Berlin hat dieser Tage ein Yoko-und Klaus-Problem. Sie lesen richtig, nicht die sympathischen Pro-Sieben-Moderatoren sind gemeint, sondern die Witwe von John Lennon und der Direktor der Neuen Nationalgalerie, wobei erstere eher das Symptom und letzterer der Trigger eines noch ausführlicher zu beschreibenden Komplexes sind: der weitestgehend gelähmten, international nicht mehr satisfaktionsfähigen hauptstädtischen Museumslandschaft.

Lassen Sie uns mit dem Symptom beginnen. Gleich zwei kürzlich in Berlin eröffnete Ausstellungen – im Martin-Gropius-Bau und in der Neuen Nationalgalerie – widmen sich dem künstlerischen Werk von Yoko Ono, wobei es übertrieben wäre zu sagen, eine dieser Ausstellungen hätte gereicht.

Direkt vor dem Eingang der Nationalgalerie, auf der Terrasse des Mies-van-der-Rohe-Baus, die einst von Barnett Newmans „Broken Obelisk“ dominiert war, steht nun ein Wunschbaum der japanischen Künstlerin – im Hof des Gropius-Baus ist es dann gleich ein halber Wald. Beider Orts werden Besucher ermutigt, ihre Friedenswünsche auf Zettel zu schreiben und an die Zweige zu hängen.

Triefender Partizipationskitsch

„Wishtree“ gibt damit programmatisch die Flughöhe der Ausstellungen vor. Da sind Arbeiten wie das „Handshake Painting“, eine weiße Leinwand mit Loch, die in der Mitte eines Raumes von der Decke hängt. Hier werden die Besucher aufgefordert, mit anderen Besuchern durch das Loch hindurch Hände zu schütteln. Das „Bag Piece“ wiederum fordert uns auf, in Säcke zu schlüpfen und darin wahlweise zu hüpfen oder Versteck zu spielen.

So niederschwellig ist Onos konzeptioneller Ansatz, so triefend ihr Partizipationskitsch, dass man sich zu diesem Zeitpunkt bereits fragt, ob das alles noch aus dem Kulturetat des Bundes finanziert ist oder schon von der Krankenkasse gefördert wird.

In „Mommy’s Room“, einem Spätwerk Onos, dem im Gropius-Bau ein ganzer Saal gewidmet ist, sollen Besucher dann Erinnerungen an ihre Mütter auf Zettel schreiben und diese auf die von der Künstlerin zahlreich zur Verfügung gestellten, leeren Leinwänden hinterlassen. Damit die Journalisten auf der Presse-Vorbesichtigung schon einen Eindruck von der emotionalen Wucht des hier angestrebten Female Empowerments bekommen konnten, waren die Mitarbeiter des Gropius-Baus bereits in Vorleistung getreten. „Meine Mama ist Alles! Liebe, Mut, Vorsicht“, hieß es da. Oder schlicht: „Inge!“.

Ihre Chefin Jenny Schlenzka, seit vergangenem Jahr die neue Direktorin des Gropius-Baus, bezeichnete Yoko Ono in ihrer Eröffnungsrede dann als „ideale Künstlerin“, die in ihren Arbeiten vorbildlich das verwirkliche, was ihr, Schlenzka, programmatisch für das gesamte Museum vorschwebe – einen Ort der Inklusion zu schaffen, an dem „Besuchende zu Mitmachenden“ werden.

Ein paar Gehminuten weiter und eine Stunde später war es dann an Klaus Biesenbach, Yoko Onos Werk in einen historischen Kontext zu setzen. Sichtlich bewegt von seiner eigenen kuratorischen Leistung, erklärte er den Gästen in der Neuen Nationalgalerie, wie wichtig es ihm gewesen sei, im zentralen Raum des Untergeschosses Yoko Ono als visionäre Friedensaktivistin genau zwischen Gerhard Richters „Birkenau“-Zyklus auf der einen Seite und Andy Warhols Hammer-und-Sichel-Gemälde sowie Sylvie Fleurys mit Flokati bezogener Rakete auf der anderen zu platzieren.

„Ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist“, sagte Biesenbach auf der Treppe stehend und den Raum und seine Gäste überblickend. „Aber Hammer, Sichel, Rakete, Birkenau: Das sind alles Waffen. Wobei Birkenau keine Waffe ist im eigentlichen Sinne, sondern das, wo es hinführt.“ Umso wichtiger sei es nun, Yoko Onos Werk genau dazwischen zu platzieren.

