Neonlicht, Resopaltische, ein paar offensichtlich unbequeme Stühle, Aktenschränke, eine Tür. Um da hinzukommen, wo Hamza Kulina und Maryam Azadi arbeiten, muss man im Aufzug auf K drücken. K wie Keller. Und dann durch eine Tür, die vermutlich als Bollwerk gegen einen Atomkrieg eingebaut wurde.
Hamza Kulina, geboren in Bosnien, wie Edin Hasanovic, der ihn spielt, geflüchtet im Krieg mit der Mutter, und Maryam Azadi, geboren in Teheran, vermutlich geflüchtet nach der Machtergreifung der Ayatollahs wie Melika Foroutan, die sie spielt. Sie sind die Neuen im Frankfurter „Tatort“. Brix und Janneke, ihre Vorgänger (Wolfram Koch und Margarita Broich) waren vor gut einem Jahr in die Luft geflogen nach einer wunderbar spinnerten Geschichte aus den Untiefen der deutschen Romantik und auf dem Weg ins Glück.
Da unten im Keller sind Kulina und Azadi, weil es die hessische „Tatort“-Redaktionsleitung so wollte. Die hatte möglicherweise genug von den eigenen Genre-Experimenten, von dem verspielten Herumtanzen auf den Grenzen dessen, was im Sonntagabendkrimi erzählbar ist. Das Tanzen wird jetzt offensichtlich Monopol von Ulrich Tukurs Wiesbadener Kommissar Felix Murot. Der hat darin eine gewisse Perfektion entwickelt. In Frankfurt geht es um Geschichten von Menschen und um Lücken, um entsetzliche Lücken.
Im Keller sind Kulina und Azadi aber auch, weil es das Klischee in Mord- und Totschlaggeschichten so will. Kulina und Azadi sind die Abteilung für Altfälle im Frankfurter Polizeipräsidium. Und wer in den Tiefen ungelöster Geschichten gräbt, da weitermacht, wo andere scheiterten, so war das bei Jussi Adler Olsens Carl Moerck und seinem Sonderdezernat Q in Kopenhagen und so ist das beim Ermittlertrio um Ludwig Schaller in der ZDF-Reihe „München Mord“, der tut das ganz unten. Auf Bewährung, fern von den andern. Im Keller. In der Dunkelheit.
Eine Vorgesetzte aus der Hölle
Azadi ist da unten, weil Sandra Schatz es so will. Auch das ist ein Klischee. Wer Vorgesetzte hat, wie sie im deutschen Kriminalfilm üblich sind, Kriminalräte, Staatsanwälte, braucht keine Feinde mehr. Schatz hat Azadi auf dem Kieker. Die hat sie bei Bewerbungen zweimal ausgestochen. Jetzt nimmt sie Rache. Vermutet, dass Azadi ihr Amt und die damit verbundenen Möglichkeiten der Archivarbeit missbraucht für die Lösung eines ganz privaten Altfalls. Der hat möglicherweise was mit ihrer Herkunft zu tun.
Kulina soll Schatzens Sonde sein. Der hat auch einen Altfall an der Hacke, eine Ermittlung läuft gegen ihn, er ist erpressbar, Schatz könnte ihn jederzeit, mit einem Fingerschnippen kaltstellen. Vom eigentlichen Altfall, von der zentralen Dunkelheit seines Lebens, erzählt er Azadi, als er nicht mehr kann, als die Dunkelheit überhandnimmt, in der sie unterwegs sind mit der Geschichte, die Stefan Schaller inszeniert und mit Senad Halilbasic und Erol Yesilkaya geschrieben hat. Aber wir greifen vor.
Es sind seltsame Bilder, mit denen es losgeht. Skizzen, Reste von in Jahren entsättigten Farbfilmen. Tatort-Bilder. Schuhe, Plastiksäcke an Bahngleisen, Szenen vom Frankfurter Bahnhofsviertel. Irgendwo in den Siebzigern entstanden. Und ein bisschen später. Die Kamera fährt auf eine Unterführung zu. „Dark“ fällt einem ein, die Serie übers deutsche Dunkel.
