Wie jetzt? Man kennt den britischen Schriftsteller Aldous Huxley vor allem als Anti-Utopisten – sein Roman „Schöne neue Welt“ (1932) entwarf das Bild einer massenhaft manipulierten und gleichgeschalteten Gesellschaft, in der jede Form von Individualität verdächtig wird, weil Eigensinn nicht staatskonform ist. Im Huxley-Roman steckte das Zeitalter der Totalitarismen, bevor es wirklich losging, vom Fordismus her gedacht: Alles ist vereinheitlicht, normiert, standardisiert.

Die „Schöne neue Welt“ kennt nur noch genormte Menschen, außer drei Außenseitern, doch – Spoiler – auch die werden scheitern, weil nicht gezüchtete Individualität keinen Platz mehr hat in Huxleys fiktiver Welt. Eine schlimme Dystopie – und alles, was heute durch Bürokratie, „verwaltete Welt“, linksgrüne Kulturhegemonie, Staatsdirigismus und künftig womöglich auch KI als Gängelei empfunden wird, ist nur ein Bruchteil der unfreien Welt, die Huxleys Szenario beschreibt.

Der totalen Gleichschaltung durch staatliche und ökonomische Zentralisierung versuchte Huxley mit Ideen der Dezentralisierung beizukommen, und diese Idee hat er, nach Ende des Zweiten Weltkriegs in seinem Essay über „Wissenschaft, Freiheit und Frieden“ formuliert: Im Original 1946 unter dem blassen Titel „Science, Liberty and Peace“ erschienen, wird der 90-seitige Text jetzt erstmals auf Deutsch unter dem Titel „Zeit der Oligarchen“ vom Hanser-Verlag publiziert.

Huxley über Macht, die korrumpiert

Aldous Huxley ist in diesem Text ein Prophet für vieles. Er sah unsere Podcast-Seuche voraus („Das gesprochene Wort ist verführerischer als das gedruckte.“) und irgendwie auch die ständige Superlativ-Rhetorik von Herrschern à la Donald Trump. „Demzufolge steuert die Menschheit auf eine glorreiche Zukunft und ein Goldenes Zeitalter zu.“

Huxley macht sich keine Illusionen darüber, „dass die meisten Menschen, wenn sie zwischen Freiheit und Sicherheit wählen sollten, ohne zu zögern für Sicherheit stimmen würden“. Die meisten Menschen, beobachtet Huxley weiter, hätten es gern bequem und nähmen deshalb „Die Macht der Wenigen über die Vielen“ in Kauf. Mit Gefahren: „Es gab nie eine Zeit, in der ein Zuviel an Macht nicht korrumpiert hätte, und es gibt nicht den geringsten Grund zu der Annahme, dass sich das künftige Verhalten der Menschheit in diesem Punkt von dem der Gegenwart und Vergangenheit unterscheiden könnte.“

Gegen diese Form der Oligarchie helfe nur eines: die Dezentralisierung der Macht – politisch, aber auch wirtschaftlich und wissenschaftlich. In seinem Essay kritisiert Huxley hegemoniale Technologien, die ganze Länder abhängig von einem Erzeugnis machen, zu seinen Zeiten ist das die Ölindustrie. Wie in der Ernährung sollten sich Länder bei der Energieversorgung besser nicht von einer einzigen Quelle abhängig machen, schreibt Huxley und kommt in seiner Abhandlung ganz zum Schluss auch auf regenerative Energien zu sprechen.

Allerdings weniger aus Klimaschutz- als aus Friedensgründen. Die ungleiche Verteilung der Öl-Lagerstätten mache diese Energiequelle zum Gegenstand mächtiger Monopole, die von mächtigen Nationen genutzt werden könnten, um Machtspielchen und Imperialismus auszuspielen. In den Ölkrisen von 1973 und 1979 alles schon passiert. Ebenso wie im Angriff Saddam Husseins auf Kuwait 1990 – und im Irak-Krieg 2003.

