Es ist nahezu unmöglich, über Taylor Swift zu schreiben, weil jeder Satz sowieso an ihrer Wirkmacht zerschellt. Die Sängerin hat vor Kurzem sogar die halb-tote Musikplattform iTunes reanimiert. Im App Store war sie schon gar nicht mehr verfügbar, bei „X“ wurde seit sechs Jahren nichts mehr gepostet. Aber weil Taylor Swift im August ihr neues Album „The Life of a Showgirl“ für Anfang Oktober ankündigte, suchten wohl die letzten verbliebenen iTunes-Mitarbeiter hektisch nach den Passwörtern, um bei „X“ bekanntzugeben: Taylor Swift gibt es auch bei uns zu kaufen!

Dass 2025 ein digitales Album überhaupt noch gekauft wird, ist ja eigentlich schon ein Wahnsinn im Musikkosmos, der längst vom Streaming regiert wird. Wenn aber jemand im Pop eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit darstellt, dann wohl Taylor Swift. Allein in den USA bezeichnen sich rund 130 Millionen Menschen als „Swifties“. Eine riesige Armee von Fans, die mit Entschlossenheit jede Regel zu ihren Gunsten biegen kann. Taylor Swift könnte, wenn sie wollte, wohl auch SchülerVZ und MySpace neues Leben einhauchen, die SPD retten oder die steigenden Eierpreise in den USA stoppen.

Der größte Popstar der Welt hat nun am Freitag ein neues Album herausgebracht, auf das viele, unglaublich viele Menschen sehnsüchtig gewartet haben. Taylor Swift ist hübsch und als Milliardärin stinkreich. Und endlich hört man es, ihr Glück. In „The Life of a Showgirl“ reflektiert sie ihr Leben als Glitzersternchen, das durch die Welt tourt und Dinge sieht, die kein Normalo jemals sehen wird. Ein Meer aus 100.000 Menschen mit Handy in der Hand zum Beispiel, das den eigenen Namen schreit.

Und trotzdem gelingt Swift auch in diesem Album wieder mal das kuriose Kunststück, selbst Menschen mit dem banalsten Alltag in ihren Songs mitzumeinen. Wenn sie in „Opalite“, dem dritten Song der Platte, auf beschwingter Melodie singt: „Du hast durch die Blitze getanzt. Schlaflos in der onyxfarbenen Nacht. Aber jetzt ist der Himmel opalfarben“, schraubt man sich plötzlich in die Fantasie hinein, selbst im Flieger zum nächsten Auftritt zu sitzen. Oder zumindest in den Urlaub mit den Liebsten.

„Opalite“ ist eine Anspielung, davon gibt es bei Swift wie immer viele, auf ihre rauschhafte Liebe zu Footballspieler Travis Kelce, der mittlerweile ihr Verlobter ist. An dieser pompös inszenierten Liebesschau kam man nicht vorbei, wenn man schon mal im Internet war. Die Geburtssteine von Kelce als Sternzeichen Waage sind Opal und Turmalin. Kitsch war nie etwas, das Swift fürchtete. Schließlich war Pathos immer ihre Erlösungsfantasie aus der Zurückweisung, die sie nach eigenen Angaben in Teenagertagen erfuhr.

Auch im neuen Album führt Swift diese ganz eigene Gattung fort, wenn sie auf „Eldest Daughter“ (Track 5) singt: „Jede älteste Tochter war das erste Lamm, das geschlachtet wurde. Also verkleideten wir uns alle als Wölfe und sahen gefährlich aus.“ In diesem Ton geht das immer so weiter, wie bei „Wi$h Li$t“ (Track 8), der wieder mal Kelce anhimmelt: „Ich will nur dich. Ein paar Kinder. Damit die ganze Nachbarschaft so aussieht wie du.“ Mit welcher Unbeirrtheit Taylor Swift „cringe“ ist, dafür muss man sie eigentlich lieben.

Selbstverständlich ist das nicht: Alle Wünsche, die Swift über Jahre in ihren Songs formuliert hatte, sind mittlerweile in Erfüllung gegangen. Ruhm, sogar breite Anerkennung im Musikbusiness, Liebe. Eigentlich müsste damit auch das Fundament ihres Geschäftsmodells, die Sehnsucht, ins Wanken geraten. Viel war deshalb vor dem Albumrelease spekuliert worden: Kann jemand, der die große Liebe bereits gefunden hat und fast uneingeschränkt erfährt, überhaupt noch darüber singen?

„The Life of a Showgirl“ stellt sich diese Frage gar nicht und tut es einfach. Träume werden hier nicht mehr angestrebt, sondern wie auf einer „Bucket List“ abgehakt. Taylor Swift hat ihn nun, den „best friend who I think is hot“. Und genug Geld auch, um all die Musikrechte für ihre je produzierten Masteraufnahmen von Investmentfirma Shamrock zurückzukaufen. Kostenpunkt: schätzungsweise mehrere hundert Millionen Euro. Entsprechend stolz und mackerig singt Taylor Swift in „Father Figure“ (Track 4): „Du hast einen Pakt mit diesem Teufel geschlossen, aber wie sich herausstellt, ist mein Schwanz größer.“ Hier soll wohl Großspurigkeit und Breitbeinigkeit von Männern im Musikgeschäft mit den eigenen Waffen geschlagen werden. Das Kräfteverhältnis ist also gekippt, das Spiel entschieden. Taylor Swift hat gewonnen.

Schon das Albumcover ist eine Machtdemonstration. Swift liegt scheinbar nackt, nur mit Diamanten bedeckt, in einer Badewanne. Doch statt wie Shakespeares tragische Figur Ophelia im Wasser unterzugehen, entkommt Swift im Opener „The Fate of Ophelia“ diesem Schicksal. Große Rettung, die Swift hier Kelce zuschreibt. Umrahmt wird der triumphale Ton mit viel Bass und Synths, die gute Laune machen.

Aber natürlich zeigt sich der Superstar auch noch verletzlich. Trotz Travis Kelce kann ja jetzt nicht alles anders sein. In „Eldest daughter“ hat sie liebevolle Streicheleien für ihr junges Ich parat. „Ich werde dich niemals im Stich lassen, ich werde dich niemals zurücklassen.“ Es ist der melancholischste Song des Albums, der an fünfter Stelle kommt, die traditionell die wichtigste eines Taylor Swift-Albums markieren soll. Ein Zeichen, dass Swift trotz aller Errungenschaften immer wieder spielerisch leicht zu ihren Kernthemen zurückkehren kann. Und das bedeutet für sie, wie für vielleicht die meisten Menschen, den Wunsch, in den Arm genommen zu werden. Auch das klingt jetzt irgendwie wieder „cringe“, aber auch wahr.

„The Life of a Showgirl“ – Taylor Swift, nun überall zu hören.

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