Es war nicht einfach für sie. Ihr ehemaliger Band-Partner Peter Plate, der Drummer, Schreiber und gelegentliche Sänger, hatte sich längst als Musicalkomponist am Berliner Theater des Westens neu erfunden. Aber AnNa R. kam nach der inoffiziellen Trennung von Rosenstolz vor 13 Jahren nicht mehr so richtig auf die Füße. Doch sie sang immer weiter. Bis sie vor einem halben Jahr im Alter von 55 Jahren tot in ihrer Wohnung aufgefunden wurde. Stilles Ende einer lauten, empfindsamen Künstlerin.

Nun erscheint posthum ihr Schwanengesang: noch einmal zehn auf einem Album gebündelte letzte Lieder. „Mut zur Liebe“ heißt es, ein Titel in bewährter Rosenstolz-Manier. Mit „Wir brauchen mehr Mut zur Liebe, wir brauchen mehr Mut zum Glück. Wir brauchen mehr Menschlichkeit und Wärme. Und mit dem Mut kommt die Liebe zurück“, hebt es an. Eine kleine Philosophie, aber wer mag sich ihr verschließen, vor allem wenn sich über die Gitarrenriffs diese einzigartige Stimme erhebt: zart und hart, charaktervoll und warm, etwas gepresst, aber immer sanft aufsteigend.

Da ist der ganze AnNa R.-Zauber wieder. Sie wartet mit simplen Reimen auf und ist dabei eben doch glaubwürdiger als die meisten ihrer sich abmühenden Popschlagerkollegen in diesem Land. 21 Jahre lang tingelten und gigten Rosenstolz durch die gerade vereinigte Republik. Ihre gebrochen glamourösen, gern selbstironischen, aber auch vom Schmerz erzählenden Lieder wurden zu Hymnen aller Außenseiter. Peter Plate und Andrea Rosenbaum – später verheiratet hieß sie Neuenhofen – waren Stimmen einer Zeit, die selbst noch nicht wusste, wohin sie segelt. Rosenstolz waren mit an Bord, wenn auch nicht am Steuer. Ihre Songs erzählten vom Scheitern, von der großen Stadt und ihrer Melancholie – immer mit der unverrückbaren Auffassung, dass Verletzlichkeit keine Schwäche ist.

„Du bist geblieben, um zu gehen. Ich bin gegangen, um zu bleiben. So blieben wir beide in der Mitte stehen“: So beginnt AnNa R. ihren zweiten Song „Ich höre nie auf dich“ zu Pseudo-Sitarklängen. Es scheint, als würde sie ihre Post-Rosenstolz-Zeit reflektieren: Man ist getrennt und doch immer noch verbunden. Haben wir sie zu Unrecht etwas zu sehr vergessen? Im Gegensatz zu Peter Plate, der kommerziell sehr erfolgreich war? Er schrieb mit seinem Ex-Partner Ulf Leo Sommer Hits für Sarah Connor, Helene Fischer, Michelle und Max Raabe sowie die Musik zu Detlef Bucks „Bibi & Tina“-Filmen.

Im selbst gepachteten Theater des Westens bereitet er für März 2026 sein fünftes Musical „Wir sind am Leben“ vor, auch das natürlich eine Rosenstolz-Reminiszenz. AnNa R. trat immer wieder als Frontfrau von Silly auf, gründete die Band „Gleis 8“ und brachte 2023 das Soloalbum „König:in“ heraus. Als Königin der großen Gefühle und des kleinen Schmerzes offenbart sich AnNa R. nun ein letztes Mal. Da fragt sie ganz leise „Wer weiß, wohin?“ zu zartem Gitarrengezupfe und Akkordeon im dritten Song. Sie ist verletzt, aber ihre reifer gewordene Stimme trotzt den Narben, die man sich im Musikgeschäft zuzieht. Da ist eine starke, weil zähe Kämpferin zu hören, abgeklärt, gefestigt, klar. Und so wird dieser Song zum Schlaflied, einem Lullaby. Er ist eine Annäherung an den Rosenstolz-Sound von früher, keine Kopie, eher ein Zitat.

Mit „Wenn du mich nicht liebst“ geht es trotzig-rockig weiter. Hier bleibt AnNa R. ihren Themen treu, so wie Plate übrigens auch, der sie inzwischen seinen Musical-Figuren umhängt. AnNa R. will frei sein, liebt sich dann eben selbst, wenn der Gegenüber es nicht mehr kann. Getreu dem Motto jeder echten Diva: „Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen“. Mit „Wenn der Sommer gestorben ist“ geht das Album in die Halbzeit und alles ist wie früher, denn „das Feuer ist immer noch da“. Obwohl das nicht ganz stimmt. Man hört, dass es AnNa R. nicht immer mehr so ging, auch wenn ihre einzigartige Stimme nach wie vor durchkommt: männlich, weiblich, so schön androgyn. Die als Phoenix aus der Teilungsasche auferstandene Zarah Leander von heute, deren „blutiges Herz wie besessen brennt“, denn: „Es ist zwanzig nach vier, und ich bin immer noch hier.“

Folgerichtig geht es basstreibend mit „Aufstehen“ in schnarrendem Ton sich selbst ermunternd weiter. Und dann will AnNa R. wissen: „Was hab’n wir zu sagen?“ Dabei mummelt sie sich nicht in Nostalgie ein, präsentiert sich stattdessen trotzig dem Heute. „Wir alle spürten eine Aufbruchsstimmung und die Neugierde“, sagen Freunde über die letzten Monate von AnNa R. Im Album, das erst nach ihrem Tod abgemischt wurde, ist das zu hören. Schlagzeuger Manfred „Manne“ Uhlig hat den Nachlass produziert und dabei selbst einige Titel beigesteuert. Das war der Wunsch der Eltern von AnNa R., die dieses letzte Werk wohl als Liebesbeweis verstanden wissen wollen – an die Tochter, die auch dann gesungen hat, als ihr Leben immer unstimmiger wurde.

Recht schnell gesungen, wendet sie sich im siebten Song einem anderen Primadonnenklassiker zu, dem sie legitim neue Tongestalt gibt: Marlene Dietrichs Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind?“ Da koddert die Berliner Schnauze, klingt aber auch durchscheinend. Eine anheimelnde Gleichzeitigkeit, die berührt. Und mit „Ach wie schön kann Liebe sein“ geht es nur mit Klavier augenzwinkernd-ironisch weiter. „Die böse Farbe“, so heißt auch ein Schubert-Lied, führt melancholisch ins allerletzte AnNa R.-Finale: „Dann weih ich dir das grüne Gras, totenbleich.“ Und die Glocke läutet.

Getragen ist dann das Album-Ende: „Ich seh‘ dich und spür dich und halt dich an mir fest, auch wenn du mich schon wieder verlässt.“ AnNa R.s Stimme klingt jetzt nochmal ein wenig brüchig, älter geworden. „Du verschwindest Stück für Stück, doch ich seh‘ dich ohne Blick.“ Und wird hören AnNa R. Auf ewig. Auch dank dieses würdigen Vermächtnisses.

Am 12./13. Oktober finden in der Berliner Columbiahalle zwei Gedenkkonzerte unter dem Motto „Mut zur Liebe – Ein Abend für AnNa R.“ statt.

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