Niemand der Festredner vergaß, den Handwerkern zu danken – wie es sich gehört beim Richtfest. Nur: Dieses hier ist kein gewöhnlicher Rohbau, sondern der Versuch, eine jahrzehntelange Lücke im Stadtbild (im eigentlichen Sinne) zu schließen, manche würden sagen: eine Wunde zu heilen. Ob Einfamilienhaus, Büroturm, Kulturbau oder Scheune: gefeiert werden die Betonbauer und Zimmerleute, wenn der Rohbau steht. So will es die Tradition.

Und so geschah es auch in Berlin, wo dem Erweiterungsbau der Neuen Nationalgalerie am 17. Oktober 2025 die Richtkrone aufgesetzt wurde: „berlin modern“. So soll das neue Haus heißen und künftig die Kunst des 20. Jahrhunderts beherbergen – unter anderem. Denn von einem Museum wird heute mehr erwartet, als „nur“ Ausstellungen zu zeigen. Dieses soll gleich mehrere Probleme lösen.

Die Baustelle liegt mitten im sogenannten Kulturforum – jenem Areal, das seinen großen Namen nie wirklich einlöste. Es war nie Forum – eher eine steinerne Steppe mit Prestigeproblemen. Jahrzehntelang blieb die zugige Brache zwischen Philharmonie und Staatsbibliothek von Hans Scharoun, der Neuen Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe und gesichtslosen Museumsbauten ein Platz ohne Platzqualität, ein Versprechen ohne Einlösung.

„Energieschleuder wird Solarkraftwerk“

Nun, 18 Monate nach der Grundsteinlegung, ist der „Nicht-Ort“ einem Gebäude gewichen. Doch wenn Christian Kaiser, Leiter der ausführenden Behörde Bundesbau Baden-Württemberg, feierlich erklärt, „die Kubatur des Museums fügt sich selbstverständlich in den städtebaulichen Kontext ein“, ist das eher Architektenprosa. Noch fügt sich hier gar nichts: Der Rohbau wirkt wie ein massiver Fremdkörper, der gewohnte Sichtachsen verstellt. „Elegant und bescheiden“ ist das Bauwerk nicht.

Vielleicht kommt die Eleganz mit der finalen Gestaltung – doch sind angesichts der verschiedenen Umplanungen und kursierenden Renderings und Fassaden-Mockups Zweifel berechtigt. Von Bescheidenheit kann ohnehin keine Rede sein. Ursprünglich hatte der Bundestag 200 Millionen Euro für den Neubau bewilligt. Dann stiegen die Kosten auf 450 Millionen, im Sommer 2025 wurden 526,5 Millionen Euro veranschlagt. Jetzt heißt es, die Tendenz sei wieder leicht fallend: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz rechnet mit 507 Millionen Euro. Erfahrungsgemäß wird aber erst abgerechnet, wenn die Schlüssel übergeben sind – und das dürfte, statt 2028 wie noch im Sommer anvisiert, eher 2029 der Fall sein.

Das Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron hatte den Wettbewerb für das von der damaligen Bundesbeauftragten für Kultur Monika Grütters maßgeblich vorangetriebenen Prestigeprojekt im Jahr 2016 gewonnen – auch, weil es versprach, architektonisch zu lösen, was jahrzehntelang städtebaulich unlösbar blieb. Sein Entwurf sah vor, die einzelnen Randbauten des Kulturforums durch den Neubau miteinander zu verbinden, über eine doppelstöckige Kreuzung von „Boulevards“ im Inneren und eine archaische, backsteinexpressionistische Großform im Äußeren.

Davon ist wenig übrig: Das Haus wurde schmaler, kürzer und um ein Geschoss tiefergelegt. Als der Bundesrechnungshof die schlechte Energiebilanz des Entwurfs monierte, griff Claudia Roth, Nachfolgerin von Monika Grütters, in die Planung ein. „Die einst gescholtene Energieschleuder wird ein kleines Solarkraftwerk“, erklärte Bundesbauchef Kaiser. Roth dürfte das als ihren persönlichen Beitrag zum „grünen Kulturbau“ verbuchen.

Mit Wolfram Weimer steht nun bereits der dritte Kulturstaatsminister in der Chronik des Projekts. Noch hat er dem Bau keinen eigenen Stempel aufgedrückt. Ihn dürften vor allem die künftigen Besucherzahlen interessieren, Berlin blieb trotz großen Selbstbewusstseins hinter der Strahlkraft von Museen in Paris oder London zurück.

Auch Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie und des künftigen „berlin modern“, setzt darauf. Das neue Haus soll kein elitärer Kunsttempel werden, sondern ein „offenes Museum“. Neben Leihgaben und Schenkungen von Privatsammlern und Hauptwerken wie Joseph Beuys’ „Kapital“ oder Gerhard Richters „Birkenau-Zyklus“, die eigene Räume erhalten, sind frei zugängliche Bereiche, ein Kinosaal und ein Café geplant. Noch offen bleibt, wie sich das alles finanzieren lässt – und ob der Anspruch der Offenheit am Ende nicht an der Realität der Budgets scheitert.

Biesenbachs größte Hoffnung derzeit: Die Außenflächen sollen, wie er es nennt, „verwaldet“ werden. Ausgangspunkt ist eine alte Platane, die seit 150 Jahren als einsamer Zeuge am Kulturforum steht und nun fast wie ein Fetisch von der Architektur eingefasst wird. Der Baumfreund Biesenbach ließ rund um die Baustelle bereits große Topfpflanzen aufstellen – ein Vorgriff auf das grüne Konzept. Und tatsächlich gelang es ihm, die Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt davon zu überzeugen, dass die Bepflanzung dauerhaft wird. Die Bäume sollen im Stadtboden Wurzeln schlagen, Alleen entstehen. Ein kleiner, aber symbolträchtiger Erfolg – zumal die Stadtverwaltung bisher keine Ambitionen zeigte, wenn es um mehr Aufenthaltsqualität am Kulturforum ging.

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