Was nun also empfiehlt Prophet Huxley? Einen Ausstieg aus dem Ölzeitalter! „Aus politischer und menschlicher Sicht wäre der wünschenswerteste Ersatz für das Erdöl eine effiziente Batterie, um die von Wasser, Wind und Sonne erzeugte Energie zu speichern.“ Huxley doziert, wie dezentrale, „neue Geräte zur direkten Nutzung der Sonnenenergie“ gerade Regionen wie Indien und Afrika „gewaltige und dauerhafte Vorteile bringen“ könnten und er wundert sich: „Seit Jahrhunderten drehen sich kleine Windmühlen, doch der Einsatz großer Windturbinen befindet sich seltsamerweise nach wie vor in der Experimentierphase.“ Gut möglich, so Pessimist Huxley, dass „die aktuellen Inhaber wirtschaftlichen und politischen Macht“ es fertigbrächten, „ihre Massenfabriken um gewaltige Spiegel herum zu bauen und die Erfindung für ihre zentralistischen Zwecke zu pervertieren“.

Robert Habeck ist begeistert

Bei so viel Prophetie für eine Energiewende auf Basis der Erneuerbaren lag es aus Verlagssicht nahe, Robert Habeck für Huxley zu begeistern, zumindest hat der ehemalige Wirtschafts- und Energieminister von den Grünen dem Buch ein werbendes Zitat gestiftet. Huxley, so der Habeck-Blurb auf dem Buchdeckel, sei „ein Lichtschwert gegen Dunkelheit und Dumpfheit“. Ob Habeck auch Huxleys weitere Ausführungen zur friedlichen Nutzung der Atomenergie zur Kenntnis genommen hat?

„Wäre dies nicht eine Lösung für das gesamte Energieproblem der Industrie und des Transportwesens?“, fragt Huxley – scheinbar arglos, um anschließend eine doppelzüngige Antwort zu geben. Ja: „Das Energieproblem könnte sich vielleicht tatsächlich lösen lassen“. Und nein: Nach der Erfahrung der Atombombe (Huxleys Essay entstand im Jahr nach Hiroshima und Nagasaki) „wird die Tatsache, dass die Atomenergie über ein einmalig zerstörerisches Potenzial verfügt, stets eine Versuchung für den Boy Gangster bleiben“.

Huxley macht keinen Hehl aus seinem pessimistischen Menschenbild, vielleicht deutet sich an dieser Stelle seines Essays auch schon sein literarisches Spätwerk an. Im Alter hat sich der zu Beginn seiner literarischen Karriere so leichtfüßige und journalistische Huxley nämlich ganz der Mystik und Transzendenz verschrieben: „‚Und führe uns nicht in Versuchung.‘ Dass der Verfasser des Vaterunsers diese Bitte aufnahm, zeugt von seiner zutiefst realistischen Einschätzung der menschlichen Natur. Warum sollten wir darum beten, dass man uns nicht in Versuchung führe? Aus dem einfachen und von aller Erfahrung bestätigten Grund, dass Männer und Frauen der Versuchung zum Bösen im Allgemeinen nachgeben, wenn sie nur ausreichend groß und häufig ist.“

Warum Huxleys Essay jetzt erscheint? Weil dünne Bücher mit scheinbar prophetischer Klarsicht längst zur Masche auf dem Buchmarkt geworden sind. Meist unter 100 Seiten lang und nur 12 oder 14 Euro teuer, laden sie zum Impulskauf ein, weil ihre – meist toten – Autoren weise Botschaften aus der Vergangenheit für drängende Fragen unserer Gegenwart versprechen. Mal ist es ein Vortrag von Theodor W. Adorno zum Antisemitismus (2024), mal ein Aufsatz von Umberto Eco zum ewigen Faschismus (2020). Und aktuell ist es eben Huxley. Einem Klassiker könnte Schlimmeres passieren, als – aus wie wohlfeilen Motiven auch immer – wieder aktuell zu sein.

Aldous Huxley: Zeit der Oligarchen. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer. Hanser, 91 Seiten, 14 Euro.

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