Beleidigung des Geschichtsbewusstseins

Etwas ratlos stand man dann vor betreffender Arbeit, dem sogenannten „Cleaning Piece“ (1996), drei Haufen von Kieselsteinen, die „zur Selbstreflexion anregen sollen“. Falls man sich glücklich fühlte, war man angehalten, einen Stein vom ersten Haufen zu nehmen und auf einen zweiten „Glücks“-Haufen zu legen; war man eher sorgenvoll gestimmt, sollte man den Stein auf einem dritten Haufen platzieren, der Ängste oder Unglück repräsentiert. Eine Arbeit, die tatsächlich insofern ihrer Zeit voraus war, als Yoko Ono 1996 noch nicht ahnen konnte, dass fast dreißig Jahre später weltweit Flughafen-Besucher beim Verlassen der Toiletten mit einem ähnlich simplifizierten Feedback-Umfragesystem zu ihrer Hygiene-Experience befragt werden würden.

Nun erwartet inzwischen niemand mehr ein wie auch immer geartetes Geschichtsbewusstsein von Klaus Biesenbach, der für seine letzte Ausstellung noch Nan Goldin und ihre Intifada-Fankurve in die Nationalgalerie eingeladen hatte. Dennoch fragte man sich vor den Kiesel-Haufen, für wen diese Arbeit von Yoko Ono mitsamt der Einführung ihres Kurators die größere Beleidigung darstellt: für denkende Besucher ganz allgemein oder für Gerhard Richter und Andy Warhol im Speziellen?

Regelrecht erschüttert zeigte sich Biesenbach in seiner Rede von der brillanten kuratorischen Leistung seiner Kollegen im Gropius-Bau, vor der er nur, wie er sagte, „in die Knie“ gehen könne. Und tatsächlich mochte man seine Rührung nachvollziehen, war diese Doppeleröffnung zweier führender Häuser doch nichts weniger als eine Demonstration seiner neuen Berliner Macht, die sich seit der Berufung seiner ehemaligen New Yorker Assistentin Jenny Schlenzka zur Gropius-Bau-Direktorin noch einmal erheblich erweitert hat.

Schlenzka arbeitete unter Biesenbach als associate curator für Performancekunst am Museum of Modern Art und etablierte die Event-Reihe „Sunday Sessions“ der dem MoMA angeschlossenen und von Biesenbach geleiteten Kunsthalle PS1 in Queens, bevor sie als Direktorin zum sogenannten Performance Space im East Village wechselte, einer Non-Profit-Organisation von eher lokaler Bedeutung.

Dass sie dort der Ruf ereilte, mit dem Gropius-Bau eines der wichtigsten und größten vom Bund finanzierten Ausstellungshäuser Deutschlands zu leiten, überraschte nur auf den ersten Blick, saß mit Gabriele Horn doch die langjährige Geschäftsführerin der von Klaus Biesenbach gegründeten Berliner KunstWerke (heute KW Institute for Contemporary Art) in der Findungskommission, deren Vorarbeit dann von Biesenbachs enger Freundin Claudia Roth abgesegnet wurde. Die Bundesbeauftragte für Kultur ließ es sich nicht nehmen, Schlenzkas Ernennungsurkunde persönlich zu unterzeichnen, obwohl dies eigentlich – rein protokollarisch – dem Direktor der Berliner Festspiele, Matthias Pees, zugestanden hätte.

Nun hätte man Schlenzka durchaus gewünscht, dass sie sich in Berlin möglichst schnell aus dem Schatten ihres langjährigen Förderers herausarbeitet und ein eigenständiges Profil entwickelt, anstatt sich mit einer Schau einer der engsten Freundinnen ihres ehemaligen Chefs vorzustellen, die in weiten Teilen so wirkt wie die Abschlusspräsentation eines Volkshochschulkurses „Einführung in die Konzeptkunst“, der vertretungshalber von einem Achtsamkeits-Coach unterrichtet wurde. Doch die Bande scheinen zu stark zu sein, speziell da es um Ono geht, die Jenny Schlenzka 2012 persönlich einen „Yoko Ono’s Courage Awards for the Arts“ verlieh, ausgerechnet in einer Zeremonie im Restaurant des MoMA, der Klaus Biesenbach natürlich in der ersten Reihe beiwohnte.

Nun kann man Yoko Ono vieles vorwerfen, aber sie hat die Beatles auseinandergebracht. Die Verdienste von Klaus Biesenbach lassen sich nicht ganz so einfach auf einen Nenner bringen, schon gar nicht um seinen in Berlin immer weiter wachsenden Einfluss zu erklären. Bei den (in einem besetzten Haus in der Auguststraße gegründeten) KunstWerken wird seit 1990 keine wichtige Entscheidung ohne Biesenbach gefällt. Direkt neben der Neuen Nationalgalerie wird er zudem – sollte sein Vertrag verlängert werden – bald das neue, von den Architekten Herzog & de Meuron gebaute und von Biesenbach „berlin modern“ getaufte Museum leiten (geschätzte Baukosten mindestens 450 Millionen Euro). Und jetzt beweist sich auch noch der Gropius-Bau als seine Spielwiese.