Und dann ist da die Frau in der Garage ihres Vaters. Der hatte ein Entrümpelungsunternehmen, bis ihn Schlaganfälle lahmlegten. Jetzt ist er tot. Die Enkelin sucht sich was, das sie an ihren Opa erinnert. Die Eisenbahn vielleicht. Die hatte er im Keller. Ein Kuscheltier. Ist alles in der Garage. Eine Geschichte, wie sie überall in den deutschen Vororten immer wieder geschieht.
Und zwei Plastiktonnen stehen da. Solche wie sie stehen (hoffentlich) eher selten in deutschen Vororten. Die Tochter müht sich an ihnen ab. Pandora schießt einem durch den Kopf. Man möchte ihr schon zurufen, dass sie das mit dem Öffnen vielleicht besser lassen soll. Dann steht sie da und schreit. In der Tonne sind Leichenteile. Wolfgang Zeller, der Vater, ein Mann von neurotischer Ordnungssucht, war ein Serienmörder.
Die Hinterlassenschaft des Main-Rippers
Es dauert nicht lange, da haben das Azadi und Kulina geklärt. Wolfgang Zeller war der „Main-Ripper“. Ein Frauenmörder. „Dunkelheit“ folgt vage einer wahren Begebenheit, der Geschichte des Schwalbacher Serientäters Manfred S.. Zeller jagte den Opfern Nägel in den Unterleib. Muster davon finden sich im Keller auf einem Tisch neben der Eisenbahn.
Wolfgang Zeller – das ist, was „Dunkelheit“ so irritierend aufregend macht – interessiert Schaller nach einer guten halben Stunde eigentlich gar nicht mehr. Es finden sich nur Spuren von Täterpsychologie in dieser Geschichte. Azadi und Kulina machen sich auf die Spur von weiteren Morden. Und finden sie. Und finden Menschen.
Die Opfer bekommen Gesichter und Geschichten. Und vor allem die Hinterbliebenen. Die Eltern sitzen irgendwann da vor Azadi und Kulina, die leben mit der Lücke, der entsetzlichen Lücke, die Zeller in ihr Leben gerissen hat, mit einer Trauer, mit der niemand leben sollte, die Freundin, die sich schuldig fühlt, der Vater, der jenen Zettel aufbewahrt hat, den er seinem Sohn schrieb am Tag, als er getötet wurde, der nie wieder in dessen Zimmer war, der die Torwarthandschuhe wiederhaben möchte, die er dem Sohn schenkte, an dem Tag und die jetzt in der Asservatenkammer sind.
Azadi und Kulina sind das erste rein migrantische „Tatort“-Team. Sie ist die Kühle, die Distanzierte, die Strukturierte. Er ist der Empathische, ein Mann, der weint, der in den Arm nimmt. Seine Geschichte ist der rote Faden durch „Dunkelheit“. Sie kommen sich näher, sitzen bei der besten bosnischen Bohnensuppe Frankfurts und frotzeln sich mit Sprüchen aus der Mottenkiste des deutschen Protofaschismus an („Sie sehen gar nicht so aus …“, „Ihr Deutsch ist aber …“).
Foroutan macht da weiter, wo sie in „KDD“ und als alkoholkranke Kommissarin Louise Boni in den wunderbaren Verfilmungen der Romane Oliver Bottinis aufgehört hat – eine Frau wie ein Enigma, die so beredt schweigen kann wie keine, ein ganz stilles Ereignis.
Hasanovic, der mit Foroutan schon im „KDD“ ermittelte und dessen Kulina in sich herum randaliert und inmitten der Menschen, die genauso Trost brauchen wie er, setzt sich sofort fest im Kopf, bohrt sich ins Empathiezentrum selbst des abgehärtetsten Sonntagabendkrimiafficionados. So leise und schön und vielversprechend ist noch kaum eine Ermittler-Ära im „Tatort“ gestartet.
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