Kurz vor dem Richtfest des neuen Museums am Berliner Kulturforum hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) eine Sorge weniger: Eine bedeutende Privatsammlung, die als Dauerleihgabe in das neue Haus der Nationalgalerie einziehen soll, ist „unbedenklich“ – jedenfalls in puncto Raubkunstverdacht.
Seit Januar 2023 wurden 96 Kunstwerke der Sammlung Pietzsch systematisch auf ihre Herkunfts- und Besitzgeschichte untersucht, um auszuschließen, dass sich darunter Objekte befinden, insbesondere aus jüdischem Besitz, die während der NS-Zeit unrechtmäßig entzogen oder geraubt wurden. 26 Gemälde und Skulpturen sind nun in der Ausstellung „Max Ernst bis Dorothea Tanning: Netzwerke des Surrealismus. Provenienzen der Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch“ in der Neuen Nationalgalerie zu sehen.
Die aufwendige Provenienzrecherche wurde vom Zentralarchiv der SPK veranlasst. „Bei 54 Werken konnte ein NS-verfolgungsbedingter Verlust ausgeschlossen werden“, erklärt Provenienzforscherin Lisa Hackmann. Die Besitzverhältnisse jener Werke seien „für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 rekonstruierbar und unbedenklich“. Bei 42 Gemälden, Papierarbeiten und Skulpturen bestehen noch Provenienzlücken – nicht alle Wege und Stationen ließen sich trotz intensiver Recherche nachvollziehen. Doch auch hier gebe es, so Hackmann, „zum jetzigen Zeitpunkt keine Anhaltspunkte für einen verfolgungsbedingten Entzug“.
Blick auf die Provenienzforschung selbst
Unter den ausgestellten Kunstwerken befindet sich etwa Max Ernsts Gemälde „Der Kopf des ‚Hausengels‘“ von 1937 – eine Variation des Ungeheuer-Motivs, das der Künstler unter dem Eindruck des Spanischen Bürgerkriegs schuf. Zu sehen ist auch das ikonische Bild „Zwei Frauen“ von 1939, das Leonor Fini zugeschrieben wurde – bis die betagte Künstlerin fünf Jahrzehnte später ihre Autorschaft widerrief.
Ein Hauptwerk der Sammlung ist auch Leonora Carringtons „Laufen Sie, meine Damen, ein Mann ist im Rosengarten“ von 1948. Spätestens seit die Kuratorin Ceceila Alemani auf ihrer Biennale von Venedig im Jahr 2022 den Surrealismus in den Mittelpunkt rückte, wurde Carrington – wie viele bislang unterschätzte Künstlerinnen der Bewegung – wiederentdeckt.
Ziel der Ausstellung ist es nicht nur, eine repräsentative Auswahl aus der Sammlung Pietzsch zu präsentieren, sondern den Blick auf die Provenienzforschung selbst zu lenken, die meist im Hintergrund arbeitet. Ihr Anliegen ist es, Kunstwerke wieder mit den Menschen zu verbinden, die sie besaßen, handelten oder vermittelten. Mitunter sind die Objektbiografien spannender als die Werke selbst.
So etwa bei André Massons „Der Jäger“ von 1927, einem schmalen, unscheinbaren Hochformat. Der Künstler arbeitete damals in Südfrankreich und experimentierte mit Sand, den er mit Farbe mischte und auf die Leinwand leimte. Erst beim genauen Hinsehen erkennt man zwei Gestalten – und das herabrinnende Blut eines Tötungsakts.
