Hier erscheint unsere monatliche Empfehlungsliste. Experten einer unabhängigen Jury küren die zehn „Sachbücher des Monats“ aus Geistes-, Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Im Dezember lohnen sich:

1. Sigmund Freud:

Dich so zu haben, wie Du bist. Die Brautbriefe, Band 5. Herausgegeben von Gerhard Fichtner, Ilse Grubrich-Simitis und Albrecht Hirschmüller. S. Fischer, 716 Seiten, 78 Euro*

Der abschließende Band des Briefwechsels zwischen Sigmund Freud und seiner späteren Frau Martha Bernays dokumentiert entscheidende Jahre im Leben des weltberühmten Begründers der Psychoanalyse. Man bekommt Einblicke in seine Zeit als Stipendiat am Pariser Hôpital de la Salpêtrière.

2. Sven Beckert:

Kapitalismus. Geschichte einer Weltrevolution. Rowohlt, 1279 Seiten, 42 Euro*

Der deutsche Harvard-Professor hat eine Globalgeschichte des Kapitalismus geschrieben, von den jemenitischen Händlern des 11. Jahrhunderts bis heute. Auch erzählerisch ein Opus Magnum. Dass der Autor erzählen kann, hat er mit seiner Geschichte der Baumwolle („King Cotton“) schon unter Beweis gestellt.

3. Gabriel Zuchtriegel:

Pompejis letzter Sommer. Als die Götter die Welt verließen. Propyläen, 320 Seiten, 33 Euro*

Der deutsche Leiter der Ausgrabungsstätte von Pompeji lässt das Alltagsleben im Römischen Reich im Jahr 79 nach Christus anschaulich werden. Wieder einmal zeigt sich, dass uns die Antike in Pompeji am nächsten kommt.

4. Giuliano da Empoli:

Die Stunde der Raubtiere. Macht und Gewalt der neuen Fürsten. Übersetzt von Michaela Meßner. C. H. Beck, 127 Seiten, 15 Euro*

Mit seinem – auch verfilmten – Roman „Der Magier im Kreml“ wurde der Schriftsteller bekannt. In seinem neuen Essay beschreibt er die eiskalte Machtergreifung von Populisten und Tech-Ingenieuren. Ist die Zeit liberaler Demokratien vorbei?

5. Annekathrin Kohout:

Hyperreaktiv. Wie in sozialen Medien um Deutungsmacht gekämpft wird. Wagenbach, 160 Seiten, 18 Euro*

Wie verändert unser virtuelles Miteinander auch den realen gesellschaftlichen Raum? Kohouts kluge Analyse zeigt, was die sozialen Medien so anziehend und so gefährlich macht. Lesen Sie hier mehr zum Buch „Hyperreaktiv“.

6. Florence Gaub:

Szenario. Die Zukunft steht auf dem Spiel. DTV, 507 Seiten, 25 Euro*

Außenpolitik in Planspielen: Das ist die Stärke der auch aus Talkshows bekannten Autorin, die als Direktorin das Nato Defense College in Rom leitet. Lesen Sie hier ein Interview mit Florence Gaub.

7. Christoph Safferling:

Ohnmacht des Völkerrechts. Die Rückkehr des Krieges und der Menschheitsverbrechen. DTV, 314 Seiten, 25 Euro*

Der Professor von der Uni Erlangen-Nürnberg fragt, wo die regelbasierte Weltordnung geblieben ist, die mit den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg 1945 begann.

8. Katja Gloger, Georg Mascolo:

Das Versagen. Eine investigative Geschichte der deutschen Russlandpolitik. Ullstein, 496 Seiten, 26,99 Euro*

Ähnlich wie vor zwei Jahren „Die Moskau-Connection“ von Reinhard Bingener und Markus Wehner ist dies ein Recherchebuch, das die Augen öffnet. Für alle, die sich beim Thema Russland kein X für ein U vormachen lassen.

9. Bernd Greiner:

Weißglut. Die inneren Kriege der USA. Eine Geschichte von 1900 bis heute. C. H. Beck, 464 Seiten, 32 Euro*

Lügen, Denunzieren und Dämonisieren? Dieses Buch fragt, wie Ressentiment zur politischen Betriebstemperatur der USA werden konnte. Die Wurzeln reichen bis weit ins 20. Jahrhundert zurück.