Biesenbachs Underperformance in Los Angeles

Es ist eine erstaunliche Wendung für einen Kurator, dessen Karriere in den USA bereits beendet schien, nachdem er im Anschluss an seine MoMA-Zeit als Direktor des Museum of Contemporary Art (MoCA) nach Los Angeles gewechselt war, wo er nach kurzer Zeit und wegen offensichtlicher Underperformance vom Museumsdirektor zum künstlerischen Leiter degradiert wurde. Die „New York Times“, die selten deutsche Museumsberufungen ausführlich kommentiert, schien erstaunt, dass Biesenbach genau in diesem Moment der wichtigste deutsche Museumsjob angeboten wurde.

In New York, so vermerkte die Zeitung, könne sich jedenfalls niemand an kunsthistorisch relevante Ausstellungen Biesenbachs erinnern, eher schon an aufmerksamkeitsheischende Spektakel mit Björk oder Marina Abramovic. Und aus Los Angeles zitierte die „New York Times“ einen MoCA-Trustee, dass man eng mit Biesenbach hätte arbeiten müssen, um seine organisatorischen „shortcomings“ auszugleichen.

Biesenbachs bislang am konsequentesten betriebenes Projekt scheint dann auch seine Selbstinszenierung zu sein, die nicht nur bei deutschen Kulturpolitikerinnen gut ankommt: Mit 302.000 Followern ist er international einer der reichweitenstärksten Kuratoren auf Instagram, nicht zuletzt, weil er schmerzfrei jede Gelegenheit nutzt, um mit Prominenten für Selfies zu posieren.

Da es bei ihm – Stand 2025 – tatsächlich keine kunsthistorische hidden agenda zu geben scheint, darf man ihn wohl beim face value seiner Social-Media-Aktivitäten nehmen: Bei Veröffentlichung dieses Artikels hatte Biesenbach 65 Selfies mit Patti Smith gepostet, 53 mit Marina Abramovic und 20 mit Yoko Ono.

Nun wäre es gemein daraus abzuleiten, dass nach den ersten Auftritten von Patti Smith in der Nationalgalerie und der gerade eröffneten Doppelausstellung von Yoko Ono als nächstes Marina Abramovic auf die Berliner zukäme. Und doch scheint genau das der Fall zu sein: Nach Informationen von WELT wird bereits an einer großen Ausstellung mit ihr gearbeitet – nicht in der Neuen Nationalgalerie, sondern: im Gropius-Bau.

Fest steht: Für einen Direktor mit derart vielen Problemen ist sein aktueller und zukünftiger Wirkungsbereich nur ausschweifend zu nennen. Sein Kernmuseum hat derartige Budget-Not, dass man gerade Hauptwerke der Klassischen Moderne wie Christian Schads „Sonja“ auf eine fast zweijährige, offensichtlich attraktiv vergütete US-Tournee geschickt hat. Denn den Ruhm der Neuen Nationalgalerie nähren Stationen in Fort Worth, Minneapolis und Albuquerque bestimmt nicht – eher schon spiegeln sie unfreiwillig den internationalen Bedeutungsverlust des Absenders.

Für das kommende zeitgenössische „berlin modern“-Museum hat Biesenbach, der nie wirklich gelernt hat mit Sammlungen zu arbeiten, bislang weder ein schlüssiges Konzept noch genug hochkarätige Werke der jüngeren Vergangenheit zu bieten, zumal nach dem Abzug der Sammlung von Mick Flick und dem Verkauf von eigentlich langfristig in Berlin geglaubten Meisterwerken der Sammlung Erich Marx zwei der Gründe für den Bau entfallen sind.

Es sind widrige Umstände und man kann Biesenbachs Flucht nach vorn durchaus bewundern: Einen Mangel an Substanz durch eine Erweiterung der Machtbasis auszugleichen, ist auch eine Strategie.

Doch für die in weiten Teilen bereits resignierte Berliner Kunstszene gibt es Hoffnung. Biesenbach, der nun drei Jahre im Amt ist, war schon immer ein Mann der Opportunitäten. Nicht umsonst setzt sich ausgerechnet er, der mehr als zehn Jahre die „Vielflieger“-Kolumne für das Kunstmagazin „Monopol“ verfasste, heute für mehr Nachhaltigkeit bei den Staatlichen Museen ein.

Sollte sich durch den Ruhestand von Claudia Roth auch sein politischer Rückenwind abschwächen, könnte sich das durchaus noch in seinem Programm spiegeln. So selbstsicher Biesenbach auch auftritt: Tief im Inneren dürfte er ahnen, dass es ganz ohne Protektion nicht reichen wird, als Nationalgalerie-Chef mit Andy Warhol, Nan Goldin und Yoko Ono drei New Yorker Positionen hintereinander zu zeigen und ansonsten seinen prominentesten Künstler-Freundinnen eine Bühne zu bieten.

Das Yoko-Problem wird sich Mitte September erledigt haben. Das Klaus-Problem wird uns noch mindestens zwei Jahre begleiten. Wünschen wir Berlin, dass Biesenbach Wege findet, es selbst zu entschärfen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.