In NRW soll ChatGPT zum Abitur zugelassen werden. Offiziell noch als Hilfsmittel, aber vielleicht bald auch als Prüfling, assistiert von stotternden Timos, Pascals und Melanies, die sich abmühen, auf ihrem Smartphone die richtigen Knöpfe zu drücken. So hat es Schulministerin Dorothee Feller (CDU) auf Anfrage der FDP-Landtagsfraktion erklärt: „Im Rahmen der geplanten Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe in Nordrhein-Westfalen soll es erstmals für den Abiturjahrgang 2030, das heißt ab dem Schuljahr 2027/2028 von der Einführungsphase an aufwachsend, Möglichkeiten geben, KI gegebenenfalls auch bei alternativen Prüfungsformaten wie der Erstellung von gleichwertigen komplexen Leistungsnachweisen, Projektkurs-Produkten oder besonderen Lernleistungen zu nutzen, die die Grundlage für die Prüfungen im fünften Abiturfach bilden können.“

Das ist ein Satz, den wir selbst durch die KI jagen müssen, damit er halbwegs verständlich wird. Das sagenumwobene fünfte Fach soll KI nicht nur zulassen, sondern zum Gegenstand der Prüfung machen. Genaueres ist nicht in Erfahrung zu bringen, was vielleicht auch daran liegt, dass die meisten Lehrer störrisch an überholten Ideen festhalten. Wenn sie „Mistral“ hören, denken sie putzigerweise an einen südfranzösischen Wind – und nicht an den KI-Sturm, der im Begriff ist, alles Bestehende wegzublasen, darunter die Rahmenlehrpläne der Kultusministerien.

Insofern begrüßen wir den Vorstoß der Ministerin, auch wenn er zu zaghaft wirkt. Die Schulen müssen sich am allerwenigsten um die KI-Revolution sorgen – solange sie sich „ehrlich machen“, wie eine Formulierung lautet, die den Absturz des Bildungsniveaus selbst perfekt veranschaulicht: „Die Schule, wo ich viel vergessen habe“, summierte einst Erich Kästner seine pädagogischen Erfahrungen, und daran hat sich nicht viel geändert. Wir erinnern uns beim Thema Stochastik, Mitochondrien und Kurvendiskussionen auch an wenig mehr als an die charmanten Namen.

Oder könnten Sie den Unterschied zwischen notwendigen und hinreichenden Bedingungen erklären? Wie genau funktioniert das Duodezimalsystem? Wann wurde noch mal Rom gegründet? Wer hatte was gegen wen im Dreißigjährigen Krieg, und warum dauerte das so lange? Schließt Faust mit dem Teufel jetzt eine Wette oder einen Pakt – und wo ist der gottverdammte Unterschied? Ist doch schön, wenn derlei Haarspaltereien an die Algorithmen ausgelagert werden, die dadurch ein paar Minuten länger von der Weltherrschaft abgehalten werden.

Wenn Künstliche Intelligenz nicht nur heimlich bei den Hausaufgaben hilft, sondern offiziell im Zentrum des Unterrichts steht, werden ganz neue Kompetenzen freigeschaltet: die Interpretation neuronaler Netze, die schönsten Essay-Prompts, Hackathon statt Abiball, Cybermobbing live im Klassenzimmer, Toilettengang nur mit QR-Code.

Ab halb zehn übernimmt der Seneca-Bot, und der Geschichtslehrer kann auf den Tennisplatz. Mathe unterrichtet ein synthetisierter Gödel, Physik Oppenheimer. Der Konstruktion einer Atombombe im Werkunterricht steht nichts mehr im Wege. Und die Halluzinationen, denen die KI-Lehrkörper aufsitzen, sollten eher als Feature denn als Bug betrachtet werden. Es wäre doch spannend, wenn Burundi plötzlich neben Singapur liegt und Napoleon den Tauchsieder erfunden hat. Solche alternative Weltgeschichte bietet Stoff für originellere Diskussionen als früher, als alle noch von denselben Tatsachen ausgingen.

Ohnehin entdecken immer mehr Leute Verschwörungstheorien für sich. Höchste Zeit, dass sie Aufnahme in den Lehrplan finden. Zuletzt denke man an das gigantische Sparpotenzial, wenn nur noch Claudes, Groks und ChatGPTs verbeamtet werden. Die neue Besoldungsgruppe AI12 kommt mit Abokosten von 20 Euro im Monat aus.

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