Provenienzforscherin Hackmann fand heraus, dass das Bild 1940 in Frankreich vom „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“, der zentralen Raubkunstorganisation der Nazis, beschlagnahmt wurde. „‚Der Jäger‘ war Teil der berühmten Kunstsammlung von Alphonse Kann, der aus einer jüdischen Bankiersfamilie stammte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Gemälde als NS-Raubkunst an Kann restituiert. Erst Jahre später gelangte es in die Sammlung von Ulla und Heiner Pietzsch.“
Das Sandbild ist nun auf einem Sockel montiert, sodass man auch die Rückseite betrachten kann – für Provenienzforscher ein entscheidendes Dokument. Etiketten, Stempel und Inventarnummern auf dem Keilrahmen erzählen die Geschichte der Eigentümer. Auf Sockeln und Wandtexten aller Exponate werden die Besitzverhältnisse chronologisch nachgezeichnet. Die SPK-Präsidentin Marion Ackermann erinnerte an den Stellenwert, den die Provenienzforschung bei der Stiftung hat: Eine große Herausforderung sei es aber, diese sehr kleinteiligen Forschungsprozesse zu vermitteln.
Erst mal wieder in den Keller
Man stelle hier ein Forschungsprojekt aus, betont auch Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie. „Sie sehen die Kunst von vorn und von hinten. Sie sehen die Netzwerke, in denen die Künstler miteinander in Kontakt waren, die politischen Netzwerke, die ihr Leben bestimmt haben“, so Biesenbach. „Aber Sie sehen auch die Realitäten – wo die Kunst wann von wem besessen wurde.“ Es sei Privileg und Verantwortung zugleich, die Sammlung zu erforschen, zu konservieren „und sie später im ‚Berlin Modern‘ auch einem großen Publikum zu zeigen.“
So heißt das Museum gegenüber der Neuen Nationalgalerie, dessen Rohbau längst die berüchtigte Scheunenform angenommen hat und dessen Satteldachfirst am 17. Oktober 2025 die Richtkrone aufgesetzt wird. Die Sammlung Pietzsch ist einer der Gründe, warum diese Erweiterung der Nationalgalerie – derzeit mit 526,5 Millionen Euro Baukosten veranschlagt – überhaupt realisiert wird.
Ulla und Heiner Pietzsch hatten einen großen Teil ihrer bedeutenden Surrealismus-Sammlung (mit Ausläufern in den abstrakten Expressionismus) bereits 2010 dem Land Berlin geschenkt. Ein Jahr zuvor hatte das kinderlose Ehepaar seine Schätze einmal in der Neuen Nationalgalerie gezeigt – „in den Keller“ wollte Heiner Pietzsch sie jedoch nicht geben, wie er damals sagte. Nun hängen sie wieder dort.
Seinerzeit diskutierte man noch, wie man dem Museum mehr Platz verschaffen könne – von einem Neubau am Kulturforum war keine Rede. Doch Udo Kittelmann, damals frisch angetretener Generaldirektor der Nationalgalerie, machte der Pietzsch-Sammlung eine Liebeserklärung. Auch weil die Sammler bereits mit Düsseldorf und Dresden als möglichen Standorten ihrer Schenkung flirteten. Dass Berlin letztlich den Zuschlag erhielt, lag auch daran, dass man dem ausdrücklichen Wunsch der Pietzschs, ihre Werke „ausreichend zeigen“ zu können, entgegenkam.
Ende November 2016 war alles besiegelt: Die Sammlung wurde der SPK als Dauerleihgabe zugesichert. Nur wenige Wochen zuvor hatte das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron den Wettbewerb für den Museumsneubau am Kulturforum gewonnen. 2019 war Baubeginn.
Wenn 2028 das „Berlin Modern“ eröffnet, wird auch die Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch dort einziehen. Dass sie frei von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken – und damit von Restitutionsansprüchen – ist, dürfte in der SPK und der Nationalgalerie für großes Aufatmen sorgen. Diese Qualität legitimiert das kostspielige Bauprojekt ein Stück mehr mit.
„Max Ernst bis Dorothea Tanning. Netzwerke des Surrealismus. Provenienzen der Sammlung Ulla und Heiner Pietzsch“, bis 1. März 2026, Neue Nationalgalerie, Berlin
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