal Friedlander und Shelly Kupferberg am 29. September.

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