Heimat kann etwas ziemlich Beklemmendes sein. Etwas, das einem ums Herz hängt wie schwerer Lehm an Gummistiefeln klebt nach einem Gang über feuchte Felder. Sonntagabendkrimis aus dem Schwarzwald sind Heimatfilme. Geschichten, wie sie sich die Erfinder des „Tatort“ wahrscheinlich eigentlich gedacht hatten.
Geschichten, die einen Ort haben, den im Zweifel kaum einer wirklich kennt, jedenfalls so nicht, nicht in seinen sozialen, menschlichen Bedingungen, der aktuellen Verfasstheit seiner Mentalität. Geschichten aus einer Landschaft, in der sich Menschen verrennen. Erdige Geschichten.
Das muss ja, wenn es versucht wird (und es wird viel zu selten versucht), nicht immer gut gehen. Beim letzten Mal als die Freiburger Kommissare Franziska „Franz“ Tobler (Eva Löbau) und Friedemann „Frieder“ Berg (Hans-Jochen Wagner) im Schwarzwald unterwegs waren, stolperten sie derart über Logik-Löcher, rannten in Plot-Ungeheuer, dass man anfing, sich Sorgen um sie zu machen. Und man macht sich ungern Sorgen um die beiden.
Für die hat man ein zärtliches Gefühl. Die muss man mögen, wie sie sich mögen, sich eigentlich lieben, wie sie zurückschrecken vor dem, was eigentlich sein könnte zwischen ihnen. Wie zärtlich die beiden gespielt werden von Löbau und Wagner, die immer mal wieder zu groß scheinen für das, was sie da spielen.
Des 15. Mordfalls aus dem Breisgau, „Der Reini“ heißt er, haben sich jetzt die Erfinder angenommen. Robert Thalheim hatte schon 2017 in „Goldbach“ Regie geführt, Bernd Lange das Buch geschrieben. Eine Geschichte in einer Landschaft war „Goldbach“ gewesen. Man wurde sie so schwer los wie Lehm am Gummistiefel. Da war ganz viel Wald und ganz viel Stille und ein Hof wie ein Wendehammer. Und Aussteiger. Die kamen aus der Stadt und wollten glücklich werden. Vier Kinder waren da. Dann war eins tot. Ein Klassiker des Heimatfilms fast.
Der Modder und der Kommissar
„Der Reini“ ist auch eine Aussteigergeschichte. Der Reini heißt eigentlich Reinhard. Er ist der kleine Bruder vom Frieder. Der Reini ist aus der Psychiatrie ausgebrochen mit der stillen Mika und dem Luke. Sie stranden im nebligen Nichts auf dem Hof der Bergs. Verranzt ist der, beklemmend, die Decken hängen niedrig über den Köpfen wie die Wolken über den Bäumen, schwer wie Lehm ist das Anwesen.
Wohl dem, der sich von dem Modder befreien kann. Der Frieder konnte es nicht. Er lebt da, er müht sich den Hof irgendwie am Leben zu halten. Und keiner weiß, warum. So geht das schon ein paar Fälle lang. Und der Frieder und die Franz haben sich darüber völlig verkanntet. Der Vater der Franz hat immer von irgendwas Dunklem gefaselt, weswegen der Frieder nicht Kommissariatsleiter werden darf. Irgendwas ist da.
Was da ist, wissen wir am Ende von „Reini“. Der ist eine Katharsis und ein Kammerspiel. Ein reinigendes Gewitter. Ein psychologischer Infight. Erdenschwer und merkwürdig federleicht gespielt. Den Reini hat alles, was den Frieder stark gemacht hat, krank und klein gemacht. Ist in der Klapse gelandet.
Und der Luke hat ihn da rausgeholt. Der war da, weil er gewalttätig und irre war, ein Soziopath im Kuckucksnest. Soll ja vorkommen. Eigentlich will er an das Geld kommen, das ihm von irgendeinem Überfall zusteht. Und dann abtauchen. Abhauen irgendwohin. Wie der Reini mit der Mika nach Marokko.
Die drei kommen auf den Hof. Unterwegs haben sie einen Apotheker erschossen, der ist im weiteren Verlauf von eher keinem weiteren Interesse. Der Frieder kommt auf seinen Hof. Dann verfangen sich alle in der erdigen Wagenburg ihrer Traumata und ihrer Träume, die Lange, Großmeister im Bau verwinkelter psychologischer Anlagen in den Schwarzwald gestellt hat. Begegnen sich, prallen aufeinander.
Ein Plot wie eine Fieberkurve
In Reinis Kinderzimmer, wo Freiheit möglich scheint. In der niedrigen Küche, wo Gewalt herrscht. Und gehen aufeinander los. Einer Fieberkurve gleicht dieser Plot, schonungslos schälen sie sich gegenseitig ihre Schutzzonen ab wie Rinde von den Fichten ringsum. Der Reini (Felician Hohnloser), der bis zum Schluss glaubt, dass alles gut wird. Der Frieder, der verzweifelt nach irgendwelchen Ausgängen sucht, die Lange ihm verweigert. Der Luke, ein Mann wie ein Springmesser, den Karsten Antonio Mielke mit höchster Unerschrockenheit als testosteronsprühendes Monster gibt, mit dem man auf gar keinen Fall irgendwo hängen bleiben mag.
Eine Geschichte geht zu Ende. Eine Betonplatte spielt eine Rolle, von der man nicht wissen mag, was sie verbirgt, aber ahnt, dass genau das noch eine Rolle spielt. Die Franz und der Frieder schauen sich an wie Kästners matte Liebende in „Sachliche Romanze“, nur haben sie keine Tassen, in denen sie rühren könnten. Die Sehnsucht nach Licht und Leichtigkeit ist groß. Die Sonne zumindest ist wieder da. Vielleicht kann sie noch ein bisschen scheinen über dem Frieder und der Franz. Weil wir so ein zärtliches Gefühl haben.
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