Es ist eine der ersten Einstellungen in „Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte“, Corinna Belz’ Filmporträt Peter Handkes von 2016. In der Hocke häuft der Österreicher, bald darauf Literaturnobelpreisträger, aus einer gelben Plastiktüte Schätze auf eine ausgebreitete Zeitung. Es sind in den Wäldern um den Pariser Vorort Chaville, wo Handke lebt, gesammelte Pilze.

„Ich bin sattsam bekannt als Pilztrottel“, jetzt sitzt Handke am Tisch und säubert mit einem Messerchen ein prächtiges Exemplar. Sagt: „Wenn ich im Flugzeug sitze, und ich öde mich an in Flugzeugen, an Flughäfen, denke ich, wenn ich nach Haus’ komm, es wird alles besser, wenn ich da diese kleinteilige Welt hab. Es ist so wie eine Rettung von dieser scheißdurchkalkulierten technischen Welt.“ Etwas Erde lässt er dran, das hat er gern, fragt: „Aufschneiden?“ Das sei „schon brutal“.

„... fast ein Ton, hört ihr?“

Handke zerteilt den Pilz der Länge nach, schneidet dann ganz dünne Scheiben, kommentiert, wie die Klinge durch das Fleisch fährt: „Was das für’n schönes Geräusch ist.“ Und Leser seines „Versuchs über den Pilznarren“ sind zurückversetzt in das Büchlein von 2013. Der namenlose Titelheld, Freund des Erzählers, erfolgreicher Anwalt und in gemeinsamen Kindertagen auf dem Dorf einer derer, die ihre Funde an der „Pilzsammelstelle“ in klingende Münze verwandelten, hat dem Pilzesammeln lang den Rücken gekehrt. Bis er eines Tages beim Gang durch den Wald, so geht es nur im Märchen, seinem allerersten Steinpilz begegnet. Lange bewundert er ihn, trägt ihn zu einem Treffen in einer Bar mit seiner schwangeren Frau. Wie sich herausstellt, ist der Barkeeper, obwohl Stadtkind, auch ein Sammler. Der serviert dem Paar den vom späteren Pilznarren gehobenen Schatz, ganz so wie Handke in dem schönen Film: „Hört“, sagt der Barkeeper, „das Geräusch des Fleisches beim Zerteilen, was für ein Laut, fast ein Ton, hört ihr?“

Lust bekommen, nicht nur auf „den Teller mit den fast durchsichtigen weißen Rondellen“? Darauf, in die Pilze zu gehen, jetzt im Herbst? Obacht. Handkes Märchen ist auch eine Warnung. Nicht davor, was vor allem Anfänger ängstigt, nein. Ins „Giftgeschwätz“ stimmt diese „Geschichte aus der Pilzwelt“ nicht ein, sie erzählt aber von einer Obsession. Des Pilznarren „erster Gedanke, nein, Zwang, schon beim Aufwachen, lange vor dem Morgenwerden“ wird bald: „in die Pilze mit dir, dalli, dalli!“ Das aber vergällt ihm noch die Liebe zum Wald: „Ah, diese Wälder, diese Scheißwälder, wie sie rauschen, und rauschen, und rauschen.“

Der „Versuch über den Pilznarren“ ist auch die Geschichte einer Heilung, was verraten sei, damit wir uns unbesorgter aufmachen können, die Schätze des Waldes aufzuspüren. Und wenn wir nichts finden? Gerade dann können wir aufatmen, denn „nach einem Tag der Vergeblichkeit mit leeren Händen und Taschen aus der Waldestiefe ins Freie zu treten, wo es endlich! nichts mehr zu suchen gab, das hieß in der Tat: ‚Ah, ins Freie!‘“ Schließlich sind wir keine Narren mit einer einzigartigen Gabe und einem unerreichbaren Ideal, wie Handkes Doppelgänger, nicht wahr? Der leidet nämlich sehr an seiner Findigkeit: „‚Suchen und Nichtfinden!‘, das sah er vor sich als eine Art Ideal. Nur: Wie es praktizieren? Es war nicht zu verwirklichen, wenigstens nicht von einem Pilznarren, und schon gar nicht von einem, der nicht seinesgleichen hatte.“

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.