Die israelisch-französische Soziologin hätte am 21. November an der Erasmus-Universität von Rotterdam einen Vortrag halten sollen. „Romantische Liebe und Kapitalismus“ wäre ihr Thema gewesen, eingeladen hatte das „Erasmus Love Lab“, ein Zentrum zur Erforschung zwischenmenschlicher Beziehungen, mithin ein Feld, für das Illouz als ausgewiesene Expertin gilt: Seit über zwei Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit der Authentizität von Gefühlen im Plattformkapitalismus. Werke wie „Der Konsum der Romantik“, „Warum Liebe wehtut“ und „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ haben Illouz auch jenseits der akademischen Welt populär gemacht.

Nun ist Illouz – und mit ihr sind es alle Anhänger des freien Worts auf dieser Welt – mit einem ganz anderen Gefühl konfrontiert: „Unwohlsein“. Explizit als Israeli und langjährige Professorin an der Hebräischen Universität Jerusalem wurde Illouz in Rotterdam ausgeladen, wie zuerst das niederländische „NRC Handelsblad“ berichtete. Gegenüber der „Zeit“ erläuterte Illouz, dass sie zunächst eine quasi anonyme, unsignierte E-Mail erhalten habe, „in der stand, dass die Universität ihre Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten beendet habe und deshalb mein Besuch abgesagt werde“.

Die dumpfe Form von Boykott

Die Uni begründet das mit Israels Krieg in Gaza. Als wäre diese Form des personalisierten Wissenschaft-Boykotts noch nicht skandalös genug für jede Hochschule, ist sie für eine Universität, die Erasmus von Rotterdam im Namen trägt, maximal unwürdig – von der Tatsache ganz abgesehen, dass der Name „Erasmus“ in Europa eigentlich für wissenschaftlichen Austausch und Begegnungen steht. Zudem spricht die Begründung der Ausladung Bände. Denn Illouz wollte sich von der platten Form der Ausladung nicht einfach abspeisen lassen.

Sie ließ die Universität Rotterdam wissen, dass „ich europäische Staatsbürgerin bin und an einer europäischen Universität lehre“. Tatsächlich ist Illouz auch Französin und lehrt an der Pariser Hochschule für Sozialwissenschaften (EHESS). Doch die Antwort Rotterdams blieb brüsk. Wie Illouz im „Zeit“-Interview weiter ausführte, wurde ihr beschieden: „Man wisse das sehr wohl, aber einige Personen hätten sich mit der Idee, mich einzuladen, unwohl gefühlt. Deshalb habe man demokratisch entschieden, mich wieder auszuladen.“

Dass sich ausgerechnet universitäre Kreise auf ein bloßes Gefühl berufen und es dann noch als demokratische Entscheidung legitimieren, zeigt, wie irrational die neue Form des universitären Antisemitismus inzwischen ist (nicht, dass Antisemitismus jemals rational gewesen wäre. Er war schon immer nur ein Gefühl, manchmal camoufliertes Ressentiment, oft genug offener Hass oder sogar Rassenwahn).

Es ist und bleibt dumpfer Antisemitismus, wenn Personen, nur weil sie für Israel stehen, an europäischen Universitäten gecancelt werden. Und Illouz ist, ganz nebenbei, eine engagierte Linke, keine Freundin der Regierung Netanjahu. Und selbst, wenn letzteres wäre, wäre das kein Grund, sie als Wissenschaftlerin in ihrem Fachgebiet zu boykottieren.

Illouz hat zuletzt den Essay „Der 8. Oktober“ veröffentlicht, in dem sie feststellt, wie die Entsolidarisierung mit den jüdischen Opfern bereits einen Tag nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 begann – und welche Rolle dabei das an westlichen Universitäten Gelehrte spielt. Illouz geht in dem Buch mit dem linken Israel-Hass scharf ins Gericht, wird jetzt also Opfer der Denkweisen, die sie in ihrem jüngsten Buch beklagt.

Es ist nicht der erste Fall von Cancel Culture, der Illouz als engagierte Stimme trifft. Bereits im Sommer war bekannt geworden, dass der griechische Verlag Oposito Books Illouz’ Buch – „aus Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ aus dem Programm nimmt. Der Gaza-Krieg (den Illouz kritisiert) als Freibrief für Boykott?

Die Universität Rotterdam trägt den Namen Erasmus im Programm, seine berühmte Satireschrift „Lob der Torheit“ würde heute auch den dumpfen, selbstgefälligen Akademiker-Hass auf Israel, der Juden weltweit zu Repräsentanten Israels degradiert, einbeziehen. Man fragt sich, wo die Proteste der europäischen Wissenschaftsszene und Hochschullandschaft gegen eine derartige Normalisierung von Antisemitismus bleiben.

Am kommenden Sonntag wird Eva Illouz die Schillerrede im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar halten. Diese Rede wird gestreamt und wer ein Herz für Schiller („Geben Sie Gedankenfreiheit!“) hat, der sollte Illouz lauschen. Die Idee der europäischen Aufklärung geht eigentlich so: Ich höre dir zu, selbst wenn mir deine Meinung, Haltung oder Herkunft Unbehagen bereitet.

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