10. Birgit Aschmann:

Die Deutschen und die Natur. Eine andere Geschichte des 19. Jahrhunderts. Propyläen, 714 Seiten, 38 Euro*

Rheinbegradigung und Rheinromantik, Rassenbiologie und Lebensreform: Die Historikerin porträtiert ein widersprüchliches Jahrhundert, in dem die Weichen für heute gestellt wurden.

Die Extra-Empfehlung:

Neben den zehn Büchern der Jury kommt jeden Monat eine Extra-Empfehlung von einem Gast. Diesmal von Konrad Paul Liessmann (Universität Wien). Er empfiehlt:

Peter Hoeres: Rechts und links. Zur Karriere einer folgenreichen Unterscheidung in Geschichte und Gegenwart. Zu Klampen, 216 Seiten, 24 Euro*

„Im Kampf gegen Rechts kennen wir keine Gnade – auch nicht die Gnade einer begrifflichen Differenzierung. Von gewaltbereiten Neonazis über identitäre Remigrationstheoretiker bis zu plakativen Populisten und zum CDU-Kanzler, von bürgerlichen Konservativen über migrationsskeptische Wissenschaftler bis zu Kritikern des Gendersternchens gilt alles als rechts und damit verwerflich. Zwar fiele es aus guten Gründen niemandem ein, nach linksextrem motivierten Attacken auf Politiker oder islamistisch motivierten Gewalttaten zu einem Kampf gegen Links oder den Islam aufzurufen, für das rechte politische Spektrum gilt diese vornehme Zurückhaltung aber nicht. Grund genug, sich einmal der Geschichte dieser politischen Verortungen im Links-rechts-Schema zu vergewissern.

Der Würzburger Historiker Peter Hoeres legt nun eine kompakte und luzide Studie zu dieser Frage vor, die einen weiten Bogen schlägt: von den anthropologischen Fundamenten von Rechts und Links, der Bedeutung dieser Unterscheidung in den Religionen und im Straßenverkehr – der Rechtsverkehr geht auf Napoleon zurück! – bis zur Politisierung dieser Orientierungshilfen seit der Französischen Revolution. Ausgangspunkt ist die spannende Frage, warum sich die kulturell nahezu durchgängige Bevorzugung der rechten Hand und der rechten Seite im Kontext des Politischen verkehrt hat und die Linke nun das gute Gewissen auf ihrer Seite hat. Hoeres findet dafür plausible Hinweise, kann aber auch zeigen, dass solche Verortungen nicht immer ganz einfach sind. Auch bei der Frage, inwiefern der Nationalsozialismus als eindeutig rechts einzuordnen ist, findet er aufgrund der Quellenlage zu einer differenzierten Einschätzung.

Hoeres macht kein Hehl aus seiner Ansicht, dass er die pauschale Denunziation und Verdächtigung der Rechten für einen demokratiepolitischen Fehler hält und dass er auf die Rückkehr von ‚Rechts‘ in die politische ‚Normalsprache‘ hofft, denn für ihn gilt: ‚Rechts und Links sind ungleiche Geschwister, die einander bedürfen.‘ Auch wenn man diese Ansicht nicht teilt, wird man diesen Essay mit Gewinn lesen – sofern es darum geht, jenseits von Schlagworten und reflexartigem Aktionismus politisch brisante Begriffe mit historischem Wissen und analytischer Präzision zu schärfen.“ (Konrad Paul Liessmann)

Die Jury der Sachbücher des Monats:

Tobias Becker, Der Spiegel; Natascha Freundel, RBB-Kultur; Dr. Eike Gebhardt, Berlin; Knud von Harbou, Feldafing; Prof. Jochen Hörisch, Universität Mannheim; Günter Kaindlstorfer, Wien; Dr. Otto Kallscheuer, Sassari, Italien; Petra Kammann, FeuilletonFrankfurt; Jörg-Dieter Kogel, Bremen; Dr. Wilhelm Krull, Hamburg; Marianna Lieder, Berlin; Lukas Meyer-Blankenburg, Redaktion Das Wissen, SWR; Gerlinde Pölsler, Der Falter, Wien; Marc Reichwein, WELT; Thomas Ribi, Neue Zürcher Zeitung; Prof. Dr. Sandra Richter, Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar; Wolfgang Ritschl, ORF Wien; Florian Rötzer, krass-und-konkret, München; Norbert Seitz, Berlin; Mag. Anne-Catherine Simon, Die Presse, Wien; Prof. Dr. Philipp Theisohn, Universität Zürich; Dr. Andreas Wang, Berlin; Prof. Dr. Harro Zimmermann, Bremen; Stefan Zweifel, Zürich. Redaktion: Andreas Wang.

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